Die Lebensmittelindustrie birgt insgesamt ein enormes Einsparpotenzial, um ressourcenschonender zu agieren: Nach Angaben des International Panel on Climate Change der Vereinten Nationen ist die Lebensmittelproduktion für 21 bis 37 % aller menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich und trägt damit wesentlich zum Klimawandel bei.
Entsprechend hoch sind die Erwartungen der Verbraucher an lebensmittelproduzierende Unternehmen ebenso wie an die Produkte. Laut der Trendumfrage 2021 der Marktforscher von Innova Market Insights erwartet jeder Dritte weltweit, dass Unternehmen in Nachhaltigkeit investieren, und zwei von fünf Verbrauchern sind bereit, für Lebensmittel und Getränke tiefer in die Tasche zu greifen, wenn diese einen Beitrag zur globalen CO2-Reduktion leisten. Covid-19 hat diesem Thema zusätzlichen Schub gegeben: Europäische Verbraucher setzen zunehmend auf lokale und regionale Produkte und honorieren Bestrebungen, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
Mit Blick auf diese gestiegenen Verbraucheranforderungen bietet die Fi Europe und Hi Europe, die vom 30. November bis zum 2. Dezember in der Messe Frankfurt sowie ab dem 22. November virtuell stattfindet, den Fachbesuchern Lösungen und Inspiration zum Thema Nachhaltigkeit. Im Vergleich zur Gesamtfläche der Messe nehmen die Ausstellungsbereiche „Natural Zone“ und „Organic Zone“ deutlich mehr Raum ein. Verschiedene Ansätze zeigen Innovationsgeist und die Bandbreite der Forschungen in diesem Bereich – ob effizientere Anlagen für eine CO2-neutrale Produktion oder tierische Zellkulturen aus dem Labor als Alternative zu Meeresfrüchten aus Wildfang.
Um glaubwürdig zu sein und in Sachen Nachhaltigkeit beim Verbraucher zu punkten, ist heute eine konsistente Strategie entscheidend, die ökologische, ethische und soziale Kriterien über die gesamte Lieferkette hinweg berücksichtigt.
Rohstoffbeschaffung
Von Kaffee über Schokolade bis hin zu Fertigprodukten – Verpackungsclaims und -siegel zur Herkunft einzelner Komponenten, ob Fair Trade, UTZ oder RSPO nehmen zu. Und dabei geht es längst nicht nur um Informationen zu einzelnen Rohstoffen und deren Qualität, sondern um sämtliche „Neben- und Wechselwirkungen“, die dessen Anbau und Handel mit sich bringen. Verbraucher sind oftmals nur bereit, höhere Preise für zertifizierte Lebensmittel zu zahlen, wenn das Gesamtkonzept stimmig ist: Das Nachhaltigkeitskonto einer Avocado, bei der allein die Transportemissionen per Flugzeug immens zu Buche schlagen, kann auch ein Bio-Siegel nicht ausgleichen. Unternehmen, die die Fallstricke ihrer Lieferkette angehen, etwa mit Tracking-Systemen, können bei Verbrauchern Boden gut machen.
Fleischalternativen
Dem Thema konsistente Nachhaltigkeit sehen sich auch Hersteller von pflanzlichen Alternativen zu Fleisch, Fisch und Molkereiprodukten gegenüber. Gerade die Massentierhaltung wird aus ethischen Gründen wie auch aufgrund ihres hohen Ressourcenverbrauchs und einem erheblichen CO2-Fußabdruck kritisiert. Alternative tierische Proteine, zum Beispiel aus Insekten, oder pflanzliche Fleischalternativen werden daher immer attraktiver. Da Verbraucher dem Klassiker Soja jedoch zunehmend kritisch gegenüberstehen – Soja gilt als einer der Haupttreiber für die Zerstörung großer Regenwaldareale – erobern neue Zutaten aus Weizen, Erbsen, Mykoprotein, Algen oder Favabohnen den Markt. Doch auch hier gilt: Die Herstellung von Texturaten und Proteinisolaten aus pflanzlichen Quellen ist eine aufwendige und energieintensive Verarbeitungstechnologie, und, um in Sachen Proteingehalt und sensorischen Eigenschaften mit dem Original tierischen Ursprungs mithalten zu können, sind Hilfsstoffe oft unerlässlich. Moderne Verfahren wie die Präzisionsfermentation können die Herstellung von täuschend echtem Fleischanalog deutlich vereinfachen.
Clean Label
Was als Trend begonnen hatte, ist beinahe zur Norm geworden: Ging es Verbrauchern zunächst um eine verständliche, übersichtliche Zutatenliste ohne E-Nummern, spielt inzwischen Natürlichkeit im Allgemeinen eine große Rolle. Auch wenn Konsumenten bei minimal verarbeiteten Zutaten geneigt sind, von einfachen und damit ressourcenschonenden Prozessen ausgehen – das Gegenteil ist oft der Fall. Kaum ein Naturprodukt ist sofort und ohne Aufbereitung für die industrielle Verarbeitung geeignet. Es gilt, natürliche Qualitätsschwankungen auszugleichen oder störende Eigenschaften wie Färbung oder Beigeschmack zu neutralisieren. Zudem müssen Unternehmen, die nicht nur auf einzelne natürliche Inhaltsstoffe setzen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, intensiv in neue, umweltfreundliche Extraktionstechnologien investieren.
Ingredient-Upcycling
Nach Angaben der Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen landet über die gesamte Lieferkette hinweg ein Drittel der für den menschlichen Verzehr produzierten Lebensmittel im Müll. Daher sind Upcycling-Lösungen auch für Lebensmittelinhaltsstoffe eine valide Möglichkeit, Abfall zu reduzieren und nebenbei Produktionskosten einzusparen. Nebenprodukte der Kaffeeherstellung werden zum Beispiel für Lebensmittelfarbstoffe und Wellnessprodukte verwendet. Bei der Ölproduktion anfallende entfettete Samen von Sonnenblumen, Haselnüssen, Kokosnüssen, Sesam & Co. kommen mittlerweile als Proteinmehl zur Anreicherung von Lebensmitteln oder als Alternative zu Milcheiweiß in veganer Schokolade zum Einsatz. Aus Trester der Gemüsesaftherstellung entstehen funktionelle Ballaststoffe. Und Neben- und Abfallprodukte aus der Shrimpsverarbeitung werden als alternative Proteinquellen neu verwertet.
Nachhaltigkeit auf der Messe
Das Thema Nachhaltigkeit wird auf der Agenda der Fi und Hi Europe eine zentrale Rolle spielen. Als virtuelle Angebote behandeln die Start-up Innovation Challenge, die Innovation Awards und die Fi Conference Themen wie Upcycling, alternative Beschaffung und effizientere Herstellungsprozesse. Vor Ort in Frankfurt widmen sich die Präsentationen im Innovation Hub und die New Product Zone diesen Megatrends. Auch die Messe selbst will einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten: mit energiesparender LED-Beleuchtung in den Messehallen, dem Einsatz erneuerbarer Energien und der Abfallreduzierung, beispielsweise durch die Verwendung von recycelbaren Messeteppichen und, neu in diesem Jahr, der Ersatz von Eintrittstickets und Printmaterialen durch QR-Codes sowie eine umfassende Event-App.
Informa Markets B.V., Amsterdam, Niederlande
Autorin Katrin Wagner
Freie Journalistin