Mehr geht nicht, das ist das jährliche Gefühl, das einen beschleicht, wenn man das Dorint Parkhotel in Bad Neuenahr zur Namur-Hauptsitzung betritt. Doch auch in diesem Jahr haben sich mit 650 Teilnehmern erneut 20 mehr als auf der letztjährigen Veranstaltung versammelt. Zentrale Themen der diesjährigen Sitzung waren u. a. Lösungen zur Optimierung in der globalen Prozessindustrie, Namur Open Architecture (NOA) und die Automatisierung modularer Anlagen.
Für viele Unternehmen ist es mittlerweile unverzichtbar, ihre Prozesse und Abläufe global zu steuern und zu optimieren – zum Beispiel durch die Integration unterschiedlicher Geschäftsvorgänge, die Expansion in Wachstumsmärkte und die Erweiterung der bestehenden Wertschöpfungsketten über regionale Grenzen und Branchen hinweg. Darüber hinaus sind mehr Effizienz und Flexibilität der Produktionsbetriebe notwendig, um die steigenden Kundenanforderungen, z. B. nach zunehmend spezifizierten Produkten, zu erfüllen. „Eine kundenindividuelle Massenproduktion ist gefragt, d. h. die Herstellung von Spezialprodukten zu den gleichen Kosten und in der gleichen Geschwindigkeit wie bei der regulären Massenproduktion“, betonte Dr. Andreas Helget, Geschäftsführer der Yokogawa Deutschland GmbH, bei seinem Sponsorvortrag auf der diesjährigen Hauptsitzung der Namur in Bad Neuenahr. Helget weiter: „Höhere Flexibilisierung und damit zunehmende Komplexität des Geschäftsumfelds erfordern neue Technologien und Hightech-Strategien. Ungeachtet regionaler oder branchenspezifischer Unterschiede müssen Unternehmen und andere Organisationen in der Lage sein, ihre jeweiligen Technologien und Fachkompetenzen zu bündeln und produktiv zusammenzuarbeiten. Basierend auf diesen Herausforderungen stellte Yokogawa als Hauptsponsor des Kongresses den Teilnehmern seine innovativen Plattformprodukte und Dienstleistungslösungen unter dem Motto „Lösungen zur Optimierung in der globalen Prozessindustrie” vor. Schwerpunkte bildeten dabei:
- Moderne Automatisierungsplattformprodukte, die sichere und flexible Betriebsabläufe und eine hohe Verfügbarkeit sicherstellen
- Prozessoptimierungslösungen, die stabile und hocheffiziente Produktionsabläufe gewährleisten und
- Dienstleistungen, die Lücken zwischen Versorgungsketten und Regionen schließen
„Sämtliche Entwicklungen, die wir anstreben und vorantreiben“, so Takashi Nishijima, President und CEO bei der Yokogawa Electric Corporation, „basieren auf unserem Firmenslogan Co-innovating tomorrow. Im Rahmen dieses Konzepts stehen bei uns nicht nur eine Optimierung der Produktionsprozesse, sondern auch des Material- und Informationsflusses innerhalb von und zwischen Unternehmen, einschließlich ihrer Wertschöpfungs- und Versorgungskette, im Vordergrund.“
Modulbasiertes Engineering
In seinem Plenarvortrag erläuterte Helget die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und beschrieb aktuelle Entwicklungen des Unternehmens. Hierzu gehört beispielsweise die Automation Design Suite von Yokogawa, mit der modulbasiertes Automatisierungeengineering über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage möglich ist, einschließlich aller Veränderungen, Erweiterungen und Modernisierungen nach der Inbetriebnahme. Dazu werden alle Engineering-Design-Unterlagen sowie Stammdaten aus der Datenbank des Leitsystems zentral verwaltet. Um maximale Flexibilität der Plattform zu gewährleisten, ist die AD Suite modular konzipiert. So erlaubt etwa das „Change Management“-Modul die systematische Entwicklung, Überprüfung, Durchführung und – zusammen mit dem Dokumentationsmodul – die automatische Dokumentation von Systemänderungen und minimiert so das Fehlerrisiko.
Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Helget gab Satoru Kurosu, Director und Executive Vice President Solutions Service Business Headquarters bei Yokogawa, einen Überblick über die aktuellen Akquisitionen des Unternehmens. Mit KBC hat Yokogawa im April 2016 einen Anbieter von Software und Beratungsleistungen für die globale Öl- und Gasindustrie übernommen. Das Unternehmen ist auf die Sicherstellung von Operational Excellence und die Verbesserung der Rentabilität sowohl im Upstream-Bereich als auch im Downstream-Bereich ausgerichtet.
Mit der Übernahme des Cloud-Daten-Servicedienstleisters Industrial Evolution Inc. will die Yokogawa Electric Corporation den Unternehmen in der Prozessindustrie in Zukunft verstärkt fortschrittliche IoT-basierte Lösungen offerieren können. Basierend auf dem Cloud-Computing-Modell von Industrial Evolution bietet Yokogawa den sogenannten Data-as-a-Service an. DaaS steht hierbei für cloud-basierter Dienst zur Bereitstellung und Verteilung von Daten zur Vereinfachung des Assetmanagements. Unter Verwendung der DaaS-Technologie erfasst Industrial Evolution Prozessdaten von Geräten und Systemen verschiedener Industrieanlagen in Echtzeit. Die Daten werden entweder in direkter oder in maßgeschneiderter Form an Unternehmen, die solche Anlagen betreiben, sowie an deren Kunden und Zulieferer geliefert. Mit diesem Dienst von Industrial Evolution lassen sich auch Daten von mit Firewall-geschützten Systemen erfassen und mit autorisierten Nutzern über Websites oder mobile Geräte einfach und sicher austauschen.
Maßzahlen sinnvoll nutzen
Der anschließende Vortrag von Dr.-Ing. Udo Enste von der Leikon GmbH beschäftigte sich mit den unterschiedlichen Potenzialen und Herausforderungen im Bereich Plant Performance. „Die Optimierung der „Plant Performance“, so Enste, „ist ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung der wachsenden Herausforderungen, denen die Prozessindustrie unterliegt.“ Er sieht hierbei insbesondere den globalen Wettbewerb, immer anspruchsvollere Umwelt- und Sicherheitsauflagen sowie die derzeitige Dynamik des Marktbedarfs. Flexibilität der Anlagen und Einführungszeiten neuer Produkte werden damit zu Treibern der Verbesserung und Optimierung von Wertschöpfungsketten.
„Zur umfassenden Bewertung der Plant Performance“, betont Enste, „müssen Bewertungskriterien und Maßzahlen, sogenannte KPIs (Key Performance Indices), ermittelt werden. Da es in der Regel nicht möglich ist, alle Ziele wie die Steigerung der Prozessstabilität und der Robustheit oder die Verbesserung der Produktqualität und der Robustheit gemeinsam zu optimieren, bedarf es für eine zentrale Aussage zur aktuellen „Plant Performance“ der Formulierung eines Gütefunktionals. Dieses kann mathematisch beschrieben werden – z. B. in dem die einzelnen KPIs als Teilziele aufgefasst werden und mittels Gewichtungsfaktoren zu einer gemeinsamen Zielfunktion zusammengefasst werden. Oftmals wird das Gütefunktional aber auch implizit, basierend auf Erfahrungswerten oder durch die Reduktion auf eine oder wenige Zielgrößen in den Köpfen der Entscheider gebildet. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gütefunktional selber oftmals dynamisch ist und Randbedingungen wie z. B. der derzeitigen Anlagenauslastung unterliegt.“ Der Vortrag zeigte systematisch auf, wie Maßzahlen zur Bewertung der Anlagenperformance genutzt werden können.
NOA – die neue Offenheit
„Innovationen aus der IT kommen mit hoher Geschwindigkeit auf die Prozessindustrie zu. Dies führt immer häufer zu der Frage: Wie können wir die Vorteile der „klassischen Namur-Pyramide“ erhalten und diese ergänzen, um offen für Ansätze von Industrie 4.0 zu sein, so eröffnete Dr. Thomas Tauchnitz von Sanofi-Aventis seinen Plenarvortrag. Und Korreferent Christian Klettner von BASF ergänzte: „Die Sicherheit und Verfügbarkeit der Anlage darf dadurch nie infrage gestellt werden. Wechselwirkungen zwischen dem Optimierungsbereich und der Kernautomatisierung müssen unterbunden werden. Der Prozess muss stabil weiter laufen.“
Diese Fragen wurden in den vergangenen Monaten durch den Namur-Arbeitskreis 2.8 „Automatisierungsnetzwerke und -dienste“ durch die Entwicklung von NOA – Namur Open Architecture beantwortet. „Im Wesentlichen unterscheidet NOA zwischen der Kern-Automatisierung und einer offenen Systemwelt für Monitoring- und Optimierungsaufgaben“, so Tauchnitz. Tauchnitz weiter: „Die Daten der bisherigen Kern-Automatisierungswelt werden durch offene Schnittstellen wie beispielsweise OPC-UA in die Systemwelt für Monitoring- und Optimierungsaufgaben exportiert. Wo erforderlich, können sie aber auch durch einen zweiten Kommunikationskanal direkt an den bestehenden Feldgeräten abgeholt werden. Zusätzliche Sensoren im Bereich Monitoring- und Optimierung lassen sich durch NOA einfach in die offene Systemwelt integrieren.“ „Durch geeignete Methoden und entsprechende Security-Maßnahmen“, ergänzt Klettner, „ist sicherzustellen, dass die Funktion aus dem Monitoring und Optimierungsbereich die Kern-Automatisierung nicht beeinträchtigen.“
Die Daten können entweder in anlagenspezifischen oder zentralen Systemen zum Monitoring oder zur Optimierung ausgewertet werden. Hier sind Funktionen wie Advanced Process Control, Alarm Management, Reliability Center, Dispatching oder andere Level-3-Funktionen auf hoch verfügbarer, aber nicht zwingend echtzeitfähiger IT-Infrastruktur zu finden. Wenn diese Systeme die Kern-Automatisierung, beispielsweise durch eine Befehlsanforderung beeinflussen wollen, muss diese Anforderung durch eine neue Funktion „Verification of Request“ geprüft und freigegeben werden. Diese Prüfung kann durch erlaubte Wertebereiche, Plausibilitätschecks oder auch durch einen Dialog mit dem Operator erfolgen.
Ziel von NOA ist es, die Nutzung innovativer Technologien zu ermöglichen, um die Wirtschaftlichkeit der Anlagen zu erhöhen. Viele gute Ideen scheiterten bisher am hohen Aufwand der Implementierung in der Kern-Automatisierung – das lässt sich durch die vorgestellten Ansätze überwinden. „Es ist noch nicht Industrie 4.0 was wir hier machen, aber es ist ein ganz wichtiger Schritt zur Digitalisierung, den Anwender und Anbieter gemeinsam gehen müssen“, betont Klettner.
Demonstrator setzt Dima-Methodik um
Als Hauptsponsor der Namur-Hauptsitzung hat Wago 2014 die Dima-Methodik präsentiert. Dima steht für dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen. Herzstück von Dima ist das Module Type Package (MTP). Damals ging ein Ruck durch die Branche der Prozessautomatisierer. Steuerungsintelligenz vom Prozessleitsystem auf die Anlagenmodule zu verteilen, Anlagenmodule digital zu beschreiben und für eine neutrale Schnittstelle zwischen Anlagenmodul und Leitsystem zu sorgen, bedeutete einen deutlichen Bruch mit bestehenden Automatisierungsparadigmen in der Prozessindustrie. Die Dima-Methode sorgte für rege Gespräche und Diskussionen zwischen Befürwortern und Kritikern. Die größten Zweifel an der Praktikabilität der Methode resultierten aus der Skepsis, dass für ein solches Konzept wirklich alle Beteiligten unternehmensübergreifend am gleichen Strang ziehen würden.
Zur diesjährigen Namur-Hauptsitzung fand die Geschichte von Dima nun ihre Fortsetzung – und zwar in Form eines NE-148-Demonstrators, der nach der Dima-Methodik umgesetzt ist; nun aber nicht ausschließlich von Wago, sondern herstellerübergreifend. Beteiligt sind Unternehmen wie Siemens, ABB, Emerson, der diesjährige Namur-Hauptsponsor Yokogawa, Festo, Pepperl+Fuchs, Phoenix Contact und Hima. Mit dem Demonstrator wurde der Nachweis angetreten, dass die Dima-Methodik herstellerunabhängig genutzt werden kann. In zwei Workshops zeigten die Arbeitskreise konkret auf, wie das MTP aus einem Engineeringwerkzeug generiert werden kann und wie es über eine neutrale Schnittstelle in das Prozessleitsystem eingelesen werden kann.
Mit dem gemeinsam realisierten Demonstrator entwächst die Dima-Methodik endgültig ihren Kinderschuhen, was auch die Podiumsdiskussion zum Thema Modularisierung am Freitagvormittag zeigte. Die klaren Forderungen für die nächsten Schritte waren hierbei: Überarbeitung der HMI-Funktionalitäten, zustandsbasierte Prozessführung, Diagnose und Maintenance und die Frage, wie die Informationen nach oben ins Prozessleitsystem gebracht werden können.
Eines wurde bei der Diskussion klar, NOA und MTP ergänzen sich, profitieren voneinander und bilden neue Möglichkeiten für die Zukunft. Außerdem schaffen sie jede Menge neuer Daten. Wie sich aus diesen Daten Informationen und letzten Endes Wissen generieren lässt, das wird GE Digital, der nächste Hauptsponsor der Namur-Hauptsitzung im kommenden Jahr aufzeigen.
www.prozesstechnik-online.deSuchwort: cav1216namur
Günter Eckhardt
Chefredakteur,
cav chemie anlagen verfahren
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