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Der Apotheke entwachsen

Industrielle Herstellung von Individualarzneimitteln
Der Apotheke entwachsen

Eine patientenindividuelle Dosierung von Arzneimitteln kann den Therapieerfolg deutlich steigern. Gleichzeitig kann der Patient besser vor unerwünschten Nebenwirkungen geschützt werden. Vor diesem Hintergrund wurde das Wiesbadener Unternehmen Aukamm Pharma GmbH & Co. KG gegründet. Es stellt im großen Maßstab speziell auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnittene medizinische Produkte wie Zytostatikalösungen her. Das Besondere dabei ist das Reinraumzonenkonzept – Klasse A in Klasse D.

Autorin Daniela Held, Redakteurin, Pharmaproduktion

Gerade eine Behandlung mit Zytostatika gleicht einer Gratwanderung zwischen erwünschten und unerwünschten Wirkungen. Die für die Therapie verwendeten Substanzen sind zum großen Teil toxisch oder mutagen. Häufig muss nicht nur mit Zytostatika, sondern gleichzeitig mit einer Reihe begleitender Arzneimittel behandelt werden. Auch reagieren die Tumorzellen auf bestimmte Zytostatikakonzentrationen von Patient zu Patient unterschiedlich sensibel. Hinzu kommt, dass sich der körperliche Zustand eines Patienten durch die Erkrankung selbst oder auch durch die Therapie während der Behandlung verändern kann. Für den Erfolg und die Verträglichkeit einer Chemotherapie ist daher eine Dosisindividualisierung von entscheidender Bedeutung.
Mit einem neuen Konzept zur Herstellung solcher patientenindividueller Zytostatikalösungen, klinischer Prüfmuster und weiterer individueller Medizinpräparate ging am 17. Juni 2009 das Unternehmen Aukamm Pharma in Wiesbaden an den Start. Das Besondere bei der Herstellung ist, dass in einem Reinraum der Klasse A produziert wird, der sich in einem Reinraum der Klasse D befindet. Das Gesamtkonzept ist ein Prototyp. Es ist eine Gemeinschaftsentwicklung der schweizerischen Skan AG und der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik (APV). In zwei Skan-Isolatoren werden die Produkte im Auftrag von onkolgischen Zentren und Kliniken hergestellt.
Die umgebenden Reinräume Klasse D samt Schleuse sind unter Verwendung von vollflächigen Wänden aus 12 mm Einscheibensicherheitsglas als „Haus im Haus“ konstruiert. Diese Lösung hat den Vorteil, dass die Oberflächen leicht zu reinigen sind und der Raum von allen Seiten gut einzusehen ist.
Enger Kontakt zum Therapeuten
Aukamm Pharma beliefert im Rhein-Main-Gebiet 10 Krankenhäuser und etwa 200 Arztpraxen mit den individuell hergestellten medizinischen Produkten. „Wir wollen nur Patienten bedienen, die wir auch erreichen können“, erklärt Martin Hofmann, Geschäftsführer der Aukamm Pharma GmbH das Geschäftsmodell. Ihm ist der enge Kontakt zwischen der Apotheke und dem behandelnten Arzt besonders wichtig. „Das führt letztendlich zu einer höheren Sicherheit für die Patienten. Patientendaten und Therapieschema werden vom behandelnden Arzt an uns übermittelt. Bei jedem neuen Auftrag gleichen wir die Patientendaten mit dem Therapieschema und der Erkrankung ab, um zu kontrollieren, ob die Therapiedosis zum Patienten passt und ob die Begleitmedikation stimmig ist zur Therapie,“ beschreibt Hofmann die Vorgehensweise.
Die Therapieanforderung für die Zytostatikalösungen wird in der Regel am Vorabend eingereicht. Für die Dosierung der Zytostatika wird die Körperoberfläche der Patienten herangezogen. Diese lässt sich aus dem Gewicht und der Größe des Patienten abschätzen. Aukamm Pharma geht noch einen Schritt weiter und bestimmt nicht nur die Körperoberfläche, sondern kontrolliert mittels Bioimpedanzanalyse auch die Körperzusammensetzung (Fett, Eiweiß, Wasser) des Patienten, um die richtige Dosierung festzulegen. Für die Herstellung von Dosierungen, die nur wenige Stunden haltbar sind, sind die Aukamm-Mitarbeiter zum Teil schon morgens um 6 Uhr im Labor. Ist der Patient dann in der Praxis eingetroffen, kann die Versorgung in dem Moment sichergestellt werden, in dem das Blutbild eine Therapie zulässt. Der Arzt hat aber auch die Möglichkeit, die Therapie erst morgens nach Erhalt des Blutbilds zu bestellen. „Wir liefern dann innerhalb von einer Stunde“, erklärt Hofmann.
Für die Herstellung der Zytostatikalösungen werden Fertigarzneimittel unter sterilen Bedingungen in die richtige Dosierung und Anwendungsform gebracht. Viele der Substanzen müssen zunächst gelöst werden, bevor sie volumendosiert in einen Infusionsbeutel gespritzt werden können. Hygienemonitoring und Media-Fills geben Aufschluss über die mikrobiologische Qualität der Produkte.
Geschlossenes System
Beim Umgang mit den Ausgangssubstanzen sind die Ansprüche an die Sterilität und die Sicherheit sehr hoch. „Wir haben es ganz klar mit zwei verschiedenen Bereichen zu tun. Zum einen mit dem Personenschutz der Mitarbeiter und darüber hinaus mit der Patientensicherheit, sodass der der Patient bei vollem Erhalt des Therapieerfolgs kein Risiko trägt“, erklärt Dr. Frank Stieneker, Apotheker & QP und Mitgründer der Aukamm Pharma GmbH. „Deshalb arbeiten wir mit einem komplett geschlossenen System.“
Der Reinraum der Klasse A im Isolator hat während der Produktion keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Alle Dinge, die innen benötigt und weiterverarbeitet werden, werden zunächst in einer Schleuse mit 50%igem H2O2 beaufschlagt. Während innen gearbeitet wird, können bereits die nächsten Materialien in der Schleuse sterilisiert werden. Je nach Beladung der Schleuse lassen sich so Zykluszeiten von 20 Minuten realisieren; dabei können Ausgangsstoffe für 10 Patienten auf einmal in die Schleuse gepackt werden. Das fertige Produkt wird in einen sterilen Kunststoffendlosschlauch eingeschweißt. Hierzu wird es in den Schlauch eingelegt, der bereits an einem Ende verschweißt ist. Anschließend wird der Schlauch hinter dem Produkt mit zwei nebeneinander liegenden Schweißnähten verschlossen. Ein Messer durchtrennt den Schlauch zwischen den zwei Schweißnähten, sodass sowohl das Produkt steril verpackt ist als auch der Isolator kontaminationssicher verschlossen bleibt. „Wir arbeiten mit toxischen Substanzen und auf diesem Weg verhindern wir auch die Kontamination des Personals,“ ergänzt Stie-neker.
Zur Reinigung kann der Isolator vorne aufgeklappt werden, um eine mechanische Säuberung der Oberflächen zu ermöglichen. Durch die Materialwahl im Isolator lassen sich bei Produktwechsel auch die stärksten Reinigungsmittel zur Dekontamination verwenden. Kritische Teile werden ausgetauscht. Vor der Sterilisierung wird grundsätzlich mit WFI gespült und eine Desinfektion mit sterilem Isopropanol durchgeführt, um Reinigerrückstände zu entfernen. Dann wird der Isolator verschlossen und zunächst die Schleuse und anschließend der ganze Raum mit 50%igem H2O2 begast. Die Sterilisation des Isolators dauert etwa zweieinhalb Stunden. Falls erforderlich kann im Innern auch eine Reinigung mit sterilen Tüchern vorgenommen werden, die über die Schleuse eingebracht werden.
„Besonders interessant sind auch die beiden Abluftfilter unterhalb der Arbeitsfläche des Isolators“, erklärt Stieneker weiter. „Die Filter des Kassettensystems können ohne Kontamination des Isolatorinnenraums oder der sonstigen Umgebung ausgewechselt werden.“ Die Zuluft für den Isolator und die Abluft werden durch Filter der Klasse H14 geleitet, die bei der Sterilisation mit H2O2 immer mit sterilisiert werden. Der Isolator zieht sich die Luft aus dem umgebenden Reinraum D. Normalerweise arbeitet er im Umluftbetrieb. Erst wenn ein Sterilisationszyklus durchgeführt wird und das H2O2 mit Gebläsen aus dem Isolator oder aus der Schleuse abgeführt werden muss, wird frische Luft nachgeführt. Die mit Wasserstoffperoxid angereicherte Abluft gelangt über ein entsprechendes Rohrsystem nach außen.
Die Luft für den Reinraum Klasse D wird über mehrere H14-Filter aufbereitet. Generell erfolgen im Raum 20 Luftwechsel pro Stunde. Während der Reinigungszyklen im Isolator hat die Luftaufbereitungsanlage einen wesentlich höheren Durchsatz zu verkraften. „Wenn der Isolator spült dann zieht er 350 m³/h, die Schleuse zieht ebenfalls 350 m³ /h und das ganze multipliziert mal zwei, weil es zwei Isolatoren sind, d. h. im Extremfall kämen zum Normalbetrieb 1400 m³/h dazu“, beschreibt Stieneker die Leistungsfähigkeit der Anlage. „Die Anlage wird über den Raumdruck gesteuert. Wenn der Isolator Luft zieht, wird hier also automatisch Luft gefördert.“ Betrachtet man jedoch den gesamten Produktionszeitraum, werden nur rund 10 % der Luft von außen nachgeführt und 90 % rezirkuliert. Die Luftführung im Reinraum Klasse D entspricht einer turbulenten Mischströmung. Durch die Lage der Abluftöffnung im Raum unten wird dennoch eine tangentiale Luftströmung im Raum erzeugt. Partikel, die von den Personen, die im Raum arbeiten, generiert werden, werden so kontinuierlich abgeführt. Das führt dazu, dass im Raum, obwohl nur D klassifiziert, Reinheitswerte der Reinraumklasse B gemessen werden können, auch wenn Personen im Raum arbeiten.
Bis zu 100 000 Einzeldosen
„Unsere Vorgehensweise stellt einen deutlichen Fortschritt gegenüber einem konventionellen Reinraumkonzept dar“, erklärt Stieneker. Die gesamte Anlage in Wiesbaden nimmt lediglich rund 60 m² ein, zweimal 20 m² Reinraum der Klasse D sowie die Schleuse. „Wäre das Ganze als konventionelles Zonenkonzept aufgebaut, also Klasse A in B in C in D, dann wäre die Gesamtfläche schon allein aufgrund der benötigten Schleusen deutlich höher“, so Stieneker. Mit der entsprechenden Fläche, der Druckkaskade und der Luftaufbereitung hätte man im Vergleich zum Isolator auch deutlich höhere Energiekosten, mindestens um den Faktor drei. Darüber hinaus fallen mit dem neuen Konzept geringere Monitoringkosten an, da nur der Isolator und der Reinraum D zu überwachen sind. Ein weiterer großer Vorteil ist die Zeitersparnis beim Einschleusen. „Müsste man sich in alle Klassen einschleusen von D bis A, bräuchte man mindestens eine halbe Stunde. Wenn man das aufs ganze Jahr hochrechnet, kommt man leicht auf 250 Arbeitsstunden, die die Mitarbeiter nur in der Schleuse zubringen würden. Das fällt bei uns zum größten Teil weg,“ erklärt Stieneker.
Seit der Eröffnung im Jahr 2009 wurden etwa 30 000 bis 40 000 Einzeldosen ausgeliefert. Das Unternehmen kann maximal 100 000 Einzeldosierungen im Jahr produzieren. Den größten Anteil an der Produktion haben Zytostatikalösungen. Der Anteil der Ernährung liegt im einstelligen Prozentbereich. Darüber hinaus bietet Aukamm Pharma die Abfüllung klinischer Prüfmuster an. Von Hand oder halbautomatisch lassen sich flexibel zwischen einem und 1000 Vials abfüllen. Der Standort selbst soll auf absehbare Zeit nicht ausgebaut werden. Allerdings will Aukamm Pharma das Reinraumkonzept in Form von Franchisesystemen an neuen Standorten oder bei Partnern aufbauen. Denn wegen der relativ geringen Haltbarkeit der Produkte sollte die Zytostatikaerzeugung dezentral erfolgen. Gespräche gibt es bereits mit verschiedenen Interessenten. Das System würde 1:1 kopiert und Aukamm Pharma würde zudem den kompletten Service wie Qualifizierung, Validierung, Zyklusentwicklung SOP-System, Herstellungserlaubnis usw. übernehmen. Auch würde in der Folge für eine kontinuierliche Betreuung dieser weiteren Produktionsstätten gesorgt. Neben der Produktion von Zytostatika und parenteraler Ernährung sieht Stieneker viele weitere Anwendungsmöglichkeiten für das Reinraumkonzept. Beispielsweise könnten autologe Präparate wie Haut oder Knorpelprodukte hergestellt werden. Die Kultur würde unter Klasse A steril eingeschweißt und anschließend außerhalb in einem Brutschrank gelagert. Das Produkt kann dann von außen mit H2O2 sterilisiert und im Isolator weiterverarbeitet werden.
Halle 5, Stand 242
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