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Am Beginn einer neuen Ära

Die Digitalisierung rückt Mensch und Maschine zusammen
Am Beginn einer neuen Ära

Geht es um Industrie 4.0, sprechen Experten längst von der digitalen Transformation und nicht mehr wie in der anfänglichen Euphorie von einer Revolution – ein klares Zeichen, dass es sich um einen Wandel handelt, bei dem der Mensch weiterhin im Mittelpunkt der Produktion steht. Er ist zunehmend Problemlöser, Entscheider und Innovator. Cobots und selbstlernende Assistenzsysteme unterstützen ihn bei seinen Aufgaben.

Noch gibt es die Smart Food Factory nicht. Doch dem anhaltenden Trend der Digitalisierung kann sich auch die Lebensmittelindustrie nicht entziehen. Ein wesentlicher Baustein und Katalysator für diese Entwicklung ist die Robotik. Um die Produktion für die digitale Zukunft zu rüsten, statten immer mehr Lebensmittelproduzenten ihre Verarbeitungs- und Verpackungslinien mit schnellen Delta-Pickern und leistungsstarken Knickarmrobotern mit bis zu einer Tonne Traglast aus. „Roboter arbeiten mit höchster Präzision und werden – vernetzt mit dem Internet der Dinge – eine Schlüsselrolle in neuen digitalen Fertigungsumgebungen spielen“, meint Joe Gemma, Präsident der International Federation of Robotics (IFR). Bis 2020 erhöht sich der weltweite Bestand an Industrierobotern auf über drei Millionen Einheiten, Tendenz steigend – so die jüngste IFR-Prognose. Das rasant wachsende Modellangebot erweitert die Einsatzmöglichkeiten für Industrieroboter und „gibt Betrieben aller Unternehmensgrößen die Chance, flexibel zu automatisieren“, so der Experte. Doch das allein reicht nicht. Damit Fabriken zu Smart Factories werden, braucht es einen Mix aus innovativer Automationstechnik und künstlicher Intelligenz.

Das Ende der Käfighaltung

Nun schlägt die Robotik ein neues Kapitel auf und installiert sogenannte Cobots, die direkt mit dem Menschen in einem gemeinsamen Arbeitsbereich zusammenarbeiten – ganz ohne Käfig oder Schutzzaun. Zum Einsatz kommen gelenkige Leichtbauroboter mit geringerer Traglast und oftmals langsamerem Bewegungstempo, wodurch sie weniger gefährlich sind. Sie sollen ihre menschlichen Kollegen bei monotonen und ergonomisch ungünstigen Arbeiten entlasten, bei denen keine Fehler gemacht werden dürfen. Typische Einsatzgebiete sind Pick-and-Place-Applikationen, das Handling zwischen verschiedenen Produktionsschritten oder Follow-the-Line-Anwendungen, bei denen der Roboter eine vorgegebene Bewegungsbahn exakt ausführen muss, beispielsweise beim Schneiden und Portionieren von Fleisch oder dem Dekorieren von Torten. Der noch junge Markt für Cobots ist zuletzt stark gewachsen – und dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Nach der Studie „Collaborative robots market – global forecast to 2023“ von Markets and Markets soll sich der globale Absatz von kollaborativen Robotern im Vergleich zu 2018 auf 210 000 Exemplare verzehnfachen. Und auch die IFR erwartet für leichte Industrieroboter mit einer Nutzlast bis zu 20 kg im gleichen Zeitraum eine Verdoppelung der Verkaufszahlen auf jährlich 147 000 Exemplare.

Oberstes Gebot: Safety first!

Für Lebensmittelproduzenten besteht die Herausforderung vor allem darin, die maschinellen Helfer optimal in die Produktionsabläufe einzubinden. Ein wichtiger Bestandteil der Risikobeurteilung ist es, auf die Kollisionsgefahren zwischen kollaborierendem Roboter und den Mitarbeitern zu achten. Je intensiver Mensch und Maschine zusammenarbeiten, desto strenger sind die Sicherheitsregeln – diesem Gebot folgt die technische Umsetzung jeder Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK). Dabei wird das gesamte Layout der Anlage unter die Lupe genommen. Das schwäbische Familienunternehmen Pilz aus Ostfildern bei Stuttgart unterstützt dabei. Um Roboter einsatzbereit für MRK-Applikationen zu machen, bietet das Unternehmen ein umfassendes Portfolio an Sicherheitstechnik. Dazu zählen Trittmatten, die erkennen, wenn sich ein Mensch nähert, damit der Cobot seine Arbeitsgeschwindigkeit auf ein gefahrloses Niveau verringert oder in den Sicherheitshalt schaltet; taktile Häute, welche die Roboterarme wie Kleidung umhüllen und seine Bewegungen bei menschlicher Annäherung steuern. Hinzu kommen Sensoren, Kamerasysteme zur dreidimensionalen Raumüberwachung und Laserscanner, die den Roboter blockieren, sobald ihre Strahlen unterbrochen werden. In der Oberliga der MKR spielen Cobots, die sich mittels Leistungs- und Kraftbegrenzung so flexibel wie ein Werkzeug in den Arbeitsalltag des Menschen integrieren lassen. Dazu sind entsprechende Kollisionsmessungen zur Bestimmung der biomechanischen Belastungen, sprich Kraft und Druck, einer Person durchzuführen. Die ISO/TS 15066 stellt verschiedene Kollaborationskonzepte dar und beschreibt die dafür notwendigen Voraussetzungen. Neben Anforderungen hinsichtlich des Designs und der Risikobeurteilung der Roboterapplikation, beinhaltet sie eine Forschungsstudie zum Thema menschliche Schmerzgrenze versus Robotergeschwindigkeit, Belastung und Auswirkungen auf definierte Körperteile.

Mehr Sicherheit dank Sensorhaut

Ausgestattet mit komplexen Safety-Paketen, können Cobots Personen und Hindernisse im Umfeld erkennen und in Echtzeit darauf reagieren – bis hin zum Safe Stop. Stellvertretend für diesen Typus steht der TX2 Touch, den Stäubli für die Sekundärverpackung entwickelt hat. Bei ihm sorgt eine berührungssensitive Oberfläche dafür, dass der Sechsachser durch bloßes Antippen stoppt. Nähert sich eine Person dem Arbeitsbereich des Roboters, erkennt er dies über systemintegrierte Sensoren und drosselt sofort die Geschwindigkeit. Die Konstrukteure aus Bayreuth haben für die neuen Modelle auf die TX2-Baureihe zurückgegriffen, die es in vielen Varianten gibt, darunter Reinraum-, Feuchtraum- und Lebensmittelversionen. Warum der Anbieter auf die Entwicklung eines speziellen Cobots verzichtet, bringt Stäubli-Robotics-Chef Gerald Vogt auf den Punkt: „Reine Assistenzroboter unterliegen deutlichen Einschränkungen hinsichtlich Traglast, Dynamik, Reichweite oder Präzision. Genau das wollten wir nicht. Wir wollten unsere TX2-Standardroboter für die direkte Zusammenarbeit mit Menschen qualifizieren, dabei aber deren volles Leistungspotenzial erhalten.“

Hand in Hand mit dem menschlichen Kollegen

Wie schnell wegweisende Robotikentwicklungen den Weg von der Messe- in die Fabrikhalle finden, zeigte sich Mitte Juni auf der Automatica in München. Egal ob Pick and Place, Verpacken, Etikettieren oder Palettieren: In der Verpackung sowie in der Logistik sieht Helmut Schmid, Geschäftsführer bei Universal Robots, in den kommenden Jahren ein enormes Potenzial für die Leichtbaurobotik und die Mensch-Roboter-Kollaboration: „Die aktuellen Trends stellen Produzenten vor immer komplexere Herausforderungen. Unsere kollaborierenden Roboter können dabei unterstützen, die Automatisierung ihrer Verpackungslinien weiter voranzutreiben.“ Für den Einstieg in die MKR bietet das Unternehmen die sechsgliedrigen Knickarmroboter UR3, UR5 und UR10. Sie können nach erfolgreich abgeschlossener Risikobeurteilung ohne oder nur mit minimalen Schutzvorrichtungen direkt neben den menschlichen Kollegen arbeiten und diese von monotonen und gesundheitsschädigenden Tätigkeiten entlasten. Durch ihre Flexibilität und einfache Programmierung bieten sie für kleinere und mittlere Unternehmen eine kostengünstige Lösung, um einen höheren Automatisierungsgrad zu realisieren.

Arbeiten mit selbstlernenden Assistenten

Roboter, die sich in der Arbeitsgeschwindigkeit und Bedienungssprache dem Menschen anpassen und ihn so in seinem Arbeitsablauf unterstützen, zählen noch zu den Ausnahmen in der Lebensmittelindustrie. Sie zeigen aber, dass die Prozessautomation eine Richtung einschlägt, bei der Menschen weiterhin im Mittelpunkt stehen. Dass dabei nicht nur Cobots eine Rolle spielen, verdeutlicht das Forschungsprojekt von Andre Schult vom Fraunhofer IVV in Dresden. Auch seine Vision ist nicht die einer vollautomatisierten und menschenleeren Fabrik. „Mit seinen Händen und Augen ist der Mensch flexibler und besser als viele Roboter oder Kameras“, so Andre Schult. Der Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass Produktions- und Verpackungsprozesse in der Lebensmittelindustrie besonders effizient ablaufen, wenn die Erfahrung von Menschen einbezogen wird, die die Anlage bedienen. Damit dieses Erfahrungswissen allen Bedienern zu jeder Zeit zur Verfügung steht, entwickeln Andre Schult und sein Team das selbstlernende Assistenzsystem SAM. Es beobachtet Anlagenzustände und Bedieneraktionen und speichert Lösungsstrategien ab. Bei den Algorithmen des maschinellen Lernens, die SAM einsetzt, geht es „nicht darum, den Anlagenbediener zu ersetzen, sondern den Prozessablauf besser zu machen“, so der Gruppenleiter für Digitalisierung und Prozesseffizienz am Fraunhofer IVV (lesen Sie dazu das folgende Interview). Seine jüngsten Ergebnisse stellt Schult am 24. Oktober in Berlin im Rahmen des diesjährigen VVD-Anwenderforums vor. Themenschwerpunkte sind selbstlernende Bediener-Assistenzsysteme, psychologische Aspekte in der Mensch-Maschine-Interaktion, VR-/AR-Umgebungen, virtuelle Inbetriebnahmen, digitale Zwillinge sowie innovative Konzepte zur Interaktion von Mensch und Maschine.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: dei1018digitalisierung


Autorin: Mareike Bähnisch

Freie Fachjournalistin

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