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Keine Chance für Betrüger

Strategien im Kampf gegen Food Fraud
Keine Chance für Betrüger

Mit der neuen Kontrollverordnung Nr. 2017/625, die ab Dezember gilt, widmet sich die EU der Verhinderung von Food Fraud – der Fälschung von Rohstoffen und dem Betrug mit unechten Lebensmitteln. Das setzt die Hersteller unter Zugzwang: Sie müssen ihr Risikomanagement konkretisieren und ihre Lieferanten und Lieferketten genau im Blick haben. Doch erst die modernen Methoden des Food Profilings geben Sicherheit.

Handelt es sich wirklich um echtes Olivenöl? Und stammen die Früchte aus Italien, wie es der Lieferant zusagt? Für den Lebensmittelproduzenten spielt die Authentizität als Qualitätsmerkmal eine immer größere Rolle – schließlich muss er sicher sein, genau das zu verkaufen, was er auf dem Etikett auslobt. Keine leichte Aufgabe, denn die klassische Analytik stößt hier schnell an ihre Grenzen. Sie gibt Aufschluss über die Qualitätskriterien eines Olivenöls und eignet sich, um beispielsweise die Fettsäurezusammensetzung zu bestimmen, nicht aber, um die Herkunft nachzuweisen. „Die Authentizität von Lebensmitteln ist ein zunehmend kritisches Thema in allen Bereichen der komplexen und globalen Beschaffungskette“, erklärt Prof. Dr. Markus Fischer, Direktor der Hamburg School of Food Science an der Universität Hamburg. Das Thema Produktfälschung, auch als Food Fraud bezeichnet, umfasst nicht nur die absichtliche Um- bzw. Falschetikettierung von Billig- zu Premiumprodukten, sondern auch das Strecken mit minderwertigeren Bestandteilen. Angaben zur Identität oder zur Herkunft von Rohstoffen können grundsätzlich durch Kontrolle von Dokumenten wie Lieferscheinen oder Rechnungen überprüft werden. Doch „in der Praxis hat sich dieses Verfahren vor allem bei geschickten Manipulationen oft als nicht ausreichend erwiesen, sodass die Notwendigkeit sicherer, analytischer Strategien besteht“, so der promovierte Lebensmittelchemiker.

Multi-Marker-Analyse im Hochdurchsatz

Die Kernspinresonanzspektroskopie (engl. Nuclear Magnetic Resonance Spectroscopy, kurz NMR) ist solch ein Messverfahren, das eine schnelle Authentizitätsprüfung erlaubt. Das Prinzip: Durch Einwirkung eines äußeren Magnetfelds lassen sich die Signale aller Atomkerne einer Probe erfassen. Das Ergebnis ist ein spezifischer Fingerabdruck, der mit den Profilen authentischer Proben in einer umfangreichen Datenbank verglichen werden kann. Die Technologie dafür liefert beispielsweise Bruker mit dem NMR-Foodscreener. Er kann neben der Analyse von Honig auch für Wein- und Saftanalysen eingesetzt werden. Dank Multi-Marker-Analyse ermöglicht der Foodscreener das Erkennen bekannter, unerwarteter sowie bisher unbekannter Verfälschungen. Beispielsweise im Falle von Fruchtsaft. Mehr als 30 Substanzen sind für seine Beurteilung entscheidend. „Die Auswertung basiert auf regelmäßig aktualisierten Datenbanken mit über 20 000 Referenzsäften, die rund um den Globus gezogen werden“, erklärt Dr. Andreas Juadjur, der das Verfahren am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück nutzt. „Abweichungen weisen auf Probleme hin, wie sie etwa für das Hinzufügen von Zucker charakteristisch sind“, so der Wissenschaftler gegenüber dei. Die Klassifizierung ermöglicht es, unter ähnlichen Obstarten wie Orange, Blutorange und Mandarine zu unterscheiden. Und damit nicht genug: Das Verfahren kann die geographische Herkunft feststellen und zwischen Direktsaft und verdünntem Saft unterscheiden (mehr dazu im Interview im Anschluss).

Hersteller unter Zugzwang

Gerade hochwertige und hochpreisige Lebensmittel stehen permanent in der Gefahr, Gegenstand gewerbsmäßiger Betrügereien zu werden. Olivenöl, Milch, Honig und Safran – das sind laut Information der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Food Fraud“ die fälschungsanfälligsten Lebensmittel überhaupt. Alleine 25 % davon entfallen auf Olivenöl. Doch nicht immer geschehen Verfälschungen aus krimineller Absicht. Vermischungen und Beimengungen minderwertiger Ware können bereits bei der Ernte oder Produktion auftreten. Zum Beispiel, wenn unterschiedliche Qualitätsstufen pflanzlicher Rohstoffe nahe beieinander angebaut werden oder wenn auf derselben Linie unterschiedliche Produkte hergestellt werden. Dementsprechend entwickelt sich das Thema immer mehr zu einem Schwerpunkt der nationalen und internationalen Überwachungsbehörden. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, dass Food Fraud mit der Verordnung Nr. 2017/625, die ab Mitte Dezember vollständig Anwendung findet, zum verpflichtenden Thema aller Mitgliedsstaaten wird. Vor diesem Hintergrund kommt neuen Methoden zur Kontrolle der Authentizität bzw. des Nachweises von Lebensmittelbetrug eine immer größere Bedeutung zu.

Steigender Bedarf an hochauflösenden Screenings

Wissenschaftler wie Markus Fischer entwickeln deshalb robuste analytische Methoden, die eine zeitnahe Überprüfung der Echtheit vor allem bei Rohware ermöglichen. Dazu nutzen er und sein Hamburger Team die Methoden des Food Profilings. Je nach Fragestellung wird die Gesamtheit der DNA, der Proteine, der Stoffwechselprodukte und der Element- bzw. der Isotopenprofile analysiert. Die hierfür angewendeten Technologien – Genomics, Proteomics, Metabolomics und Isotopolomics – basieren u.a. auf DNA-Sequenzierungsverfahren oder spektroskopischen Methoden. Markus Fischer ist überzeugt, dass die Nachfrage nach hochauflösenden Screening-Verfahren in Zukunft weiter zunehmen wird. Ziel seiner jüngsten Forschung ist es, molekularbiologische Methoden zu entwickeln, die eine Reinheitskontrolle von Marzipan sowie die Unterscheidung süßer und bitterer Mandelsorten zulassen. Dafür vergleicht er die extrachromosomalen Genomsequenzen. Bislang fehlt es den Unternehmen der Rohmassenindustrie und den Abnehmern von Marzipan an den Möglichkeiten dafür. Mit den Arbeiten des laufenden IGF-Projektes des FEI könnte sich dies zum Jahresende ändern.

Größte Datenbank für Rind- und Schweinefleisch

Auch Dr. Markus Boner hat es sich zum Ziel gesetzt, die Authentizität von Lebensmitteln und die Transparenz entlang der Lieferketten zu stärken. Der Geschäftsführer der Agroisolab GmbH zählt zu den Experten für die Herkunftsbestimmung von Lebensmitteln und sonstigen biologischen Proben. Sein Spezialgebiet: die Stabil-Isotopen-Analytik mittels Isotopen-Massenspektroskopie. Was staubtrocken klingt, „liefert in der Praxis spannende detektivische Einblicke in die wahre Herkunft von Lebensmitteln“, sagt Markus Boner. „Möglich wird dies durch den physikalischen Fingerabdruck, der jedes biologische Material kennzeichnet.“ Wissenschaftlich gesehen handelt es sich dabei um das Isotopenverhältnis von Elementen wie Sauerstoff, Wasserstoff oder Stickstoff. Isotope sind unterschiedliche Varianten dieser ubiquitär vorkommenden Elemente, die sich lediglich in der Anzahl der Neutronen im Atomkern und damit in ihrer Masse unterscheiden. Diese Isotope stehen in jeder Region der Welt in einem bestimmten Verhältnis zueinander – und genau dieses Verhältnis misst Markus Boner in seinem Labor. Bereits zu Zeiten der BSE-Krise um die Jahrtausendwende hatte er sich, zunächst noch am Forschungszentrum Jülich, mit dem Herkunftsnachweis von Rindfleisch beschäftigt. Heute verfügt er über die weltweit größten Herkunftsdatenbanken für Rind- und Schweinefleisch. Doch nicht nur das: Sein Labor geht illegalen Tropenholz- und Elfenbeinlieferungen ebenso auf den Grund wie der Frage, ob der im Handel angebotene Kaviar aus einer deutschen Störzuchtanlage stammt oder von einem Wildfang des vom Aussterben bedrohten Fisches aus dem Kaspischen Meer. Markus Boner weiß, wie sensibel die Themen Herkunft und Food Fraud sind: „Hier laufen viele Fäden zusammen: Qualität, Umwelt, Nachhaltigkeit, Glaubwürdigkeit. Das alles sind Signalwörter in der öffentlichen Wahrnehmung, heute mehr denn je.“

Eine Erfahrung, die Dr. Wolfgang Weber ebenfalls gemacht hat: „Die Qualitätsverantwortlichen in den Lebensmittelunternehmen stehen unter immer stärkerer Beobachtung durch den Handel und die Verbraucher. Die Hersteller können und wollen sich dieser Verantwortung nicht entziehen, sondern nehmen die neuen Herausforderungen, die sich aus den globalen Warenströmen ergeben, sehr ernst. Hierfür sind sie auf spezialisierte Analytikpartner angewiesen, die sie mit moderner Technologie unterstützen.“

Mehr Sicherheit durch engere Kooperation

Aus diesem Grund hat sich Wolfgang Weber mit seinem in Berlin ansässigen IFP-Institut für Produktqualität jüngst mit Markus Boner und der Jülicher Agroisolab GmbH gesellschaftsrechtlich verbunden. Gemeinsam wollen die beiden Wissenschaftler so die Voraussetzungen schaffen, um das Thema Food Fraud in seiner ganzen Bandbreite europaweit abzudecken und dafür zu sorgen, dass die Lieferketten transparent und die im Handel angebotenen Endprodukte authentisch bleiben. Aktuell arbeiten die beiden Unternehmen daran, ein Siegel herauszugeben, welches für den Verbraucher klar ersichtlich macht, dass ein Produkt in Bezug auf seine Herkunft und Authentizität geprüft und für „echt“ befunden wurde. Werden Probleme wie Food Fraud damit schon bald der Vergangenheit angehören? Markus Boner und Wolfgang Weber sind überzeugt, dass zukünftig noch viel Arbeit auf sie zukommt, aber „am Ende gewinnt die Analytik“, so die beiden Experten.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: dei0619foodfraud


Autorin Mareike Bähnisch

Freie Fachjournalistin

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