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Digitalisierung geht nicht ohne durchgängige Strukturen. Wie ist hier der aktuelle Stand und wo liegen noch Potenziale?
Rösberg: Die Grundlagen für einen durchgängigen, standardisierten Datenaustausch, der idealerweise bereits in der Planungsphase einer Anlage beginnt, wurden bereits vor etwa zehn Jahren geschaffen, mit der NE 100 und durch die Arbeit der Namur-Projektgruppe Prolist. Für eine lückenlose Integration des Workflows aller am Plant Lifecycle beteiligten Gewerke sind maschinenlesbare Beschreibungen der relevanten Merkmale von Prozessautomatisierungskomponenten eine notwendige Voraussetzung. Die Realität hinkt jedoch den heute prinzipiell realisierbaren Strukturen noch deutlich hinterher, aber an der Umsetzung wird gearbeitet. Die Digitalisierung treibt schließlich die Verbesserung und Rationalisierung der Prozesse voran, nicht nur bei der Planung, sondern auch in der späteren Produktion und Organisation. Über den Gesamtlebenszyklus einer Anlage lassen sich dadurch beachtliche Kosten sparen.
Wie weit ist die Standardisierung heute?
Rösberg: Im Wesentlichen schaffen heute drei Namur-Empfehlungen (NE) die Voraussetzungen dafür, dass Anlagenbetreiber während des kompletten Prozesses der Anlagenplanung herstellerunabhängig das für den jeweiligen Anwendungsfall ideal geeignete Entwicklungstool bzw. die jeweils am besten passenden Komponenten oder Steuerungslösungen wählen können: die NE 159 für die Schnittstelle zwischen der Verfahrenstechnik- und Prozessleittechnik-Planung (VT und PLT), die NE 100 (mit IE 61987 und eCl@ss) zur Beschreibung von PLT-Geräten wie Sensoren und Aktoren sowie die NE 150 zum Austausch von Engineeringdaten zwischen CAE-System und PLS-Engineering-Werkzeugen. Diese Empfehlungen werden ergänzt von der DEXPI (Data Exchange in the Process Industry). Sie soll Fehler vermeiden, wenn Daten für die VT-Planung generiert und übernommen werden, also bei der Planung von Instrumenten und Rohrleitungen. Alle relevanten Daten aus diesen Planungsphasen sollen dann schlussendlich im laufenden Betrieb der Prozessleittechnik zur Verfügung stehen, für Predictive Maintenance und – im Idealfall – für die Organisation von Arbeitsaufträgen und Kostenkalkulationen. Für die durchgängige Datennutzung müssen die Daten natürlich entsprechend gepflegt werden, um immer auf dem aktuellen Stand zu sein.
Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt bei diesem Digitalisierungsprozess ist damit die PLT-Planung?
Rösberg: Ja, im Hinblick auf die Digitalisierung legen wir den Fokus auf die PLT-Planung. Werden hier die genannten Standards umgesetzt, können Anlagenplaner und -betreiber herstellerunabhängig das für den jeweiligen Anwendungsbereich am besten geeignete Entwicklungstool bzw. die am besten passenden Komponenten und Steuerungslösungen wählen. Die Kommunikation an den Schnittstellen zwischen Vorplanung, Basisplanung, Ausführungsplanung und Inbetriebnahme wird dadurch deutlich erleichtert und aktuelle Trends der Prozessindustrie lassen sich zuverlässig umsetzen: verkürzte Time-to-Market dank parallelem statt seriellem Abarbeiten bestimmter Teilprozesse sowie die Modularisierung durch den Zukauf kompletter Anlagenteile. Bei unserem PLT-CAE-Planungssystem stehen all diese Daten auch nach der Inbetriebnahme als digitalisierte „as-built-Dokumentation“ zur Verfügung und können mit entsprechenden Tools wie zum Beispiel Livedok sehr einfach auf dem aktuellen Stand gehalten werden.
Welchen Beitrag liefert in diesem Zusammenhang Semanz 4.0 als Basis für den Informationsaustausch in Industrie-4.0-Anwendungsfällen?
Rösberg: Das ist ein Thema, das uns aktuell sehr beschäftigt und bei dem wir auch aktiv beteiligt sind. Für Systeme, die auf eine Kollaboration bzw. Kooperation mit anderen Systemen angewiesen sind, muss die Semantik der ausgetauschten Informationen modelliert werden. Das betrifft Maschinen, die Produktionsaufträge selbstständig untereinander (um)verteilen oder Sensordaten, die aus räumlich verteilten Messungen zusammengeführt werden. Semanz 4.0 (Semantische Allianz für Industrie 4.0) geht damit noch einen Schritt weiter als die Schnittstellen-Standardisierung. Auch die Semantik muss stimmen, damit die ausgetauschten Inhalte verstanden werden. Eine solche gemeinsame Kommunikationsbasis kann dann in der Prozessindustrie für höhere Sicherheit sorgen. Sind zum Beispiel in den Planungsdaten für einen Sensor bestimmte Grenzwerte definiert, werden diese vor Ort programmiert. Nun ist es sinnvoll zu überprüfen, ob das auch richtig umgesetzt wurde, eventuelle Unterschiede zu dokumentieren und – falls es sich um einen Fehler handelt – diesen zu beheben.
Ein weiteres Thema im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und Digitalisierung ist Big Data. Was zeichnet sich hier für die Prozessindustrie ab?
Rösberg: Hier gilt es die Frage zu beantworten, wie man Daten aus bestehenden Anlagen nutzen kann. Es erschließt sich ein großes Potenzial, wenn sich betriebsbewährte Geräte anlagenübergreifend auswerten lassen. Anhand von Störungs- und Grenzwertdaten sind z. B. Optimierungspotenziale an den Geräten selbst oder im Prozess erkennbar. Namur Open Architecture (NOA) bietet dafür eine gute Grundlage. Darin wird die klassische Automatisierungspyramide nicht aufgelöst, sondern erweitert, damit schnelllebige IT-Komponenten von der Feldebene bis zur Unternehmensführung einfach integriert werden können, ohne die Verfügbarkeit und Sicherheit der Anlage zu gefährden. Dazu gehört der Einsatz neuer, kostengünstiger Sensoren und Kommunikationstechnologien, beispielsweise drahtlos kommunizierender, batteriebetriebener Temperatur- oder Vibrationssensoren, die für Monitoring- und Optimierungsaufgaben eingesetzt werden. Über einen zusätzlichen Kommunikationskanal könnten diese Feldgeräte bestimmte Daten dann direkt in die Cloud schicken. Wer in solchen Fällen die Hoheit über diese Daten hat wird zurzeit diskutiert. Fakt ist aber, dass einige unserer Anwender an einem solchen Lösungsansatz interessiert sind. Dabei gilt es natürlich auch, das Thema Security nicht aus den Augen zu verlieren, weshalb man es im Bereich der Prozessindustrie vermehrt mit privaten Clouds zu tun haben wird.
Wie geht es für Rösberg in Zukunft weiter?
Rösberg: Bei der Weiterentwicklung unserer Systeme werden wir weiterhin aktuelle und künftige Trends im Blick haben. So setzt sich heute der Einsatz mobiler Geräte gerade auch bei der Anlageninstandhaltung immer mehr durch. Anwendungen wie Livedok laufen auf mobilen Geräten mit Android und Windows. In Kombination mit RFID, QR- oder Barcodes lassen sich gerade bei der Instandhaltung weitere Vorteile nutzen. Auch eine einfache Bilddokumentation von Problemen vor Ort, Checklisten für Prüf- oder Arbeitsabläufe mit dem mobilen Gerät ist inzwischen möglich. Jetzt realisieren wir den nächsten Schritt. Unser Dokumentationstool soll auch die Microsoft Hololens unterstützen. Diese transparente Mixed-Reality-Brille funktioniert auch ohne Smartphone oder Tablet. Der Techniker hätte die Hände frei, wenn er in der Anlage unterwegs ist. Gerade bei weitläufigen Anlagen werden sich dadurch viele Vorteile ergeben. Kein Wunder also, dass große Konzerne wie die BASF sehr an einer solchen Weiterentwicklung und insgesamt an den Möglichkeiten der Digitalisierung interessiert sind.
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„Die Digitalisierung treibt die Verbesserung und Rationalisierung der Prozesse voran, nicht nur bei der Planung, sondern auch in der späteren Produktion und Organisation.“