„Selten war unser Umfeld von so vielen Herausforderungen gleichzeitig geprägt wie 2022“, sagte CEO Matthias Altendorf auf der Bilanzpressekonferenz, die am 4. April in Basel stattfand. Als Beispiele dafür nannte er den russischen Angriff auf die Ukraine, den drohenden Energiemangel, die hohe Inflation in vielen Ländern, steigende Leitzinsen, die angespannten Liefer-und Logistikketten sowie immer neue Corona-Lockdowns in China. Trotzdem hat sich das Geschäft laut Altendorf „das ganze Jahr über stabil entwickelt“. Der Nettoumsatz der Firmengruppe ist versus 2021 um 16,4 % auf 3,351 Mrd. Euro gestiegen. Weltweit lieferte das Unternehmen mit hoher Termintreue mehr als 2,9 Millionen Messgeräte aus. „Endress+Hauser hat über Jahre leistungsfähige Produktions- und Logistiknetzwerke aufgebaut; mit unseren Lieferanten pflegen wir langfristige Beziehungen“, betonte Altendorf. Zu dieser guten Entwicklung haben nach den Worten des CEO praktisch alle Branchen beigetragen, die zyklischen wie Chemie und Öl & Gas noch stärker als die azyklischen wie Lebensmittel und Life Science. Dabei kamen aus fast allen Regionen positive Impulse. In Amerika und Asien entwickelten sich die Verkäufe dynamisch, in Europa und Nahost stark, lediglich in Afrika ging das Geschäft zurück. China behauptete sich als umsatzstärkster Markt vor den USA. Beide Länder haben inzwischen einen deutlichen Abstand zu Deutschland, der aktuellen Nummer drei im Ranking.
Die Prozessmesstechnik von Endress+Hauser und das Sensorgeschäft der Gruppenfirma Innovative Sensor Technology IST entwickelten sich positiv. Allerdings ging, wie erwartet, die Nachfrage nach Laborinstrumentierung von Analytik Jena nach Ende der Pandemie etwas zurück.
Starkes operatives Ergebnis
Währungseinflüsse und Preiserhöhungen beflügelten den Umsatz der Firmengruppe, belasteten aber das Ergebnis. Weil der betriebliche Aufwand stärker stieg als der Umsatz, wuchs das Betriebsergebnis lediglich um 9,1 % auf 473,7 Mio. Euro. Endress+Hauser erreichte damit eine operative Marge von 14,1 % – 1 Prozentpunkt weniger als im Vorjahr, „aber ein sehr respektabler Wert“, so Finanzchef Luc Schultheiss.
Die Freude am starken Betriebsergebnis wurde durch das negative Finanzergebnis getrübt. Dieses resultiert aus gestiegenen Kosten für die Währungsabsicherung und vor allem aus hohen Verlusten aus den Finanzanlagen. Das Ergebnis vor Steuern ging um 12,0 % auf 408,1 Mio. Euro zurück. Eine Steuerquote von 25,6 % (plus 2,5 Prozentpunkte) ließ das Ergebnis nach Steuern um 14,9 % auf 303,5 Mio. Euro sinken. Finanziell steht das Familienunternehmen dennoch solide da: 2022 erreichte die Eigenkapitalquote 80,2 %, 1,1 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Die Firmengruppe ist praktisch schuldenfrei.
Investitionen in die Zukunft
2022 investierte Endress+Hauser 240,5 Mio. Euro in neue Gebäude und Anlagen – 24,7 % mehr als 2021. In fünf Jahren flossen damit über 1 Mrd. Euro in eine bessere Infrastruktur. „Mit diesen Investitionen bereiten wir den Boden für künftiges Wachstum“, sagte CEO Altendorf. Derzeit sind Vorhaben im Umfang von 500 Mio. Euro in der Umsetzung. Die vier größten Projekte betreffen die Standorte Maulburg (Deutschland), Suzhou (China), Jena (Deutschland) und Greenwood (Indiana/USA).
2022 brachte Endress+Hauser 43 Produkte neu auf den Markt. 242,4 Mio. Euro, rund 7,2 % des Umsatzes, wandte die Firmengruppe für Forschung und Entwicklung auf, 13,6 % mehr als im Vorjahr. 235 Erstanmeldungen bei Patentämtern in aller Welt zeugen von der Innovationskraft der Firmengruppe.
Als Beispiel für eine Innovation der letzten Jahre nannte Altenburg die Coriolis-Durchflussmessgeräte der Serie Proline Promass Q. Die besondere Geometrie der Messrohre dieser Geräte hat das Unternehmen durch numerische Simulation gefunden. Mit den Produkten lassen sich Massefluss, Volumenfluss und Dichte selbst unter schwierigsten Bedingungen sehr genau messen. Seit Kurzem ist die Gerätelinie auch für Nennweiten bis 250 mm verfügbar. Möglich macht dies eine neuartige Konstruktion mit vier Messrohren.
Neu ist auch der Micropilot FMR6xB, eine Produktfamilie für Füllstandmessungen. Die Geräte, die nach dem Radar-Messprinzip funktionieren, können auch bei extremen Temperaturen, in aggressiven Medien, mit Schaum, Staub oder turbulenten Oberflächen eingesetzt werden. Der Micropilot FMR6xB lässt sich in weniger als zwei Minuten in Betrieb nehmen – über das Touch-Display, die Smartblue App oder ein Leitsystem. Störungen signalisiert das Gerät durch die Displayfarbe. Hinweise zum Fehler und wie er behoben werden kann, gibt es im Klartext. Zu den Konnektivitätsoptionen gehört auch Ethernet-APL.
Eine Neuheit gibt es auch bei Memosens, einer Technologie, die den Messwert im Sensor digitalisiert und ihn kontaktlos zum Messumformer überträgt. Diese Technologie bringt Endress+Hauser jetzt auch ins Labor. Das Portfolio umfasst das Handmessgerät Liquiline Mobile CML18, die Dokumentations-Software Memobase Pro sowie digitale Labor-Sensoren für pH-Wert, Leitfähigkeit und Sauerstoff. Alle Messungen lassen sich rückverfolgbar dokumentieren, um die Anforderungen der Guten Laborpraxis (GLP) zu erfüllen.
700 neue Stellen geschaffen
Den Rückblick auf 2022 trübt die Schließung des russischen Vertriebs als Folge der Sanktionen nach dem Angriff auf die Ukraine. Ein Ausfuhrverbot für Messtechnik entzog dem Russland-Geschäft die Grundlage. 170 Arbeitsplätze gingen auf diese Weise verloren.
Insgesamt zählte das Familienunternehmen zum Jahresende 2022 weltweit 15 817 Mitarbeitende – ein Plus von 700 Stellen. 353 junge Menschen haben im vergangenen Jahr bei Endress+Hauser eine Ausbildung absolviert und 136 weitere waren als Studierende, Praktikanten oder Trainees beschäftigt. „Die Ausbildungsquote hat damit 3,2 % erreicht“, berichtete Altendorf. In Zukunft sollen 5 % aller Stellen für Praktikanten, Auszubildende, Studierende, und Trainees reserviert sein.
Denken in Generationen
Mit 76 von 100 Punkten belegte Endress+Hauser 2022 erneut eine Spitzenposition im Ecovadis-Nachhaltigkeits-Benchmark und platzierte sich im obersten Prozent der Vergleichsgruppe. Die Firmengruppe ermittelte als Grundlage für eine Klimastrategie den CO2-Fußabdruck entlang der Wertschöpfungskette. Inzwischen trat Endress+Hauser der Science-Based-Targets-Initiative bei mit dem Ziel, bis 2050 die Emissionen auf netto-null zu senken.
Das Denken in Generationen zeigt sich auch in der Nachfolgeplanung. Wenn Dr. h. c. Klaus Endress Ende 2023 altershalber als Präsident des Verwaltungsrats aufhört, wird ihm CEO Matthias Altendorf nachfolgen. Chef der Firmengruppe wird Dr. Peter Selders, der das Kompetenzzentrum für Füllstands- und Druckmesstechnik leitet. Als zweiter Vertreter der Familie wird Steven Endress im Verwaltungsrat Platz nehmen, derzeit noch Geschäftsführer in Großbritannien. „Gesellschafter, Familie und Verwaltungsrat haben alle diese Entscheidungen in bestem Einvernehmen getroffen“, erklärte Klaus Endress.
Zuversicht fürs Jubiläumsjahr
Da der Auftragseingang 2022 noch einmal um 8 Prozentpunkte stärker wuchs als der Umsatz, konnte Endress+Hauser mit einem hohen Bestand an Bestellungen ins laufende Jahr starten. Auch im ersten Quartal 2023 entwickelte sich der Auftragseingang positiv. Die Firmengruppe erwartet zwar, dass sich die Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte abschwächen wird, rechnet aber auch für 2023 mit zweistelligem Wachstum. Daran geknüpft ist der Aufbau von weltweit 500 Arbeitsplätzen.
Verwaltungsratspräsident Klaus Endress ist überzeugt, dass der Messtechnikspezialist in einem zukunftsträchtigen Feld tätig ist. Dekarbonisierung und Digitalisierung sorgen für zusätzliche Impulse. Im Jubiläumsjahr lädt Endress+Hauser mehr als 1000 Kunden, Partner und Fachleute nach Basel ein, um über den nachhaltigen Umbau der verfahrenstechnischen Industrie zu diskutieren. Matthias Altendorf meinte: „Wir haben 70 Jahre lang alles dafür getan, eine gute Zukunft zu haben – und das werden wir auch weiter tun.“