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Ukraine-Konflikt: Wie stark ist die Chemieindustrie betroffen?

Chemiebranche im Fokus: Ukraine-Konflikt
Wie stark ist die Chemieindustrie betroffen?

Wie stark ist die Chemieindustrie betroffen?
Jetzt ist es amtlich: Nord Stream 2 wird sanktioniert. Doch was bedeutet das für die Chemieindustrie? Bild: yuriks – stock.adobe.com
Nach der Zuspitzung des Russland-Ukraine-Konflikts hat der Westen reagiert. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat als Maßnahme die Pipeline Nord Stream 2 vorerst auf Eis gelegt und das Zertifizierungsverfahren ausgesetzt. Was bedeutet das für die chemische Industrie hierzulande? Was kommt noch? Und was kann man dagegen tun? Fragen, die nicht nur die Chefetagen beschäftigen.

 

Laut VCI-Länderbericht aus dem letzten Jahr rangiert die chemisch-pharmazeutischen Industrie Russlands mit einem Umsatz im Jahr 2020 von rund 50,4 Mrd. Euro weltweit auf Rang 17. In den letzten fünf Jahren wuchs die russische Chemieproduktion im Durchschnitt um 7,2 %/a. Damit entwickelte sich die Branche deutlich dynamischer als die Industrie insgesamt in Russland. Auch die Nachfrage nach chemischen Produkten war im Jahr 2020 hoch. Der Chemieverbrauch legte weiter zu und betrug rund 60,5 Mrd. Euro.

Russlands Chemieindustrie ist auf die Produktion von Grundchemikalien wie Anorganika, Petrochemikalien und Polymere ausgerichtet, die 2020 für über 63 % des Chemieumsatzes verantwortlich waren. Anorganika, mit fast einem Drittel am Gesamtumsatz, spielen hier nach wie vor die größte Rolle. Dementsprechend machten Anorganika 2020 rund 45 % der Chemieexporte Russlands aus, gefolgt von Petrochemikalien mit 29 %.

Geringer Aussenhandel mit Russland

Für die deutsche Chemieindustrie ist Russland nur ein Partner von vielen. Zwar exportierte Deutschland 2020 chemisch-pharmazeutische Waren im Wert von mehr als 4,3 Mrd. Euro nach Russland, doch dies entspricht gerade einmal 2,2 % der gesamtten deutschen Chemieexporte. Umgekehrt kamen nur 0,4 % der deutschen Chemieimporte aus Russland. Dies waren Chemiewaren im Wert von gerade einmal 592 Mio. Euro. Ein vollständiger Handelsstopp mit Russland würde sich also in Grenzen halten.

Die Direktinvestitionen deutscher Chemieunternehmen in Russland beliefen sich 2019 auf fast 2,1 Mrd. Euro. Insgesamt wa-ren 25 Tochtergesellschaften deutscher Chemieunternehmen (ohne Pharma) in Russland aktiv. Zusammen beschäftigten sie 6000 Mitarbeiter und erwirtschafteten einen Umsatz von mehr als 3,1 Mrd. Euro.

Nord Stream 2 nicht notwendig

Viel schwerer als die reinen Markdaten für den Handel mit Chemieerzeugnissen wiegen die mit der Russland-Ukraine-Krise deutlich gestiegenen Energiepreise. Jetzt wurde aufgrund der Krise die Gaspipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt. Das könnte den Druck auf die Energiekosten weiter erhöhen, auch wenn bisher kein Gas durch diese Pipeline geflossen ist. Dennoch: Deutschland bezieht rund 55 % seines Erdgases aus Russland. Sollte Russland bei einer weiteren Eskalation den Gashahn ganz zudrehen, müssen Alternativen her. Gaslieferungen per Schiff und aus den wieder vollen Gasspeichern bringen Deutschland über den Restwinter. Danach sollte sich die Situation erstmal wieder entspannen – auch ohne Nord Stream 2.

Alle sind Verlierer

„Sollte die Krise so weitergehen, wird Nord Stream 2 niemals in Betrieb gehen“, sagte die Energieexpertin Claudia Kemfert vom DIW gestern Abend im Interview beim Deutschlandfunk und unterstützt den Stopp der Zertifizierung von Nord Stream 2 durch den Bundeskanzler. „Wir benötigen diese Pipeline nicht. Das sagen wir seit Jahren. Sie ist unnötig, unrentabel und widerspricht den Klimazielen. Der Stopp von Nord Stream 2 hat daher keine Auswirkungen auf die Energieversorgungssicherheit in Deutschland. Bisher wurde über diese Pipeline ohnehin noch kein Gas geliefert. Russland benötigt die Pipeline viel mehr als Deutschland“, so Kemfert.

Und auch bei einem vollkommenen Stopp der russischen Lieferungen sieht Kemfert vor allem Russland als Hauptverlierer, das erhebliche Einnahmeverluste hinnehmen müsste – auch wenn die Expertin bei einer weiteren Eskalation überall nur Verlierer sieht. Für die Zukunft, spielen für die Energieexpertin Kemfert mehrere Punkte eine wichtige Rolle: „Wir müssen in Deutschland eine strategische Gasreserve aufbauen, uns innerhalb Europas besser abstimmen, den Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voranbringen und Energie sparen.“

VCI fordert Entlastungen

Rund ein Drittel der Energie, die das verarbeitende Gewerbe in Deutschland verbraucht, fällt laut statistischem Bundesamt auf die Erzeugung von Chemieprodukten. Die Energie wird Unternehmen dabei als elektrischer Strom, als Wärme (etwa als Dampf oder Thermoöl) sowie direkt in Form von Brennstoffen (wie Erdgas, Kohle oder Biomasse) zur Verfügung gestellt.

Angesichts der derzeit hohen Energiepreisen betonte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), dass die Preisexplosion die Chemiebranche vor massive Probleme stellt und fordert Entlasungen von der Ampel-Koalition. „Unsere Unternehmen sind einem nie da gewesenen Preisanstieg bei Strom und Gas ausgesetzt. Gerade für den Mittelstand geht es teilweise um die Existenz.“

Spielraum für Erleichterungen habe die Politik vor allem beim Strompreis, so Große Entrup. Steuern und Abgaben heben den Strompreis in Deutschland auf einen traurigen internationalen Spitzenplatz. Große Entrup fordert daher: „Die EEG-Umlage muss jetzt weg und die Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß gesenkt werden. Das gibt den Unternehmen wieder Luft zum Atmen und Kraft für den klimaverträglichen Umbau. Niedrige Strompreise sind der beste Klimaschutz, denn viele transformative Technologien beruhen auf Strom.“

Hohe Preise stören Betriebsabläufe

In einer aktuellen VCI-Umfrage meldeten knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen, dass die Energiepreise ihre Betriebsabläufe massiv behindern. Die Unternehmen versuchen zwar die steigenden Kosten an die Kunden weiterzugeben. Allerdings sehen sich viele Unternehmen aufgrund des internationalen Preisdrucks dazu nicht in der Lage.


Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

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