Noch haben Fahrerlose Transportsysteme für den Reinraum Exotenstatus. Doch der Markt wächst. Ob in der Halbleiterproduktion, im Pharmabereich oder der Medizintechnik – FTS können den Materialtransport in sensiblem Produktionsumfeld revolutionieren wie erste Anwendungsbeispiele zeigen.
Staub, Pollen, Schwebstoffe, Aerosole…: In einem einzigen Kubikmeter gesunder und vermeintlich sauberer Bergluft kann man rund 10 Millionen Fremdpartikel messen. In der Pharmaproduktion hingegen sind es je nach ISO-Reinraumklasse nur 20 oder 30 Teilchen in µm-Größe. Nötig ist das, weil jeder einzelne Partikel die Wirkung einer Medikamentendosis beeinträchtigen kann. Weil die Sauberkeit in diesem Bereich so wichtig ist, muss auch ein sauberer Transport der Produktionsmittel gewährleistet sein. Für diese Aufgabe hat Stäubli WFT Schwerlast-FTS mit Tragkräften bis 24 Tonnen entwickelt. Mit den FTS lässt sich der Einsatz von Personal, das im Reinraum immer eine potenzielle Kontaminationsquelle darstellt reduzieren. Weil das FTS niemals den Produktionsbereich verlässt, trägt es keine Verschmutzungen ein.
Eigener Produktionsbereich für Reinraum-FTS
Stäubli WFT hat für dieses wachsende Geschäftsfeld einen eigenen Produktionsbereich aufgebaut – zunächst als einfaches Zelt in der Fertigung, jetzt als eigenständige Sauberraum-Produktion in einer separaten Halle. Dabei war die Schaffung der räumlichen Voraussetzungen noch relativ überschaubar im Vergleich zu dem intensiven Konstruktionsaufwand, der in der Entwicklung reinraumtauglicher FTS samt Auswahl und Qualifizierung geeigneter Materialien und Komponenten steckt.
Aufwendig geprüft
Wie tief die Prüfungen ins Detail gehen, zeigen zwei Beispiele. Dazu Elena Baunoch, Projektleiterin Stäubli WFT: „Die Ummantelungen von elektrische Leitungen müssen oberflächenbehandelt, d. h. getempert, oder aber abgedeckt werden, zum Beispiel durch reinraumgeeignete Faltenbälge oder Schrumpfschläuche. Und weil beim Lösen und Verbinden jeder Schraubverbindung Abrieb entstehen kann, müssen wir auch hier zugelassene Werkstoffe verwenden oder jede Materialkombination aufwendig prüfen.“
Mit diesen Prüfungen sowie den zugehörigen Dokumentations- und Abstimmungsarbeiten war bei den ersten beiden Reinraum-FTS-Projekten ein Mitarbeiter sechs Monate lang beschäftigt – für die komplette Arbeitszeit. Dass sich dieser Aufwand auszahlen wird, davon ist Stäubli WFT Geschäftsführer Franz Wittich überzeugt: „Wir sind jetzt nicht nur fertigungstechnisch, sondern auch von der Organisation und vom Know-how her so weit, dass wir Folgeprojekte mit sehr viel geringerem Aufwand und kürzeren Durchlaufzeiten abarbeiten können.“
Auch die Mitarbeiter in der separaten, durch eine Personen- und Materialschleuse abgetrennten Sauberraum-Fertigung haben die Routine entwickelt, unter den sehr speziellen Bedingungen diese anspruchsvollen FTS zu bauen – in Sauberraum-Bekleidung und mit sauberraumtauglichen Werkzeugen.
Erste Schwerlast-FTS
Die ersten Reinraum-FTS von Stäubli WFT werden dazu genutzt, bis zu 24 Tonnen schwere Anlagenkomponenten und -segmente für Anlagen der Halbleiterproduktion im Reinraum der Klasse ISO 7 zu verfahren bzw. von der Komponenten- zur Endmontage zu transportieren. Die FTS werden per Funkfernsteuerung bedient. Bei einem der beiden Kunden können die Steuerungen von zwei FTS im Master-Slave-Modus kombiniert werden, so dass ein Fahrzeug dem anderen folgt. Aus Anwendersicht bringt das neue Materialflusskonzept deutliche Vorteile. Der Beweis: Beide Kunden haben bereits weitere Schwerlast-FTS bei Stäubli WFT bestellt.
Neue Anwendungsbereiche erschließen
Im nächsten Schritt wird das Unternehmen neben der Halbleiterproduktion neue Einsatzfelder für Reinraum-FTS erschließen. Franz Wittich: „Wir haben hier spezielles Know-how und eine Alleinstellungsposition erworben, die wir in andere Anwenderbranchen transferieren werden.“ Im Fokus steht dabei auch die Pharmaindustrie. Hier sind allerdings weniger Schwerlast-FTS gefragt als vielmehr FTS-Flotten für den Paletten- und Behältertransport.
Stäubli WFT hat in dieser Branche aber auch eine andere, nochmals anspruchsvollere Applikation im Blick, wie Franz Wittich erläutert: „Das mobile Robotersystem HelMo, für das wir die Fahr- und Dreheinheit an unsere Robotics-Kollegen in Bayreuth liefern, könnte Handling-Aufgaben in ganz verschiedenen Bereichen der Pharmaproduktion übernehmen. Auch hier vermeidet die mannlose Produktion unnötige Partikelemissionen und vereinfacht die Prozesse im Reinraum. Dieses Konzept werden wir der Branche vorstellen.“ Dazu muss der Mobilroboter HelMo nur noch reinraumtauglich ausgestattet werden, aber diese Kompetenz ist bei Stäubli WFT ja bereits vorhanden.
Autor: Ralf Högel, Industriekommunikation