Spezielle Anforderungen führen zu einem tiefgreifenden Umdenken bei der Realisierung von Investitionsprojekten. Es gilt, die Erfordernisse einer beschleunigten Markteinführung zu erfüllen, die ausufernden Capex-Investitionen in den Griff zu bekommen und dabei eine Vielzahl spezifisch wirkender Pharmazeutika, im Extremfall auf einzelne Patienten zugeschnitten, wirtschaftlich bereitzustellen. In der Vergangenheit war die Projektdurchführung maßgeblich von einem Split der Realisierungsphasen bestimmt, die an unterschiedliche Anbieter vergeben wurden:
- Concept und Basic Design, an einen Prozess und Facility Consultant
- Detail Engineering an eines der Öl/Gas/Chemie/Pharma-Designhäuser
- Project und Construction Management plus Unterstützung im Procurement, an einen im Bausektor etablierten Anbieter
- Qualifizierung/Validierung der Facility im Pharmabereich unter der Federführung
eines CQV Consultants
Heute fordert der Life-Sciences-Markt hingegen spezialisierte Generalisten. Gefragt sind Projektpartner, die als Generalplaner bzw. Single Point of Contact agieren und das gesamte EPCMv-Spektrum (Engineering, Procurement, Construction Management und Qualifizierung/ Validation) unter Vermeidung unnötiger Schnittstellen abbilden können. Dabei ist nicht die schiere Größe des EPCMv-Anbieters entscheidend, sondern die Kompetenz in den Schlüsseldisziplinen Projektmanagement, Prozess Design und CQV (Commissioning/Qualifizierung/Validierung). Es gilt das qualitative, kommerzielle und terminliche Projektcontrolling mit der überragenden Bedeutung der Baustellensicherheit zu verknüpfen.
Schlüsselfaktor Projekt-Controlling
Erfahrene Projektleiter verfügen über die Kernkompetenzen in Design und Realisierung und sind betriebswirtschaftliche Manager, die die übergeordneten Projektziele im Auge behalten und konsequent umset-zen. Ein wichtiger Faktor dabei ist das
Controlling über die gesamte Laufzeit des ganzen Projekts hinweg, vom Beginn der
Finanzierungsplanung an. Die TIC (Total
Invest Cost) eines Investitionsprojektes sind eine der wertvollsten Vorgaben des Kunden an die Engineering-Partner. Neben der
eigentlichen Erstfassung der URB (User Requirement Brief, Vorläufer der eigentlichen URS – User Requirement Specification) sind die finanziellen Vorgaben einer der zentralen Anhaltspunkte, um das Capex-Anlagenprojekt erfolgreich zu gestalten.
Das Projekt-Controlling startet mit der initialen Projektplanung, endet mit dem Projektrückblick und ist in jeden Abschnitt der Realisierungsphase involviert. Die Projektziele Sicherheit, Kosten, Terminplan und Qualität sowie die daraus abgeleiteten, detaillierten Sub-Ziele sind zwingend gesamtheitlich zu betrachten. Dabei ist aber auch Augenmaß gefragt: Zu viel Kontrolle ist zeitaufwendig, zu wenig ist mit Risiko behaftet. Die Betrachtung möglicher Risiken startet mit einem Workshop, an dem Interessenvertreter aus allen Bereichen des EPCMv-Teams und der Bauherr teilnehmen. Zur Unterstützung und Anleitung der Teilnehmer arbeitet man am besten mit Standard-Checklisten. Der Einsatz von Risikomanagement-Software, beispielsweise REXS (VTUs Risk EXpert System), ermöglicht eine rasche Erstellung von Berichten und ein nachvollziehbares Management der Maßnahmenlisten nach Bedarf.
Pre-Construction Services als Basis
Weitere wichtige Aspekte bei der gesamtverantwortlichen Realisierung von Investitionsprojekten sind die sogenannten Pre-Construction Services. Dieser häufig unterschätzte Part bietet eine notwendige und solide Basis für den Erfolg in der anschließenden Realisierungsphase. Lange bevor der erste Baukran in Bewegung gesetzt wird, führen Spezialisten gemeinsam mit dem Design-Team sogenannte Constructability Reviews durch und betrachten dabei unter anderem folgende Schlüsselthemen:
- Baustellen-Logistik, Zugang der Subunternehmer, sichere Zwischenlagerung von Baumaterialien, sichere Abfallbewirtschaftung und die Bodenbeschaffenheit
- Sequenzierung der wichtigsten Bauphasen
- Priorisierung spezifischer Bereiche/Aktivitäten – Layout und Details der Tiefbaugewerke
- Details und Spezifikationen zu Baustahl/Verkleidung/Brandschutz
- Modularer Reinraum versus Stick-Build-Optionen
- Modularisierung des Baus hinsichtlich Bau, TGA und Prozess Equipment
Untersucht man diese Punkte, lassen sich in der Ausführungsphase deutlich besser integrierte Planungs- und Realisierungsterminpläne für alle Gewerke erstellen. Die vollständige Integration von Bau, Prozess und TGA ermöglicht wahre Qualitätssprünge, da Schnittstellen zu Nahtstellen werden. Ein eindeutiges Verständnis aller involvierten Parteien bezüglich des Gesamt-Realisierungsterminplans, einschließlich der Bau-Sequenzierung, der kritischen Pfade und der Anforderungen an die Subunternehmer, trägt außerdem zu einem reibungslosen Ablauf der Bauphase und last, but not least zu mehr Sicherheit auf Baustellen – Safety first!
Verzahnte Interaktion
Viele Bauherren greifen inzwischen auf einen umfassenden Support im Procurement zurück. Dabei ist es unerheblich, welches Vertragsmodell der Projektabwicklung, EPCMv genauso wie EPC Open Book oder schlüsselfertige Lieferungen, sie gewählt haben. Der Vorteil ist, dass die gesamte Lieferkette gemäß den Anforderungen des Projektes abgebildet werden kann. Nicht nur die klassischen Beschaffungsaspekte wie Ausschreibung, Angebotsbewertung und die Bestellauslösung werden abgedeckt, sondern auch das Expediting, also die Überwachung und Betreuung vom Kauf bis zur Lieferung. Erfahrene Projektpartner liefern sowohl Desktop als auch Field Support, und managen die damit zusammenhängende Logistik und Materialausgabe an Unterlieferanten auf der Baustelle. Als exemplarisches Beispiel der verzahnten Interaktion innerhalb eines Investitionsprojektes kann die detaillierte Beschaffungsmatrix angeführt werden. Sie schließt nahtlos an den Design-Prozess an und umfasst alle Stufen, beispielsweise Ausschreibungsverfahren, die Vergabe von Paketen, Spezifikationen und/oder Ausführungszeichnungen und sie definiert unter anderem kritische Long Lead-Pakete.
Sowohl die Matrix als auch der Beschaffungsterminplan bilden alle Gewerke innerhalb des gesamten Projektes ab. Die Beschaffungsmatrix definiert die Meilensteine für alle Gewerke zusammen mit Start-/Stopp-Terminen, Vorlaufzeiten inklusive der voraussichtlichen Lieferzeiten von Equipments und ist idealerweise mit dem Master-Terminplan interaktiv verknüpft.
Die Errichtung eines neuen Produktionsgebäudes im Rahmen des Projekts „Biotest Next Level“ ist ein Beispiel für eine gesamtverantwortliche Umsetzung durch die VTU Group als Generalplaner. Der Ausbau der Anlage zur Blutplasmafraktionierung und Aufreinigung am Biotest-Standort Dreieich umfasste die Errichtung eines Produktionsgebäudes inkl. Prozessanlagen sowie Plasmaläger, Energie- und Medienversorgung, Labore, Abwasseraufbereitung, Logistikeinrichtungen und Infrastruktur. Das Kernteam von VTU bestand in der Hochphase des Projekts aus rund 50 Mitarbeitern, das gesamte Generalplanerteam aus rund 180 Mitarbeitern. In der Planung und Ausführung des Projekts waren mehr als 100 Unternehmen beteiligt, die alle durch VTU koordiniert wurden. Ein anderes Beispiel ist die kurz vor der Finalisierung stehende Produktionsanlage für monoklonale Antikörper bei einem Schweizer Großkonzern.
Der digitale „Bob der Baumeister“
Die digitale Durchdringung der Fertigungsindustrie verstärkt den Trend zur modularen Bauweise. Nicht nur Prozessanlagen werden als Skids oder Superskid geplant und realisiert, sondern auch die Technische Gebäudeausrüstung und Reinräume bis hin zu vollständig integrierten Raum-/Lüftung-/Prozess-Modulen. Die Reviews erfolgen mit modernsten Virtual-Reality-Anwendungen. Die optimale Visualisierung mittels VR-Technologie bietet ein besseres Anlagenverständnis und ermöglicht schnelle Freigabeprozesse. Die Integration aller Gewerke in eine gesamtheitliche 3D-Planung, ein durchdachtes Space Management, das Kollisionen der verschiedenen Gewerke vermeidet, und vor allem eine gut dokumentierte Clash-Control-Abwicklung ermöglichen die reibungslose Montage der vorgefertigten Module, die mittels Sattelschlepper auf die Baustelle gebracht werden. Diese Module werden beim Lieferanten bereits weitestgehend einer Kommisionierung und Qualifizierung (C&Q) unterzogen. Der Leverage-Effekt dieser C&Q-Dokumente am Bestimmungsort schlägt sich in einer verkürzten Inbetriebnahmephase und signifikanten Einsparungen von on-site-C&Q-Prozeduren nieder.
VTU GmbH, A-Raaba-Grambach
Bild: VTU