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Eckpunkte für eine zukunftsfähige Chemieindustrie

Klimaneutrale Transformation in Krisenzeiten
Eckpunkte für eine zukunftsfähige Chemieindustrie

Die Zukunft der Chemie- und Pharmaindustrie angesichts der aktuellen Krise: Um nichts Geringeres ging es bei der Mitgliederverssamlung des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) am 29. September 2022 in Berlin. Das Treffen fiel mit dem Aus für die Gasumlage durch die Bundesregierung zusammen, was der VCI angesichts der angespannten Energie- und Rohstofflage begrüßt. Außerdem wählten die Mitglieder den neuen VCI-Präsidenten.

Die Nachricht, dass die Bundesregierung das Aus für die Gasumlage beschlossen hat und stattdessen mit einem Volumen von bis zu 200 Mrd. Euro Verbraucher und Unternehmen bei der Energieversorgung unterstützt, hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Die hohen Energie- und Rohstoffkosten zwangen die Chemiebranche schon im zweiten Quartal 2022, ihre Produktion deutlich zu drosseln. Seither hat sich die Lage dramatisch zugespitzt, wie der scheidende VCI-Präsident und Vorstandsvorsitzender der Evonik AG, Christian Kullmann und Dr. Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender der Covestro AG, bei der VCI-Mitgliederversammlung in Berlin betonten. Zuvor meldete der VCI, dass sich bereits seit Juli die Meldungen mehren, dass einzelne Produktionsanlagen in der Grundstoffchemie stillgelegt werden. Bei einzelnen wichtigen Grundstoffen käme es schon zu Versorgungsengpässen mit erheblichen Auswirkungen auf die weiteren Produktionsketten. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des VCI, forderte daher Unterstützung für die Wirtschaft durch einen Strom- und Gaspreisdeckel. „Ohne Chemie steht unser Land still“, sagte er in Berlin. Als die Entscheidung am Nachmittag schließlich gefallen war, begrüßte Große Entrup die Ankündigung einer Energiepreisbremse und das Aus für die Gasumlage: „Das ist ein wichtiger Befreiungsschlag. Geklotzt und nicht gekleckert. Jetzt brauchen wir Tempo bei den Details, denn immer mehr Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Chance für eine Atempause durch die Preisbremse muss jetzt genutzt werden, um gemeinsam die Strukturen zu schaffen, die uns durch die schwierigen nächsten beiden Winter bringen.“

Die Geschäftserwartungen sind im Keller

Konsenspapier zur Zukunft der deutschen Chemieindustrie

Trotz Preisbremse bleiben die Kosten für Energie und Rohstoffe aber nach wie vor hoch. Wie soll man damit umgehen? Auf der Mitgliederversammlung nahm dieses Thema großen Raum ein. Der VCI sprach gemeinsam mit dem Zentrum Liberale Moderne sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, chemischer Industrie und Umweltverbänden darüber, wie die Herausforderungen der aktuellen Krisenzeit gemeistert werde können. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand das Konsenspapier „Eckpunkte zur Zukunft der deutschen Cheimieindustrie“, das der VCI gemeinsam mit dem Zentrum Liberale Moderne erstellt hat. Zwischen Juli 2021 und April 2022 als haben die beiden Organisationen mit Vertreterinnen und Vertretern der chemischen Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbänden sowie Politikerinnen und Politikern von SPD, Grünen, FDP und CDU diskutiert, wie die Zukunft der Branche erfolgreich gestaltet werden kann. Das Konsenspapier fasst die während der Fachgespräche entwickelten Ideen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Chemieindustrie zusammen.

Die Diskussionen zwischen den unterschiedlichen Akteuren waren geprägt vom Willen, gemeinsame Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen zu finden. Dabei wurden Differenzen und Streitpunkte nicht ausgeklammert. Große Einigkeit bestand aber im Ziel, eine nachhaltige Chemieindustrie entlang der ökonomischen, ökologischen sowie sozialen Dimension in Deutschland zu halten und weiterzuentwickeln.

Ein Großteil der Gespräche fand vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 statt. Dementsprechend wurden Annahmen getroffen, die zwar weiterhin von großer Relevanz für die Zukunft der chemischen Industrie sind, aber momentan verschärft oder angepasst werden müssen. Angesichts der aktuellen Situation mahnte Dr. Steilmann: „Da wir in der chemischen Industrie große Mengen Erdgas als Rohstoff benötigen, muss aktuell jedes kW ans Netz, also alle Kohlkraftwerke und auch Atmokraftwerke, um die Stromerzeugung zu sichrn. Auch Öl als Energieträger muss aktuell ins Auge gefasst werden.“

Klimaneutrale Transformation der chemischen Industrie

Dennoch soll und muss die klimaneutrale Transformation der chemischen Industrie weiter vorangetrieben werden. Darüber waren sich alle Teilnehmer der Dikussionsrunde „Energie und Klima“ einig und nahmen Bezug auf das Eckpunktepapier. Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz betonte: „Wir müssen schneller werden bei der Genehmigung von Windrädern und bei der Umrüstung von Chemieanlagen.“ Das Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP) ermögliche in der aktuellen Situation Unternehmen durch temporäre Zuschüsse zu gestiegenen Erdgas- und Strompreisen zu entlasten. Daneben schafft die Regierung Anreize für die Umrüstung auf alternative Energiequellen. So kann selbsterzeugter grüner Strom von allen Abgaben freigestellt werden, wenn er vor selbst Ort verbraucht wird. Und der Markthochlauf von grünem Wasserstoff wird stark gefördert, um hier ein höheres Tempo erreichen. Die größte Herausforderung beim Transformationsprozess sah Dr. Steilmann beim Ausbau der der alternativen Stromerzeugung. Um die Klimaziele zu erreichen, werden in der Branche jährlich etwa 500 TWh Strom aus erneuerbaren Energiequellen sowie ca. 7 Mio. t treibhausgasarmer Wasserstoff benötigt, so steht es im Eckpunktepapier. Im Jahr 2021 lag der Strombedarf für ganz Deutschland bei 565 TWh und nur etwa die hälfte stammt aus erneurbaren Energien. Die Bundesregierung hat sich zwar zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 den Strom aus erneuerbaren Energien zu verdoppeln. Laut Dr. Steilmann kann das aber nicht für die Versorgung aller Branchen mit grünem Strom ausreichen. Um Klimaneutralität schnell zu ermöglichen, sollten alle Technologien miteinander im Wettbewerb stehen. Dabei werde auch Erdgas als komplementäre Brückentechnologie beim Aufbau eines klimaneutralen Energiesystems benötigt. Die weiteren Teilnehmer der Runde, Ralf Fücks (Zentrum Liberale Moderne), Paul Münnich (Agora Energiewende) und Bernd Westphal (SPD) waren sich ebenfalls einig, dass das Tempo nun angezogen werden müsse.

Dekarbonisierung von Chemieparks – Jürgen Vormann, Infraserv Höchst

Kreislaufwirtschaft in der chemischen Industrie

Kreislaufwirtschaft ist das zweite große Thema im Eckpunktepapier. Ralf Fücks, Dr. Markus Steilemann, Rebecca Tauer (WWF) und Judith Skudelny (FDP) bildeten hier das Diskussionspanel auf der Mitgliederversammlung. Rebecca Tauer betonte, dass die größte Herausforderung sei, das Thema Kreislaufwirtschaft breit zu denken. Produkte müssten von Anfang an so gestaltet werden, dass die Rohstoffe solange wie möglich im Kreislauf geführt werden können. Hier sehe sie die Chemieindustrie mit ihren Innovationen als Enablaer für die Langlebigkeit der Produkte. Dr. Steilmann pflichtete dem bei und ergänzte: „Wenn es darum geht Stoffe im Kreislauf zu halten, müssen wir technologieoffen denken, denn es ist keine Lösung beispielweise Kunststoffverpackungen durch andere Materialen zu ersetzen, die dann ebenfalls weggewschmissen werden. Der Weg muss in die Richtung Mehrweglösungen und chemisches Recycling gehen.“

Ralf Fücks resümierte, dass das Ziel einer klimaneutralen Industriegesellschaft im Kern sein muss, den Kohlenstoff im Kreislauf zu führen. Das beinhalte auch CO2 aus der Atmosphäre nach dem Prinzip der Photosynthese in chemische Rohstoffe umzuwandeln. Für die chemische Industrie könne CO2-Recycling dann die Basis für die Substitution von Öl und Erdgas als Basisrohstoff sein.

Weitere Diskussionspunkte in Berlin waren die Zukunft der deutschen Pharmaindustrie, der Beitrag der Chemie zu einer modernen Landwirtschaft und die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS). Alle drei Punkte werden ebenfall im Eckpunktepaier behandelt.

Neuer VCI-Präsident gewählt

Schließlich wählte die Mitgliederversammlung in Berlin Dr. Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender der Covestro AG, als neuen Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie. Dr. Steilemann folgt turnusgemäß auf Evonik-Chef Christian Kullmann, der als Mitglied des VCI-Präsidiums bestätigt wurde. Die Amtszeit dauert zwei Jahre. „Ich trete dieses Amt in Zeiten an, die für die deutsche Chemie noch nie so ernst und herausfordernd waren wie jetzt. Unsere Unternehmen sind Innovationsmotor und Rückgrat der Wirtschaft“, sagte Dr. Steilemann und betonte: „Nur mit einer starken Wirtschaft können wir die Herausforderungen in unserem Land bewältigen – ökonomisch, ökologisch und sozial. Dafür setze ich mich in den kommenden zwei Jahren als VCI-Präsident ein.“

Autorin: Daniela Held

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