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Herr Damian, wo drückt bei der Vorbereitung von Baumaßnahmen in einem Chemiepark der Schuh?
Damian: Besonders wenn man im Bestand baut, ist der Bedarf an aktuellen Infrastruktur- und Gebäudedaten enorm: Kanalverläufe, Straßen und Schienenwege, Rohrleitungen, Stromtrassen, Probenahmestellen, die historische Nutzung der Fläche, die verwendeten Baumaterialien in den Gebäuden. Das Problem ist häufig, dass diese Daten zwar dokumentiert sind – aber nicht zentral in einem System, sondern verteilt auf die unterschiedlichsten Quellen: papiergebunden in Aktenordnern, digital in unterschiedlicher Planungssoftware, bei den Unternehmen selbst ebenso wie bei Dienstleistern. Entsprechend zeitaufwendig ist die Planung von Bauprojekten: Bis alle nötigen Informationen allen beteiligten Unternehmen vorliegen, bis alle Verantwortlichen ihre Anmerkungen gemacht und ihre Freigabe erteilt haben, bindet der Prozess Zeit und wertvolle Ressourcen. Wenn man diese Daten digitalisiert und den Zugriff auf die Informationen möglichst intuitiv gestaltet, dann kann man jede Menge Zeit sparen.
Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem der Unterschied zwischen analoger Vergangenheit und digitaler Gegenwart besonders deutlich wird?
Nehmen wir das Gebäudeschadstoffkataster. Für jedes Gebäude ist ein solches Kataster vorgeschrieben. In ihm muss detailliert dokumentiert werden, an welchen Stellen im Gebäude in der Vergangenheit mögliche Schadstoffe verbaut worden sind, sei es in der Dämmung, in der Beschichtung von Stahlträgern oder sonst wo. Diese Details werden spätestens dann relevant, wenn eine Baumaßnahme an dem Gebäude ansteht, zum Beispiel weil eine Anlage modernisiert oder erweitert wird. Da wird es sehr kleinteilig. Die Verwaltung und Weitergabe solcher Detailinformationen ist deshalb fehleranfällig. Nehmen wir das Beispiel Asbest: Wegen der gesundheitsschädigenden Eigenschaften ist es seit 1993 in Deutschland verboten, Asbest in Verkehr zu bringen. Bis dahin hatte unter anderem die Bauindustrie Asbest großzügig eingesetzt. In älteren Gebäuden müssen wir also sicherstellen, dass beispielsweise ein externer Fliesenleger weiß: In diesem einen Raum wurde ein Fliesenkleber verwendet, der Asbest enthält. Nur dann kann der Handwerker die nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Bis vor kurzem haben wir das Gebäudeschadstoffkataster dateibasiert geführt. Das bedeutete, dass für jeden Raum und jedes potenziell asbesthaltige Bauteil in diesem Raum ein eigenes Dokument existierte. Bei 86 Gebäuden muss man da ganz schön viele Einzeldokumente im Blick behalten.
Und heute?
Jetzt reichen ein paar Klicks. Wir haben den gesamten Chemiepark digital nachgebaut und alle ortsgebundenen Daten in diesem digitalen Plan hinterlegt. Das sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie Google Maps. Damit haben es unsere Bauprojektleiter heute sehr viel leichter als früher. Sie brauchen nur in unserem Geoinformationssystem auf das betreffende Gebäude zu klicken. Dann öffnet sich ein Grundriss, mit dem man weiter in den betreffenden Raum hineinzoomen kann. Per Klick öffnet sich ein Fenster mit allen Informationen zu möglichen Gebäudeschadstoffen. Dort sieht man dann zum Beispiel, dass der Fliesenkleber asbesthaltig sein könnte. Für unsere Bauleiter war diese Recherche früher eine eher unbeliebte Aufgabe. Heute machen sie das mit einer fast schon spielerischen Freude. Es ist eben eine viel intuitivere Art, wenn man Informationen über den konkreten Ort in einer digitalen Karte zugänglich macht anstatt über Einzeldokumente in irgendwelchen Dateiordnern. Mit dieser Form der Digitalisierung sparen wir jede Menge Zeit.
Gehören solche Geoinformationssysteme mittlerweile nicht
schon zum Standard?
Theoretisch schon. Aber praktisch werden die Möglichkeiten längst nicht ausgeschöpft. Dafür muss man allerdings am Anfang etwas Zeit investieren, genau überlegen bei welchen Prozessen einen das System zukünftig unterstützen soll und letztlich die Software sowie die einzelnen Web-Services so konfigurieren, dass sie zum eigenen Geschäft und den Aufgaben passen. Unser Ziel war es von Anfang an, ein umfassendes Tool zu schaffen, das möglichst viele ortsbezogene Daten intelligent miteinander verknüpft und den Anwendern prozessorientiert zur Verfügung stellt. Entsprechend erweitern wir die Einsatzgebiete Schritt für Schritt, zum Beispiel um möglichst effizient die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) zu erfüllen. Als Anlagenbetreiber müssen wir sämtliche im Betrieb eingesetzten Stoffe dokumentieren – und ebenso die regelmäßigen Prüfungen und Sanierungsmaßnahmen der einzelnen Objekte. Jede Klimaanlage, jede Brandschutztür, jeder Kanal muss strukturiert überwacht werden. Im Chemiepark Gendorf kommen wir so auf an die 100 000 prüfpflichtige Objekte. In unserem Geoinformationssystem sind jetzt alle relevanten Informationen hinterlegt. Auf dieser Grundlage können wir zum Beispiel für die Kanalprüfungen praktisch per Knopfdruck Aufgabenlisten erstellen, die wir im Zeitraum X abarbeiten müssen, um die jeweils vorgeschriebenen Prüfpflichten aus EÜV, AwSV etc. zu erfüllen. Die Möglichkeiten des Geoinformationssystems sind damit aber noch längst nicht ausgeschöpft. Wir prüfen derzeit in einer nächsten Ausbaustufe, wie wir die Genehmigungsdatenbank des Chemieparks abbilden können. Ein Unternehmen im Chemiepark Gendorf könnte dann per Mausklick die gesamte Genehmigungshistorie eines Objekts nachverfolgen, inklusive aller damit verbundenen Auflagen und des Erfüllungsstands.
Zurück zur Umsetzung von Bauvorhaben. Was unternehmen Sie
in Sachen Digitalisierung noch, um die Prozesse zu beschleunigen und effizienter zu machen?
Infraserv Gendorf kümmert sich nicht allein um die Infrastruktur im Chemiepark Gendorf, sondern unterstützt Kunden beim Anlagenbau mit Engineering-Leistungen. Dafür haben wir eine digitale Planungsumgebung entwickelt: Gendorf CAX 4.0. Sie ermöglicht gewerkübergreifende Planungsprozesse und die durchgängige digitale Kette bei Industrieanlagen. Verfahrenstechnik, EMSR-Technik, Rohrleitungsbau und Instandhaltung werden vernetzt. Eine eigens konzipierte serverbasierte IT-Architektur erlaubt es Planern und Auftraggebern, in Echtzeit auf 3D-Planungsmodelle zuzugreifen. Feedback und Revisionen werden digital gepflegt und können vom Projektteam eingearbeitet werden. Folglich steigt die Geschwindigkeit im gesamten Planungsprozess – und die Fehleranfälligkeit sinkt. Unsere Ingenieure und Anlagenplaner nutzen seit über eineinhalb Jahren Gendorf CAX 4.0 und erleben die Vorteile in ihrer täglichen Arbeit. Viele weitere digitale Prozesse lassen sich an unsere Planungsumgebung andocken, zum Beispiel die Rohrleitungsfertigung, die wir auch digitalisiert haben. So können wir mithilfe der Digitalisierung unsere Kunden dabei unterstützen, ihre Veränderungswünsche umzusetzen – und das möglichst flexibel, schnell und kostengünstig.
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Das Interview führte für Sie: Dr. Bernd Rademacher
Redakteur
„Das Problem ist häufig, dass viele Daten zwar dokumentiert sind – aber nicht zentral in einem System, sondern verteilt auf die unterschiedlichsten Quellen und Formate.“