Lebensmittel werden häufig im Internet beworben. Ein Post eines beliebten Influencers reicht – und schon steigt die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt rapide an. Binnen 24 Stunden ist der komplette Lagerbestand aller Onlineshops aufgebraucht. Die Großhändler erhöhen die Bestellmengen – und der Hersteller steht vor dem Problem, dass er in der kurzen Zeit die unerwarteten Aufträge unmöglich produzieren kann.
Dieses Szenario betrifft laut Wlady Martino, Verpackungsexperte bei B&R mittlerweile immer mehr Maschinenbetreiber. Martino: „Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem herkömmliche Maschinen nicht mehr mit den Anforderungen der produzierenden Industrie und letztlich den Anforderungen der Konsumenten mithalten können.“
Vier neue Herausforderungen
Martino hat vier gravierende Herausforderungen identifiziert, vor denen die Hersteller von verpackten Produkten stehen:
- Die Variantenvielfalt nimmt rapide zu
- Die Losgrößen variieren immer mehr
- Die Produktnachfrage schwankt stark und unvorhersehbar
- Der Lebenszyklus einzelner Produkte wird immer kürzer
„Die ganze Welt spricht von Losgröße 1 als größter Herausforderung der Produktion der Zukunft“, sagt Martino. „Doch wenn ich mit Maschinenbauern und -betreibern rede, stellt sich heraus, dass sie nicht allein die Losgröße vor neue Herausforderungen stellt. Es ist vielmehr die Kombination aus immer mehr Produktvarianten, die in stark variierenden Losgrößen und sehr kurzfristig produziert werden müssen.“
Ein weiterer Faktor ist der Lebenszyklus der Produkte. Wurden Produkte früher mehrere Jahre lang einheitlich produziert und verpackt, hat sich dieser Zeitraum teilweise auf ein Jahr oder weniger verkürzt. Saison- oder Aktionsware wird häufig sogar nur wenige Wochen produziert. Ein Extremfall sind komplett individuelle Produkte. „Diese werden ein einziges Mal in einer Losgröße von einem Stück produziert“, so Martino.
Merkmale der adaptiven Maschine
Verpackungsmaschinen sind in den letzten Jahren zwar flexibler geworden, doch diese Flexibilität reicht für die neuen Anforderungen nicht mehr aus. Es braucht einen neuen Maschinentyp: die adaptive Maschine. Diese muss vier Kerneigenschaften aufweisen:
- Wirtschaftliche Produktion kleiner Losgrößen
- Formatwechsel ohne Stillstandszeiten
- Fähigkeit, Produkte zu fertigen, die derzeit noch nicht bekannt sind
- Schnelle Maschinenverfügbarkeit für neue Produkte
Wenn die Variantenvielfalt größer und die Losgrößen variabler werden, haben Umrüstzeiten einen größeren Einfluss auf die Verfügbarkeit und die Produktivität einer Maschine. Daher muss eine adaptive Maschine einen Formatwechsel auf Knopfdruck ermöglichen und idealerweise sogar verschiedene Produkte gleichzeitig fertigen können.
Und eine adaptive Maschine muss auch Produkte herstellen können, die bei ihrer Entwicklung noch nicht bekannt waren. Daher stammt auch der Name adaptive Maschine – Die Maschine passt sich an das benötigte Produkt an. So wird die Zeit bis zur Markteinführung neuer Produkte massiv verkürzt.
Technologien für die Umsetzung
Zur Umsetzung der adaptiven Maschine müssen bestehende und neue Technologien zu einer Gesamtlösung verschmolzen werden. Die Technologien sind in erster Linie:
- Track-Systeme
- Vision-Systeme
- Roboter
- Digitale Zwillinge
Herkömmliche Maschinen arbeiten fast ausschließlich sequenziell, also mit einem Transportband und damit synchronisierten Bearbeitungsstationen. Martino: „Auf dieser Basis lässt sich eine adaptive Maschine nicht umsetzen.“ Daher bilden intelligente Transportsysteme, sogenannte Track-Systeme, das Rückgrat des neuen Maschinentyps. Sie ermöglichen, dass jedes Produkt individuell durch den Produktionsprozess transportiert werden kann. Zudem lassen sich zeitintensive Prozesse parallelisieren, indem der Produktfluss durch Weichen auf mehrere Bearbeitungsstationen aufgeteilt und nachher wieder zusammengeführt wird. Mit intelligenten Track-Systemen ist es sogar möglich, Produkte zwischen zwei Shuttles einzuklemmen und so zu transportieren. So kann im Prinzip jedes Produkt individuelle Abmessungen und Formen aufweisen, ohne dass Umrüstungen notwendig sind. Die Software passt automatisch den Abstand der zwei Shuttles an das Produkt an.
Für eine reibungslose Produktion muss jedes Produkt exakt reproduzierbar zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer eindeutigen Stelle sein. Wechseln die Produkte aber ständig, wäre es zu aufwendig, die Mechanik immer manuell anzupassen. Die Lösung dafür ist ein intelligentes Vision-System. Es erkennt automatisch Form, Orientierung und Größe eines Produktes und kann diese Information in weniger als einer Millisekunde an einen Roboter weitergeben. Dieser nimmt das Produkt blitzschnell auf und platziert es mit der gewünschten Ausrichtung auf einem Shuttle eines Tracksystems.
Digitaler Zwilling ersetzt Prototyp
Neben der Hardware-Technologien, die in einem einheitlichen System kombiniert werden, muss auch eine einheitliche und benutzerfreundlichen Automatisierungs-Software zur Verfügung stehen. Besonders wichtig ist auch die Simulation. „Ohne einen digitalen Zwilling werden wir es nicht schaffen, neue Produkte ohne Umrüstzeiten und Prototypen zu fertigen“, so Martino. Mit dem digitalen Zwilling kann vor der Produktion der komplette Prozess simuliert werden. So lassen sich eventuelle Probleme im Voraus erkennen und vermeiden. „Mit einer adaptiven Maschine können Hersteller von Konsumgütern schnell und wirtschaftlich auf sich ändernde Anforderungen eingehen“, erläutert Martino abschließend.
B&R Industrie-Electronic GmbH, Bad Homburg
Die adaptive Maschine: Lösungen von B&R
Das Rückgrat der adaptiven Maschine von B&R bildet das Transportsystem Acopacstrak. Damit können Produkte auf Shuttles schnell und flexibel von Bearbeitungsstation zu Bearbeitungsstation transportiert werden. Die hochskalierbare, dezentrale Architektur des Transportsystems besteht aus Edelstahl-Tracksegmenten, die in beliebiger Kombination aus offenen und geschlossenen Kreisläufen auf eine Länge von über 100 m angeordnet werden können. Hochgeschwindigkeitsweichen leiten die Shuttles bei voller Produktionsgeschwindigkeit von einem Trackkreislauf zum nächsten und erleichtern so Aufteilung und Zusammenführung von Produktströmen. Das Vision-System aus Kameras, intelligenten Bilderverarbeitungsalgorithmen und Beleuchtung
erkennt Form, Orientierung und Größe des Produktes. Ein Roboter nimmt das Produkt daraufhin auf und platziert es mit der gewünschten Ausrichtung auf einem Shuttle des Tracksystems. Die Integration des Roboters in die Maschine erspart einen separaten Schaltschrank sowie Steuerung und Achscontroller. Mit dem digitalen Zwilling lässt sich die Leistungsfähigkeit des Systems bereits in der Konzeptphase abschätzen und einfach optimieren.