Herr Juadjur, die erste Frage, die sich Verantwortlichen in der Produktentwicklung stellt, ist, wie sie Rohstoffverfälschungen erkennen können. In der NMR-Spektroskopie sehen Sie ein Verfahren, das dieses erlaubt …
Dr. Andreas Juadjur: Die NMR ist eine sehr verlässliche Methode, die vielseitig für sämtliche organische Verbindungen einsetzbar ist und bei Rohwaren- und Reinheitskontrollen oftmals die aufwendige und teure Analytik ersetzen kann. In den meisten Fällen kann mit nur einer Analyse des Inhaltsstoffprofiles bereits eine ausreichend sichere Aussage getroffen werden, ob die Zusammensetzung der
Lebensmittelprobe natürlich ist, oder ob ihr z. B. etwas künstlich zugesetzt wurde. Voraussetzung sind allerdings bereits vorhandene Referenzmessungen authentischer Proben.
Wie zügig liefert die NMR die Ergebnisse?
Juadjur: Das Verfahren benötigt bei den meisten analytischen Problemstellungen lediglich 20 Minuten, um an die vielfältigen Informationen einer Lebensmittelprobe zu gelangen. Das NMR-Spektrum wird anschließend mit einer Datenbank abgeglichen und nach einer weiteren Minute stehen die gewünschten Informationen, wie die Herkunft und der Zuckergehalt eines Orangensaftes, zur Verfügung. Aufgrund des schnellen und sicheren physikalischen Messprinzips findet die Methode immer breitere und vielfältigere Anwendungen in der Analytik und Lebensmittelsicherheit.
Experten wie Sie sprechen hier auch vom Fingerabdruck der Lebensmittelproben …
Juadjur: Ja, genau. Bereits kleine Unterschiede im Spektrum der
Inhaltsstoffe können ausreichen, um Rückschlüsse auf die Art, die Herkunft oder die Bearbeitung zu erlangen. Somit kann, bei vorliegenden Referenzmessungen, eine schnelle und solide Aussage
gefasst werden, beispielsweise ob ein synthetischer Farbstoff einer natürlichen Lebensmittelprobe zugesetzt wurde. Weiterhin zeichnet sich die NMR-Spektroskopie dadurch aus, dass targeted und non-targeted Analytik innerhalb einer Messung möglich ist.
Das bedeutet?
Juadjur: Dass sich auch Inhaltsstoffe detektieren lassen, nach denen nicht direkt gesucht wurde, bzw. die nicht direkt in dem Lebensmittelprodukt vermutet wurden. So wird ein ganzheitliches Bild der Lebensmittelprobe durch die NMR dargestellt. Allerdings dient die Messung nicht nur zur Kontrolle der Lebensmittel und ihrer Qualität.
Sondern?
Juadjur: Vielmehr können damit auch lebensmitteltechnologische Prozesse begleitet und verbessert werden, da die NMR-Spektroskopie durch die Verarbeitung hervorgerufene Einflüsse auf die Lebensmittel und ihre Inhaltsstoffe, sehr sicher detektiert. Seit Eröffnung unseres NMR-Labors am DIL haben wir vielen Herstellern bei der Optimierung ihrer Produkte helfen können, indem wir z. B. in einem Fall die Ursache einer unerwünschten Verfärbung identifiziert haben. Wenn erst einmal das Problem bekannt ist, findet sich meist sehr schnell eine technologisch zufriedenstellende Lösung.
Wofür lässt sich die Methode außerdem nutzen?
Juadjur: Für Tests auf Lagerfähigkeit beziehungsweise Stabilität von Lebensmitteln eignet sich das Analyseverfahren ebenfalls hervorragend. Dazu werden in zeitlichen Abständen NMR-Spektren der
Proben unter verschiedenen Lagerbedingungen miteinander verglichen. Verändern sich wertgebende Inhaltsstoffe im Verlauf der
Lagerung, so verändern sich auch die resultierenden NMR-Spektren.
Wie gehen sie bei den Messungen vor?
Juadjur: Im Anschluss an die Probenvorbereitung wird die Lebensmittelprobe in das NMR transferiert und analysiert. Durch die aufgenommenen Signale entsteht ein für die Probe spezifisches NMR-Spektrum. Die Signale innerhalb des Spektrums werden nach Integration für die statistischen Auswertungen sowie zu Konzentrationsbestimmungen bestimmter Inhaltsstoffe verwendet. Basierend auf dem NMR-Spektrum wird ein Prüfbericht ausgestellt, der zum einen Informationen über Herkunft und Art der Lebensmittelprobe enthält und zum anderen Aufschluss über mehrere Qualitätsparameter gibt.
Geht es um den Nachweis von Food Fraud, so hat sich Ihr Labor auf die Herkunfts- und Authentizitätsbestimmung von Honig, Fruchtsaft und Wein spezialisiert. Welche Referenzen ziehen Sie für den Vergleich der Proben heran?
Juadjur: Dafür kooperieren wir mit Bruker BioSpin. Die Zusammenarbeit ermöglicht uns die Nutzung von spektroskopischen Datenbanken und somit eine umfassende statistische Auswertung.
Worauf beruhen die Datenbanken?
Juadjur: Auf NMR-Spektren authentischer Lebensmittelproben. Im Falle von Fruchtsäften – dem SGF-Profiling – beinhaltet die Datenbank mehr als 20 000 Referenzproben zum statistischen Datenabgleich, die an Produktionsstätten der ganzen Welt gezogen wurden und regelmäßig aktualisiert werden.
Welche Verfälschungen sind in Honig, Wein und Fruchtsäften typischerweise zu finden?
Juadjur: Die Verfälschungen können sehr vielfältig sein. Angefangen vom Zufügen von Fremdzucker bis hin zum Zusatz von möglicherweise krebserregenden Textilfarbstoffen, die in Lebensmitteln verboten sind. Beispielsweise können hohe Konzentrationen bestimmter Säuren, wie etwa Ameisensäure, daraufhin deuten, dass die für die Weinherstellung verwendeten Trauben von einem unkontrollierten Befall mit Edelfäule betroffen waren. Auch mögliche Lebensmittelverfälschungen, beispielsweise die Zugabe von Sirup zu Honig, detektieren wir über die Signale bestimmter Zucker oder über fehlende Aminosäuresignale im Spektrum.
Wird sich das Anwendungsspektrum erneut erweitern, sodass Sie künftig noch weitere Lebensmittel und Rohstoffe kontrollieren können?
Juadjur: Das NMR zeigt viele verschiedene Anwendungsgebiete auf, die wir hier am DIL bereits umsetzen. Ursprünglich wird die NMR für die Strukturaufklärung organischer Verbindungen genutzt. Im Lebensmittelbereich eröffnen sich aber noch viele weitere Möglichkeiten.
Zum Beispiel?
Juadjur: Neben der Authentizitäts- und Qualitätsanalytik für Wein, Honig und Fruchtsaft wird in naher Zukunft Olivenöl hinzukommen. Außerdem arbeitet das DIL an weiteren Nachweissystemen für verschiedenste Problemstellungen. Zum Beispiel wird an dem Herkunfts- und Qualitätsnachweis von tierischen Lebensmitteln wie Rindfleisch und Ei gearbeitet. Auch im Bereich von natürlichen Lebensmittelfarbstoffen, und für Lebensmittel nicht zugelassenen und verbotenen synthetischen Farbstoffen, bearbeiten wir aktuell ein Projekt und können schon jetzt möglicherweise krebserregende
Textilfarbstoffe in färbenden Lebensmitteln und Gewürzextrakten detektieren und so bei fragwürdigen Produkten sicherstellen, dass diese erst gar nicht in das Endprodukt gelangen.
Inwiefern unterscheiden sich die Analysen?
Juadjur: Allen voran in der Probenvorbereitung gibt es je nach
Lebensmittel große Unterschiede. Bei Fruchtsaft, Wein und Honig beschränkt sich die Vorbereitung auf Zentrifugation, pH-Wert-Einstellung und Zugabe eines internen Standards und ist somit kein zeitlich großer Aufwand. Bei Fleisch ist die Probenvorbereitung
aufwendiger, da das Fleisch zunächst zerkleinert, abgewogen und homogenisiert werden muss. Im Anschluss werden nach Fällung unerwünschter Bestandteile die interessanten Metabolite extrahiert, eingetrocknet und in einem, für die NMR-Messung notwendigen Puffer, versetzt mit einem internen Standard, wieder aufgenommen.
Suchwort: dei0619dil
„Am DIL arbeiten wir an weiteren Nachweissystemen für verschiedenste Problemstellungen – so auch am Herkunfts- und Qualitätsnachweis von tierischen Lebensmitteln wie Rindfleisch und Ei.“