Für das Verpacken von Infusionsflaschen genügen eine geringere Reinraumklasse und längere Reinigungsintervalle als für deren Produktion. Deshalb wollte ein Pharmaunternehmen diese Prozesse trennen, auch um die Verpackung der Vials an nur einer Stelle zu konzentrieren und so die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Für die Konstruktion und den Bau einer Verpackungs- und einer im Wesentlichen gleichartigen Entpackungsanlage wendete sich das Pharmaunternehmen an die Dessl Maschinenbau GmbH in Schwaz (Tirol), die u. a. auf die Entwicklung von Sondermaschinen für die Pharmaindustrie spezialisiert ist.
Die Anlage sollte in der Lage sein, im vollautomatischen Betrieb, von Reinigungspausen abgesehen rund um die Uhr, pro Minute durchschnittlich 320 Flaschen in Euronorm-Transportbehälter zu verpacken. Das beinhaltet auch das Entpalettieren der leeren und das Palettieren der vollen Behälter. Die Infusionsflaschen können hierbei unterschiedliche Höhen und Durchmesser aufweisen, sodass zur besseren Raumausnutzung in den nachfolgenden Prozessen Behälter mit verschiedenen Höhen verwendet werden müssen. Zudem war die Standfläche der Anlage einschließlich der Palettenstellplätze mit 3 x 3 m eng begrenzt.
Innovative Robotiklösung
„Die Herausforderung war, eine Anlage zu konzipieren, die das gesamte Handling der Vials und Behälter in einer kompakten Zelle zusammenfasst“, beschreibt Daniel Angerer, Entwicklungsleiter und stellvertretender Geschäftsführer von Dessl Maschinenbau, die Aufgabe. Für ihn kam für die Anlage, die unter dem Namen Dessl Collector auch anderen Kunden angeboten wird, nur eine Lösung mit einem Sechsachs-Knickarmroboter als zentralem Element des vollautomatischen Handlingsystems infrage. „Bei jeder anderen Lösung würde es einiges an Zeit kosten, die Trajektorien in den Griff zu bekommen“, erklärt er. „Im Gegensatz dazu ist die Positionierung des Werkzeugmittelpunktes TCP beim Roboter eine Routineaufgabe und die sechs Achsen ermöglichen den einfachen Ausgleich von Lageungenauigkeiten.“
Nachdem die Behälter auf einer Palette in die Anlage kommen, werden sie vermessen, von der Palette genommen, positioniert, mit den Flaschen befüllt und zum Weitertransport auf einer weiteren Palette abgelegt. Ursprünglich bestand die Absicht, genormte Kleinladungsträger (KLT) als Transportbehälter für die Infusionsflaschen zu verwenden. Um Glasbruch zuverlässig zu vermeiden, konstruierten die Dessl-Techniker Container mit einer patentierten federnden Mechanik zur Fixierung unterschiedlicher Vials. Dies erlaubt das Lagern mehrerer Größen in ein und demselben Behälter.
Eine Förderschnecke bringt die Infusionsflaschen in geordnetem Abstand in Position. Mittels eines im Haus entwickelten Sauggreifers nimmt der Roboter eine Zeile mit der dem Format entsprechenden Anzahl von Vials auf und setzt diese im Behälter ab, der zuvor an eine schräg geneigte Befüllungsposition gefördert wird. Ist dieser voll, wird er vom selben Roboter palettiert.
Mit dem entsprechenden Gegenstück der Anlage werden die Vials aus den Behältern vom Robotersystem entnommen. Der patentierte Federmechanismus stabilisiert das Legemuster der Vials während des Transports und gewährleistet dadurch einen reibungsfreien Entladeprozess. Ebenso kann die Anlage im Linienverbund bei Problemen in nachfolgenden Prozessen im Linienverbund die Vials zwischenpuffern. Dies verhindert einen Stillstand der vorgeschalteten Anlagen. Dabei handelt es sich meist um Abfüllanlagen in steriler Umgebung mit entsprechend hohen Stillstandskosten.
Serienmäßig pharmatauglich
Wegen seiner Spezialisierung auf Anlagen für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie muss Dessl Maschinenbau deren Kriterien auch bei der Auswahl der Roboter anlegen. „Bei unserem ersten Roboterprojekt im Jahr 2013 haben wir unterschiedliche Fabrikate und Modelle evaluiert“, erinnert sich Angerer. „Da Stäubli als einziger unsere Anforderungen mit allen Modellen kompromisslos erfüllen konnte, besteht seit damals eine enge Partnerschaft zwischen unseren Unternehmen.“
Alle Stäubli-Roboter sind aufgrund ihrer geschlossenen Bauweise in den Schutzklassen IP 65 und IP 67 einfach zu reinigen. Zudem entsprechen sie im Standard der Reinraumklasse ISO 5 und eignen sich daher besonders gut für die Verwendung in Pharmaprozessen. Die ISO-Klasse 5, bei der keine Partikel mit 5 µm oder mehr in der Luft sein dürfen, entspricht der Reinheitsklasse A gemäß EG-GMP-Leitfaden.
Voll ausgenutzter Arbeitsraum
Die eigenentwickelten und produzierten Getriebe verleihen den Stäubli-Robotern nicht nur eine hohe Positionier- und Wiederholgenauigkeit sowie eine ruhige und vibrationsarme Bewegung. Sie erleichtern auch die Ausführung der Roboter in geschlossener Bauweise mit einem dichten Sockel und innenliegenden Leitungen. So lassen sich trotz der schlanken Bauform Störkonturen vermeiden.
„Zugleich gibt uns der kugelförmige Arbeitsbereich der Stäubli-Roboter alle Freiheitsgrade der Bewegung für die optimale Ausnutzung des Arbeitsraumes“, betont Angerer. „Da der Roboter neben dem Befüllen und Entleeren auch beide Palettenstellplätze unabhängig von der Stapelhöhe erreichen muss, wählten wir den Stäubli RX160L.“ Das L steht für die Langarmversion, die dem RX160 eine Reichweite von 2010 mm verleiht, und das bei einer maximalen Traglast von immerhin 20 kg. Diese ist völlig ausreichend, denn ein befüllter Behälter wiegt etwa 8 kg, noch einmal so viel das im Haus konstruierte und gefertigte Handlingsystem, das alle Bearbeitungsschritte vom Boxhandling bis hin zum Handling der bruchempfindlichen Vials in einer Einheit darstellt.
Integrierte Entwicklung
Die Robotersteuerung CS8C von Stäubli ist mit der Gesamtsteuerung der Maschine über Profinet verbunden. Die Programmierung erfolgte offline mittels der Stäubli-Robotics-Suite. Dabei erfolgte nach dem Importieren der CAD-Modelle von Roboter, Maschine und Greifer auch eine realistische Simulation der Roboterbewegungen, um die Zykluszeiten zu ermitteln und Kollisionen bereits bei der Entwicklung zu verhindern.
„Den digitalen Zwilling der Anlage in der Stäubli-Robotics-Suite testen zu können, sorgte für eine stark verkürzte Inbetriebnahmephase mit wenig Anpassungen“, bestätigt Angerer. „Auch um die Zuverlässigkeit und Wartungsarmut des Dessl Collectors brauchen wir uns mit dem Stäubli RX160L als zentrales Element keine Sorgen zu machen.“
Stäubli Tec-Systems GmbH Robotics, Bayreuth