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Wechsel vom Öl zum Acker

Stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe
Wechsel vom Öl zum Acker

Nachhaltigkeit ist in aller Munde, in der Landwirtschaft, in der Politik und auch in der Industrie. Dabei liegt der Fokus bislang eindeutig auf der Energieversorgung – Sonne, Wind und Biomasse sollen fossile Ressourcen ablösen und gleichzeitig dazu beitragen, den Klimawandel im Zaum zu halten. Aber die Endlichkeit von Öl und Gas hat nicht nur Auswirkungen auf die Energiever- sorgung. Auch stofflich hängt die chemische Industrie und damit das gesamte produzierende Gewerbe vom Autobauer bis zum Textilhersteller von fossilen Rohstoffen ab.

Dr. Kathrin Rübberdt

Schon einmal richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf nachhaltige Produkte: Anfang der 80er-Jahre waren unter dem Aspekt der Müllvermeidung vor allem die Biokunststoffe ein großes Thema. Dabei stand allerdings weniger die Herkunft als die biologische Abbaubarkeit im Vordergrund. Zwischenzeitlich ist es in der allgemeinen Diskussion ruhiger geworden. Kritiker weisen darauf hin, dass dies auch politisch bedingt ist: Während die energetische Nutzung in den letzten Jahren stark gefördert wurde – das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder die steuerliche Förderung von Biokraftstoff seien als Beispiele genannt – führte die stoffliche Nutzung eher ein Schattendasein. Doch die chemische Industrie hat das Thema weiterverfolgt. Die Entwicklung der Ölpreise und die absehbare Endlichkeit der fossilen Rohstoffe in Kombination mit den neuen Möglichkeiten, die die Biotechnologie bietet, haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten. Allerdings beschränkt sich das Engagement bisher häufig auf den F&E-Maßstab.
Teile der chemischen Produktion verwerten schon immer nachwachsende Rohstoffe. In größeren Mengen werden zum Beispiel Öle, Fette oder Stärke genutzt. Im Jahr 2006 hat die deutsche chemische Industrie 2,7 Mio. t landwirtschaftliche Rohstoffe genutzt. Das entspricht etwa 11 % der insgesamt eingesetzten Rohstoffe. Den weitaus größten Anteil hatten dabei die pflanzlichen Öle mit 800 000 t vor Stärke (630 000 t), tierischen Fetten (350 000 t) und Cellulose (320 000 t). Dahinter folgten Zucker (295 000 t), Naturfasern (176 000 t) und sonstige Rohstoffe wie Proteine (55 000 t) oder Naturharze und Wachse (31 000 t) (Quelle: FNR, VCI, meó consulting Team, Mantau/Universität Hamburg, BFH). Eine vom Volumen her kleine, aber in der Wertschöpfung bedeutende Rolle spielen pflanzliche Extrakte in der pharmazeutischen Industrie. Das weltweite Handelsvolumen von Medizinalpflanzenrohmaterial beträgt laut Food and Agriculture Organisation der UN eine Milliarde US$, und die jährlichen Wachstumsraten für medizinische Lebensmittel auf Pflanzenbasis und Phytopharmaka werden mit 6 bis 8 % angegeben.
Ähnlich wie die pharmakologisch wirksamen Pflanzenextrakte werden Öle, Fette und Stärken bei der Weiterverarbeitung bisher in der Regel nur derivatisiert bzw. in wenigen Schritten umgewandelt. Fette werden beispielsweise verseift, um Zugang zu den Fettsäuren zu bekommen. Daraus können Fettalkohole für die Produktion von Tensiden gewonnen werden. Ein weiteres Beispiel ist die Umesterung von Fetten zu Schmierstoffen. Viele Rohstoffe kommen auch ganz ohne weitere chemische Modifikation zum Einsatz, z. B. die Fasern in Dämmstoffen und Textilien oder Stärke als Zusatzstoff in zahlreichen Anwendungen.
Komplexe Molekülstruktur
Die Komplexität der natürlichen Moleküle ist eine Herausforderung für die Basischemie. In der Petrochemie dienen relativ einfache chemische Strukturen als Ausgangsstoffe, die dann im Verlauf des Syntheseweges funktionalisiert werden. Die chemische Industrie stellt laut UN weltweit über 100 000 verschiedene Substanzen her; 95 % des Umsatzes entfallen jedoch auf lediglich 1500 Stoffe, und ein Großteil aller Substanzen geht auf nur acht Basischemikalien zurück: Benzol, Xylol, Toluol, Butan, Ethan/Ethylen, Chlor, Synthesegas und Schwefelsäure. Aus ihnen lässt sich ein Produktstammbaum ableiten, der sich immer weiter verzweigt und schließlich zu den Tausenden von bekannten Endprodukten führt.
Bioraffinerien haben zum Ziel, analog zu den petrochemischen Produktstammbäumen Syntheseschemata zu entwickeln, durch die ausgehend von pflanzlichen Stoffen eine Vielzahl chemischer Strukturen zugänglich wird. Die Plattformchemikalien sind in diesem Fall jedoch andere, denn pflanzliche Rohstoffe haben ein ganz anderes C/H/O-Verhältnis als fossile Rohstoffe. So sieht man sich in der Regel stärker funktionalisierten Edukten gegenüber, die gezielt defunktionalisiert werden sollen. Hierbei entstehen komplexe Gemische, die aufwendig getrennt werden müssen. Das geht zu Lasten der Ausbeute und der Energiebilanz und stellt eine der Hürden für den Wechsel „vom Öl zum Acker“ dar: Denn die bisherigen Synthesewege sind in der Regel nicht zur Verarbeitung pflanzlicher Ausgangsstoffe geeignet. Stattdessen müssen völlig neue Verfahren auf der Basis anderer Plattformchemikalien entwickelt werden. Das erfordert z. B. auch neue Katalysatoren und Trenntechniken.
Biokraftstoffe als Vorbild
Hilfreich für die Entwicklung alternativer Produktstammbäume waren die Erfahrungen mit Biokraftstoffen der ersten und zweiten Generation. Die Gewinnung von Ethanol und Glycerin (als Nebenprodukt der Biodieselproduktion) ist gut erforscht und im industriellen Maßstab etabliert, sodass diese Stoffe als Plattformchemikalien in großem Volumen zur Verfügung stehen. Ein weiteres Beispiel für eine Plattformchemikalie aus nachwachsenden Rohstoffen ist Zucker. Das US-Department of Energy hat 2005 eine Liste von 30 Basischemikalien aufgestellt, die von Zucker aus zugänglich sind und den Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer Strukturen bilden.
Grundgedanke der integrierten Bioraffinerie ist es, möglichst große Anteile der Biomasse nutzbar zu machen. Dafür müssen hochmolekulare Strukturen wie Cellulose, Stärke oder Lignin gezielt aufgespalten werden. Deshalb haben die Konzepte der Bioraffinerien entscheidende Impulse durch die Fortschritte der Biotechnologie bekommen, die viele pflanzliche Moleküle erst für die weitere Verarbeitung zugänglich machen können. Enzyme und Mikroorganismen können viele Molekularstrukturen knacken, die chemisch nur unter drastischen Bedingungen aufgeschlossen werden können.
Angesichts der Vielfalt der pflanzlichen Ausgangsstoffe hat sich in den letzten Jahren eine Reihe unterschiedlicher Bioraffinerieansätze entwickelt, die nach der Art der eingesetzten Biomasse unterschieden werden. Grüne Bioraffinerien sollen feuchtes Material wie Gras oder andere Grünpflanzen nutzen. Getreide-Bioraffinerien bauen auf der Stärke aus Getreide und Lignocellulose-Rückständen auf. Daraus wird z. B. Polymilchsäure hergestellt, die in Form von Biokunststoffen weiterverarbeitet wird.
Die Lignocellulose-Bioraffinerie strebt eine möglichst weitgehende Verwertung von Holz und pflanzlichen Reststoffen wie Stroh oder Spelzen an. Da das Problem der Nahrungsmittelkonkurrenz hier nicht vorliegt, konzentrieren sich derzeit viele Anstrengungen auf dieses Konzept. Lignocellulosehaltige Materialien bestehen aus drei primären Fraktionen, den Hemicellulosen, der Cellulose und dem Lignin sowie weiteren extrahierbaren, teilweise wirtschaftlich sehr interessanten Stoffen wie Terpenen. Als Plattformchemikalien sind aus den Hemicellulosen Xylose und andere C5- und C6-Zucker zugänglich. Auch Furane, Polyalkohole und aliphatische Amine können aus der Hemicellulose-Fraktion gewonnen werden. Die Cellulose wird entweder direkt modifiziert oder zu Glukose umgesetzt. Für die Wirtschaftlichkeit ausschlaggebend ist die Nutzung des anfallenden Lignins, eines Phenolpolymers. Es kann beispielsweise in Kunstharzen als Ersatz für Phenole zum Einsatz kommen oder zu niedermolekularen Phenolen konvertiert werden.
Investieren lohnt sich
Die Wirtschaftlichkeit von Verfahren auf Basis nachwachsender Rohstoffe hängt in großem Maß von der Entwicklung des Ölpreises ab. Der Rückgang im letzten Jahr hat dazu geführt, dass Firmen vor großen Investitionen in Bioraffinerien zurückschrecken. Doch auf lange Sicht werden die Preise wieder steigen, während die Verfahren zum Einsatz nachwachsender Rohstoffe immer ausgereifter und damit wirtschaftlicher werden. Zwar weisen auch viele nachwachsende Rohstoffe eine Kopplung mit dem Ölpreis auf, doch liefert die Abhängigkeit von den Ölstaaten ein zusätzliches Argument aus politischer Sicht, denn sie kann durch nachwachsende Rohstoffe reduziert werden. Vieles spricht also dafür, jetzt in die Entwicklung solcher Verfahren zu investieren.
Halle 4.2, Stand H8
Online-Info www.cav.de/0509535
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