Für die Anlagen der chemischen Industrie bedarf es besonders widerstandsfähiger Werkstoffe. Duplexstähle sind solche Werkstoffe. Doch auch sie stoßen in bestimmten Umgebungen an Belastungsgrenzen. Anhand eines Falls von Spannungsrisskorrosion an einer kontinuierlich betriebenen Destillationskolonne zeigt TÜV Süd wie wichtig es ist, Werkstoff und Einsatzzweck adäquat aufeinander abzustimmen.
Die Autoren: Dr. Helga Leonhard Werkstoffexpertin, Materials Eng. & Testing, TÜV Süd Chemie Service Dr. Gernot Grötsch Werkstoffexperte, Materials Eng. & Testing, TÜV Süd Chemie Service
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Duplexstähle sind in der chemischen Industrie ein gängiger Werkstoff. Aufgrund ihrer austenitisch-ferritischen Zusammensetzung sind sie besonders widerstandsfähig gegenüber Korrosionsangriffen. Lange bestand sogar die Auffassung, dass sie gegenüber Spannungsrisskorrosion gänzlich unempfindlich sind. Doch in bestimmten Umgebungen – meist in chloridhaltigen Medien bei erhöhten Temperaturen – ist auch diese Korrosionsform nachweisbar. Vor dem Hintergrund der Sicherheit und Verfügbarkeit chemischer Anlagen sowie ihrer Wirtschaftlichkeit und Lebensdauer sind sorgfältige Schadensanalysen, Korrosionsversuche und -monitoring unerlässlich. Denn nur auf diese Weise wird ersichtlich, wie es um den momentanen Zustand der Anlage bestellt ist.
Ausfall nach zehn Jahren
Eine Destillationskolonne in einer Chemieanlage ist nach zehn Jahren kontinuierlichen Betriebs ausgefallen. Es lag Spannungsrisskorrosion vor. Das Schadensbild zeigte starke Ausprägungen im Sumpf und schwächere Ausprägungen im oberen Teil der Kolonne bis etwa 15 m Höhe. Auslöser für die Schäden war das Medium im Sumpf der Destillationskolonne: eine saure, sauerstofffreie, wässrige chloridhaltige Lösung mit stark oxidierenden Zusätzen. Die Temperaturverhältnisse betrugen im Sumpf +125 °C und im oberen Teil der Kolonne noch etwa +90 °C. Die Anlage war aus an sich robustem austenitischem Stahl (1.4571, Titan stabilisiert) gefertigt.
Es galt also einen noch widerstandsfähigeren Werkstoff zu finden, der den spezifischen Anforderungen des Einsatzwecks noch angemessener war. Entsprechende Laborversuche wurden vorgenommen. Nach ihrem Ergebnis schien Duplexstahl (1.4462) geeigneter zu sein. Die beschädigte Komponente wurde aus diesem Werkstoff nachgefertigt. Zusätzlich wurde die Innenoberfläche gezielt abtragend gebeizt, um die Widerstandsfähigkeit gegen Spannungsrisskorrosion noch zu verstärken.
Offenbar Lochkorrosion nach fünf Jahren
In den Folgejahren wurde die Destillationskolonne bei jedem Shut-down zur Wartung auf Korrosionsangriffe untersucht. Nach fünf Jahren war ein Korrosionsangriff auf der Wandinnenoberfläche im Sumpfteil feststellbar. Das Blech zeigte ausgeprägte muldenförmige Löcher. An der Schweißnaht waren grabenartige Anfressungen feststellbar. Der Schaden befand sich in den Bereichen des Sumpfteils, der in direktem Kontakt zu der Chloridlösung stand.
Elektrochemische Untersuchungen mit der Chloridlösung als Testmedium wurden vorgenommen. Bereits bei +90 °C zeigte sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für Lochkorrosion. Daher gingen die Fachleute davon aus, dass es sich beim vorliegenden Befund ebenfalls um einen Fall von Lochkorrosion handeln müsse.
Befund scheinbar unverändert
In den Folgejahren wurde beobachtet, ob und wie sich der Korrosionsvorgang weiter entwickeln würde. Für diesen Zweck wurde der vorliegende Befund an ausgewählten Oberflächenbereichen auf eine Folie übertragen und die Tiefe der auffälligsten Anfressungen gemessen. Bei jedem weiteren Shut-down wiederholten Experten dies. Durch einen Vergleich der Folien sollten etwaige Veränderungen im Erscheinungsbild der Oberfläche – und damit ein mögliches Fortschreiten des Korrosionsvorgangs – ersichtlich werden. Ebenso wurden die gemessenen Tiefen miteinander verglichen. Im Ergebnis waren sowohl in der Fläche als auch in der Tiefe keine Veränderungen feststellbar. Deshalb gingen die Fachleute zunächst davon aus, dass es sich anscheinend um Lochkorrosion und ein einmaliges Ereignis handelte, das danach offenbar zum Stillstand kam.
Bis zu einer gewissen Ausprägung ist Lochkorrosion vertretbar. Allerdings kann es zu Spannungsrisskorrosion kommen, wenn zusätzlich Zugspannungen wirken. In der Folge kann dies dazu führen, dass die Funktion des Bauteils infrage gestellt ist.
Farbeindringtest macht Risse sichtbar
Als die Destillationskolonne vier Jahre später einer Gasdruckprüfung unterzogen werden sollte, wurden zur Sicherheit einige der grabenartigen Anfressungen an der Bodenrund- und Längsnaht des Sumpfteils noch einmal genauer untersucht. Ein Farbeindringtest wurde vorgenommen. Dieser blieb aber ohne klares Ergebnis. Deshalb wurde die Oberfläche der Schweißnaht vorsichtig abgeschliffen und der Farbeindringtest wiederholt. Nun wurden Risse ersichtlich, die zuvor nicht erkennbar waren. Weitere Untersuchungen zeigten, dass sie zum Teil die gesamte Wand durchdrungen hatten.
Eine metallografische Untersuchung anhand von herausgetrennten Stücken ergab: Es handelte sich um Spannungsrisskorrosion. Sie verlief fast ausschließlich im Austenitkorn. Damit war das Schadensbild transparent nachvollziehbar. Die beiden Phasen des austenitisch-ferritischen Gefüges verlaufen im Blechwerkstoff in Zeilen parallel zur Oberfläche. Dadurch konnte der Korrosionsangriff nicht weit in die Tiefe dringen. Er wurde sozusagen durch die ferritische Zeile ausgebremst. Es blieb bei einem flachen, lochartigen Korrosionsangriff.
In der Schweißnaht hingegen verlaufen die austenitisch-ferritischen Phasenanteile fast senkrecht zur Oberfläche. Zugeigenspannungen vom Schweißen wirken parallel zur Oberfläche, wo sie auch am stärksten sind. Das führt dazu, dass sich vertikal zur Oberfläche Risse bilden. Im Austenit dringen sie tief und weitverzweigt ein. Zum Teil waren sie mit Korrosionsprodukt gefüllt, was auch den zunächst unklaren Befund des Farbeindringtests erklärt. Anhand von geschliffenen Proben konnten die Befunde im Korrosionsversuch nachgestellt werden. Das Sumpfteil wurde aus Titan nachgefertigt, das in diesem Fall korrosionsbeständiger ist. Die Destillationskolonne war damit wieder funktionstauglich.
Werkstoffe sorgfältig auswählen
Das Fazit: Auch korrosionsbeständige Werkstoffe wie Duplexstahl sind nicht unbegrenzt belastbar. Abhängig vom Einsatzzweck kann es zu Spannungsrisskorrosion kommen. Zug-spannungen und das besondere Gefüge des Duplexstahls führen zu den unterschiedlichen Erscheinungsbildern: muldenförmige Löcher an der Blechinnenwand und grabenartige Anfressungen an der Schweißnaht. Vermeintliche Lochkorrosion sollte daher immer genauer untersucht werden, es könnte sich um Spannungsrisskorrosion handeln.
TÜV Süd Chemie Service verfügt für solche Fälle über ein akkreditiertes Korrosionslabor. Die Experten beraten bei Werkstoffauswahl, Korrosionsschutz, übernehmen das Monitoring und die Schadensanalyse bis hin zu Gutachten.
prozesstechnik-online.de/cav1213454
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