Deutsche Industriestandorte sind im internationalen Vergleich weiterhin an der Spitze. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit. Die Märkte in den USA und in Asien haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, die Wettbewerbssituation verändert sich stark. Die Weltmarktanteile und damit auch die Wachstumszentren haben sich in unserer Branche von Europa nach Asien verschoben. Das verstärkt den Wettbewerbsdruck am Standort Deutschland und führt uns die Notwendigkeit wettbewerbsfähiger Standortbedingungen hierzulande vor Augen. Um unsere Spitzenposition zu verteidigen, müssen wir kontinuierlich an unseren Leistungen und Prozessen arbeiten.
Was sind jedoch die wichtigsten Erfolgsfaktoren für einen Standort? Zu zentralen Kriterien bei Standortentscheidungen zählen neben dem Marktzugang die langfristig besten Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit von Energie, eine leistungsfähige Infrastruktur, aber auch qualifiziertes Personal. Und nicht zuletzt sind die regulatorischen Rahmenbedingungen und die Verlässlichkeit geltender gesetzlicher Grundlagen wichtige Faktoren. Wenn Unternehmen Investitionsentscheidungen in Millionenhöhe treffen, wird in Dekaden gedacht und nicht in Quartalen. Planungssicherheit spielt dabei eine besonders große Rolle.
Ein Beispiel hierfür ist die Energiepolitik. Energieintensive Industrien haben in Deutschland mit massiven Zusatzbelastungen zu kämpfen, die wir in den vergangenen Jahren trotz größter Anstrengungen im Bereich der Effizienzsteigerung nur teilweise kompensieren konnten. Inzwischen sind die Potenziale jedoch ausgeschöpft. Neben den reinen Kostennachteilen erweist sich die Halbwertzeit politischer Weichenstellungen, die sich bestenfalls an Legislaturperioden orientiert, als größtes Investitionshemmnis. Das zeigt sich unter anderem am Beispiel der Kraft-Wärme-Kopplung und der EEG-freien Nutzung des selbst erzeugten Stroms.
Die Novellierung der Seveso-Richtlinie kann die zukünftigen Entwicklungen von Chemieparks ebenfalls erheblich beeinträchtigen. Wir nehmen den Schutz der Umwelt und der Menschen im Umfeld des Industrieparks Höchst sehr ernst und erfüllen alle behördlichen Auflagen vollumfänglich. Wenn aber aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen strengere Auflagen für bestehende Produktionsbetriebe gelten, keine neuen Anlagen entstehen dürfen oder neue Wohngebiete näher an Standorte herangeplant werden, gefährdet dies den Bestand, zumindest aber die Entwicklungsmöglichkeiten von Industriestandorten. Unternehmen und Politik sind gefordert, gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten, die den gerade in Ballungsräumen unbestreitbaren Bedarf an Wohnraum und den Schutz der Bevölkerung mit den existenziellen Interessen von Industriestandorten und produzierenden Unternehmen in Einklang bringen.
Erhalt der Infrastruktur
Im internationalen Vergleich bieten wir in Deutschland noch eine sehr gute Infrastruktur. Der langfristige Erhalt und Ausbau unserer Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur ist eines der wichtigsten Themen unserer Branche. Rohstoffe, Produkte und Informationen der Chemieindustrie müssen in großen Mengen sicher und zuverlässig transportiert werden. Zunehmend sinkt aber die Qualität der Verkehrswege und unsere Kommunikationsinfrastruktur wird nicht schnell genug ausgebaut. Wir brauchen in diesem Bereich weitere Investitionen, um den wichtigen Standortvorteil zu bewahren.
Das wichtigste Kapital für Betreibergesellschaften von Chemieparks sind aber nach wie vor die Mitarbeiter. Wir haben sehr gut ausgebildetes Personal, mit dem wir höchsten Qualitätsansprüchen gerecht werden und Versorgungssicherheit schaffen können. So ermöglichen wir Standortvorteile und machen den Industriepark Höchst trotz höherer Personal- und Energiekosten in Deutschland international wettbewerbsfähig.
Demografische Entwicklungen stellen aber auch für uns eine Herausforderung dar: Wir müssen Mitarbeiter kontinuierlich weiterqualifizieren, um sie auf ein längeres Arbeitsleben mit deutlich kürzeren Veränderungszyklen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen vorzubereiten. Und wir müssen genügend junge Menschen für eine klassische Ausbildung begeistern. Angesichts schrumpfender Geburtenraten und einer zunehmenden Akademisierung ist das keine leichte Aufgabe.
Bedarfsorientierte Servicekonzepte
In Zukunft werden umfassende Servicekonzepte noch wichtiger: Ein ganzheitliches, kundengerechtes Leistungsportfolio, das sich an den Bedürfnissen und Lebenszyklusphasen der Kunden ausrichtet und durch die Bündelung und Vernetzung verschiedener Leistungen den größten Mehrwert bietet. Zu den Sekundärprozessen, die produzierende Unternehmen vom eigentlichen Kerngeschäft abkoppeln können, gehören beispielsweise Energieversorgung, Gebäudebetrieb, Instandhaltung, Entsorgungsleistungen oder auch die Logistik. Professionelle Dienstleistungen rund um die eigentlichen Kern- und Produktionsprozesse leisten einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, indem sie die Flexibilität steigern und Kostenstrukturen optimieren.
Infraserv Höchst schafft im Industriepark Höchst durch leistungsfähige Infrastruktur und effiziente Dienstleistungen Kostenvorteile für alle am Standort tätigen Unternehmen. In der Übertragung solcher Betreibermodelle auf andere Branchen und Standorte liegen Chancen für die Industrie in Deutschland, der eine Konsolidierungsphase bevorsteht: Nur Standorte ab einer kritischen Größe werden die erforderliche Infrastruktur aufrechterhalten und wettbewerbsfähig betreiben können. Entscheidend wird dabei sein, regulatorische Hürden zu vermeiden, die einem sinnvollen Outsourcing von Sekundärprozessen im Weg stehen.
Rahmenbedingungen verbessern
Es ist kein Zufall, dass sich der Industriepark Höchst in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu einem der dynamischsten Industriestandorte in Europa entwickelt hat. Das kontinuierlich hohe Investitionsniveau der insgesamt 90 am Standort ansässigen Unternehmen, die zusammen rund 22 000 Mitarbeiter beschäftigen, ist ein Beleg für die Wettbewerbsfähigkeit des Industrieparks. Auf rund sieben Milliarden Euro summieren sich die Investitionen der Standortgesellschaften im Industriepark Höchst seit dem Jahr 2000 – 2016 waren es 341 Millionen Euro. Auch in wirtschaftlich schwierigen Phasen hat sich der Industriepark Höchst kontinuierlich weiterentwickelt.
Wir brauchen die Chemie- und Pharmaindustrie als innovative Zukunftsbranche und einen der umsatzstärksten Industriezweige für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Eine weitere Verschlechterung der im internationalen Vergleich relevanten Rahmenbedingungen und damit der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produktionsstandorte ist nicht mehr zu kompensieren – nicht in Höchst und auch nicht in anderen Chemieparks. Die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung sind erschöpft, die Politik ist hier gefragt, um private und öffentliche Investitionen anzukurbeln und nachhaltige Wachstumsimpulse zu generieren. Durch die Deckelung der Energiekosten, die Schaffung von Planungssicherheit, die Verbesserung der Infrastruktur und verstärkte Investitionen in die Aus- und Weiterbildung erhöhen wir die Qualität des Standorts und machen auf diese Weise Wachstum möglich.
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Autor Jürgen Vormann
Vorsitzender der VCI-Fachvereinigung Chemieparks, Vorsitzender der Geschäftsführung Infraserv Höchst