Die Chemie- und Pharmaproduktion in Deutschland stieg im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorquartal um 1,3 %. Im Zwölfmonatsvergleich legte die Produktion um 2,8 % zu. Das Wachstum kam aus dem Pharmabereich, der sich positiv entwickelte. Verglichen mit den Monaten Oktober bis Dezember 2021 verringerte sich die reine Chemieproduktion um 1,1 %. Die Kapazitätsauslastung der Branche ging auf 80,9 % zurück und liegt nun unterhalb des Normalbereichs.
Beschleunigter Preisanstieg
Die Chemikalienpreise beschleunigten ihr Wachstum im ersten Quartal 2022. Chemieprodukte kosteten 6,7 % mehr als im Vorquartal und 21,6 % mehr als vor einem Jahr.
Der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie legte aufgrund der kräftig gestiegenen Preise von Januar bis März gegenüber dem Vorquartal um 7,8 % auf 66,3 Mrd. Euro zu. Das wegen Corona schwache erste Quartal 2021 wurde um 28,4 %übertroffen.
Die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche ist im ersten Quartal 2022 stabil geblieben. Die Chemie- und Pharmaunternehmen beschäftigen derzeit 473 200 Menschen.
Dauerkrise seit 2020
Corona-Pandemie, Störungen der Lieferketten, Energiewende und Ukraine-Krieg – das sind die zentralen Herausforderungen, mit denen sich Deutschlands drittgrößte Industriebranche auseinandersetzen muss. Sie haben der Branche seit 2020 eine Dauerkrise beschert, wie Dr. Henrik Meincke, Chefvolkswirt beim VCI, bei der Vorstellung des Quartalsberichts betonte.
Düstere Stimmung in den Unternehmen
Den Chemieunternehmen machten im ersten Quartal Engpässe in den Lieferketten sowie stark steigende Energie- und Rohstoffkosten zu schaffen. Durch den Krieg in der Ukraine verschärften sich diese Probleme. In vielen Unternehmen herrscht deshalb Rezessionsstimmung. Sorgen bereiten vor allem mögliche Engpässe bei Gas und Öl.
Kein Aufschwung nach dem Coronawinter
„Vom erhofften Aufschwung nach dem Coronawinter ist nichts mehr übriggeblieben“ betont VCI-Präsident Christian Kullmann. „Die Perspektiven unserer Branche sind wegen steigender Energie- und Rohstoffkosten zunehmend düster. Außerdem drosseln industrielle Kunden wegen gestörter Lieferketten ihre Produktion und bestellen weniger Chemikalien. Ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätte zusätzliche verheerende Auswirkungen.“
Rezession möglich
Doch welche Auswirkungen hätte ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland nun wirklich? Diese abzuschätzen ist nach Worten von Axel D. Angermann, Chefvolkswirt bei der Feri-Gruppe, sehr schwierig, weil hier entsprechende Modellrechnungen an ihre systematischen Grenzen stoßen.
Dennoch geht Angermann davon aus, dass ein Gasembargo oder ein Lieferstopp durch die Russen eine Rezession auslösen würde. Denn ausbleibende Gaslieferungen hätten einen „scharfen“ Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise zur Folge. Hinzu käme ein weiterer Rückgang bei den Exporten. Außerdem würde die um sich greifende Verunsicherung in der Wirtschaft zu einem deutlichen Dämpfer bei den gewerblichen Investitionen führen.
Konjunktureller Tiefpunkt noch nicht erreicht
„Auch wenn die Bilanz für das erste Quartal 2022 noch zufriedenstellend ist und der Branchenumsatz dank steigender Erzeugerpreise kräftig zulegte, zeigten sich jedoch erhebliche Bremsspuren“, betont Meincke. „Die reine Chemieproduktion ohne Pharma war ebenso rückläufig wie die Kapazitätsauslastung. Besonders die Fein- und Spezialchemie litt unter den Materialknappheiten, Logistikproblemen und den sprunghaft steigenden Energie- und Rohstoffkosten.“ Zudem kamen die Gewinnmargen der Unternehmen unter Druck.
Nachfrage nach Chemikalien sinkt
Noch ist die Auftragslage zufriedenstellend. Für die kommenden Monate rechnet aber der überwiegende Teil der Branche mit einem Rückschlag im Chemiegeschäft.
Der Krieg in der Ukraine treibt die Energie- und Rohstoffkosten in die Höhe und verschärft die Probleme in den Lieferketten. Hinzu kommen die Lockdowns durch die Null-Covid-Strategie in China, die den globalen Handel empfindlich stören.
Die industriellen Kunden der Chemie drosseln aufgrund dieser Störungen zunehmend die Produktion – vor allem in Deutschland und Europa. Damit sinkt die Nachfrage nach Chemikalien.
Weltwirtschaft kühlt sich ab
In den nächsten Monaten wird sich die Weltwirtschaft weiter abkühlen. Die hohe Inflation belastet Konsum und Investitionen. Die Geldpolitik wird angesichts der hohen Inflationsraten in vielen Ländern restriktiver. Das erhöht die Rezessionsgefahr.
„In diesem Umfeld“, so Meincke, „muss man für das deutsche Chemiegeschäft in den kommenden Monaten mit weiteren Dämpfern rechnen. Ob die Perspektiven sich zum Jahresende wieder verbessern, ist ungewiss.“
Keine Prognose
Wegen der unabsehbaren Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Null-Covid-Strategie Chinas verzichtet der VCI weiterhin auf eine quantitative Vorhersage für die Entwicklung der Branche im Gesamtjahr 2022.
Verband der Chemischen Industrie e. V., Frankfurt/M.
Autor: Lukas Lehmann
Redakteur V.i.S.d.P.