2020 haben die Hersteller von verfahrenstechnischen Anlagen sehr unter Corona gelitten. Zu dieser Gruppe gehören Hersteller von Pumpen, Kompressoren, Druckluft- und Vakuumsystemen, Industriearmaturen sowie Prozessanlagen. Herr Clemens, ist es den Unternehmen 2021 gelungen, die Umsätze wieder auf Vor-Corona-Niveau zu steigern?
Richard Clemens: Sie sprechen mehrere Fachzweige des Maschinenbaus an, die wir im VDMA unter dem Forum Prozesstechnik subsumieren. Und um Ihre Frage direkt zu beantworten: Ja, es ist gelungen. Wir sprechen aber nicht von Umsätzen, sondern von Produktionsvolumen. Und die konnten im Vergleich zu 2020 um knapp 10 % gesteigert werden. Damit war 2021 ein Rekordjahr.
Und konnte der Exportanteil auch wieder auf das Niveau gebracht werden, das wir vor Corona hatten?
Clemens: Er konnte sich erholen, hat aber den Stand von 2019 noch nicht erreicht.
Und woran liegt das?
Clemens: Der Export und das Verkaufen von verfahrenstechnischen Anlagen – das ist People Business. Man muss mit den Kunden persönlich sprechen und Corona hat das trotz aller virtuellen Möglichkeiten verhindert.
Ist der persönliche Kontakt wirklich so wichtig?
Clemens: Oh ja. Er ist wichtig, weil man vor Ort beim Kunden viele Themen – ich denke hier an Werkstoffe, Produkteigenschaften, Wasserqualitäten und andere Details – viel besser und genauer besprechen kann als online über Teams.
Und wie ist die Branche ins Jahr 2022 gestartet?
Clemens: Sehr gut. Für die ersten vier Monate des Jahres konnten wir ein Plus von rund 4 % verzeichnen. Doch im Februar kam der brutale Dämpfer, der Beginn des Krieges in der Ukraine.
Die Pandemie hat den Maschinen- und Anlagenbauern schmerzhaft gezeigt, wie wichtig funktionierende Lieferketten sind. Bis heute sind einige von ihnen noch gestört oder sogar unterbrochen. Welche Produktsegmente aus dem Bereich der Prozesstechnik sind von den Versorgungsengpässen besonders stark betroffen?
Clemens: Im Vergleich zu anderen Fachzweigen im VDMA ist die Prozesstechnik außergewöhnlich stark betroffen. Es fehlen diverse Zulieferteile von Elektronikkomponenten über Werkstoffe und Halbzeuge bis hin zur profanen Kunststoffdichtung. Der Lockdown und der Schiffe-Stau in Shanghai tun der Branche also richtig weh, weil die Lieferketten auf unbestimmte Zeit unterbrochen wurden und die Unternehmen nicht wissen, wann die dringend benötigten Zulieferteile wieder verfügbar sein werden.
Wäre es angesichts der schwerwiegenden Folgen von gestörten Lieferketten nicht sinnvoll, einen Teil der globalisierten Produktion wieder zurück nach Deutschland oder Europa zu holen?
Clemens: Auf den ersten Blick sicherlich ja. Aber bei unseren Mitgliedsfirmen handelt es sich mehrheitlich um Mittelständler, die sich auf die Produktion von prozesstechnischen Anlagen und Apparaten spezialisiert haben. Ihr Geschäft ist nicht die Herstellung von elektronischen Bauteilen, Dichtungen oder anderen Zulieferteilen. Wichtiger ist es, die Lieferketten robuster zu gestalten, sich nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu machen und unter Umständen die Lagerhaltung zu vergrößern.
Die Baby-Boomer gehen in Rente und der Fachkräftemangel kommt. Mit diesem Problem haben auch viele Ihrer Mitgliedsunternehmen zu kämpfen. Wie unterstützen Sie die bei der Lösung des Nachwuchsproblems?
Clemens: Sie sagen so charmant, der Fachkräftemangel kommt. Nein, er ist schon längst da und jetzt endlich in den Medien präsent. Wir haben in vielen Bereichen Probleme, Ingenieure, Mechatroniker, IT-Fachleute und Programmierer oder Monteure zu finden, die bereit sind, auch ins Ausland zu gehen. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die bei uns über die Landesverbände laufen. Die Kollegen gehen in die Schulen oder in die Universitäten, um sehr frühzeitig junge Leute für den Maschinenbau zu begeistern. Unsere Mitgliedsunternehmen veranstalten Tage der offenen Tür, um sich als attraktive und zukunftsträchtige Arbeitgeber zu präsentieren. Aber: Wir sind mit alldem nicht alleine. Der Maschinen- und Anlagenbau steht im harten Wettbewerb mit anderen Industriefachzweigen.
Seit Februar dieses Jahres haben wir Krieg in der Ukraine. Welche konkreten Auswirkungen hat er auf die Geschäfte Ihrer Mitgliedsunternehmen?
Clemens: Wir hatten einen guten Start ins Jahr 2022, fühlten uns endlich auch ein bisschen von Corona befreit. Und dann kam mit dem Krieg in der Ukraine ein gehöriger Dämpfer. Denn insbesondere Russland, aber auch die Ukraine waren für unsere Mitgliedsunternehmen wichtige Absatzmärkte.
Aber im Ranking der wichtigsten Absatzmärkte für prozesstechnische Anlagen lag Russland 2021 auf Platz neun, zwischen Polen und Tschechien.
Clemens: Richtig, das hat mit den Sanktionen zu tun, die 2014 nach der Annexion der Krim eingeleitet wurden. Seitdem ist Russland in dem von Ihnen angesprochenen Ranking nach hinten gefallen. Dennoch ist Russland für einige Unternehmen ein wichtiger Markt, der nun wegfällt. Das erst mal aufzufangen, ist nicht so einfach.
Wie viel Umsatz bzw. Produktionsvolumen wird der Ukraine-Krieg Ihre Mitgliedsunternehmen kosten?
Clemens: Das ist eine schwierige Frage. Ich kann Ihnen nur sagen, dass in den ersten Monaten nach Erlass der Sanktionen der Export ins Bodenlose gefallen ist. Konkrete Zahlen liegen aber bisher noch nicht vor.
Kommen wir zur Dekarbonisierung der Prozessindustrie. Hier sehen Sie für Ihre Branche sehr große Chancen. Sie sprechen sogar davon, dass Anlagenbauer Enabler für Umwelttechnologien und Klimaschutz seien. Was meinen Sie damit?
Clemens: Der Maschinen- und Anlagenbau ist Enabler, weil er das Equipment liefert, das für die Dekarbonisierung der chemischen, pharmazeutischen und Lebensmittelindustrie benötigt wird. Wir haben das Know-how und die klugen Köpfe, die man für die Entwicklung solcher Technologien und Anlagen benötigt. Und wir verfügen über einen großen Erfahrungsschatz aus vielen bereits realisierten Projekten, denn energie- und ressourceneffiziente Anlagen gibt es ja schon in vielen Bereichen. Und wie leistungsfähig die Branche beim nachsorgenden Umweltschutz, also im Bereich der Kläranlagen oder der Abfall- und Recyclingtechnik, ist, war vor wenigen Wochen auf der Ifat in München zu sehen.
Die Dekarbonisierung der Prozessindustrie ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Dekarbonisierung des Maschinen- und Anlagenbaus selbst. Welche Herausforderungen haben Ihre Mitgliedsunternehmen hier zu meistern?
Clemens: Auch der Maschinen- und Anlagenbau muss in Zukunft CO2-neutral produzieren. Das fordert nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch unsere Kunden. Eine der schwierigsten Aufgaben hierbei ist es, die Emissionsdaten für die einzelnen Produktionsstätten zu erfassen und zu bilanzieren. Damit beschäftigt sich im VDMA eine Arbeitsgruppe, in der viele Unternehmen aus unterschiedlichen Fachzweigen des Maschinenbaus zusammenkommen, um ein Arbeitspapier mit entsprechenden Standards und Empfehlungen für unsere Mitgliedsunternehmen zu entwickeln.
In welche Richtung gehen diese Empfehlungen?
Clemens: Das beginnt bei der bereits erwähnten Erfassung und Bilanzierung von Emissionsdaten und reicht bis hin zur klimaneutralen Gestaltung von Lieferketten oder nachhaltigen Energieversorgung der Unternehmen.
Herr Clemens, vielen Dank für das Gespräch.
VDMA, Frankfurt/M.
Bild: VDMA
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Das Interview führte für Sie: Lukas Lehmann
Redakteur, V.i.S.d.P.
Mehr Informationen: prozesstechnik.tv
Serienfans netflixen. Für Entscheider und Verfahrenstechniker aus der chemischen, pharmazeutischen und Lebensmittelindustrie gibt es die Videoplattform prozesstechnik.tv. Dort finden Sie auch das komplette Interview mit Richard Clemens.
„Maschinenbau hat Zukunft. Er spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um Klimaschutz, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung der Prozessindustrie geht.“