Viele von uns arbeiten derzeit im Homeoffice und sind über ein Ethernetkabel mit dem Internet verbunden. Die charakteristische Buchse findet sich heute nahezu an jedem Elektrogerät, das etwas auf sich hält: Fernseher, AV-Receiver, Satellitenempfänger oder Kaffeemaschine. Doch das achtadrige Kabel ist für den industriellen Einsatz in der Prozesstechnik nicht geeignet. Die Unternehmen der Prozessindustrie bevorzugen die Zweileitertechnik, außerdem müssen die Kabel abgeschirmt und Ex-geschützt sein. Abhilfe schafft hier der Advanced Physical Layer für Ethernet, kurz Ethernet-APL. Erüberbrückt die heute noch bestehende Klamm zwischen Leittechnikraum und Feld in einer Prozessanlage. Die Zweidrahtleitung ist für ihre Robustheit geschätzt und etabliert. Ethernet-APL definiert alle wesentlichen Eigenschaften hinzu: lange Kabelwege, Stromversorgung, 10-Mbit/s-Datenrate und Explosionsschutz mit Eigensicherheit.
Perfekte Datenautobahn
Um die Digitalisierung per Ethernet bis ins Feld voranzutreiben, ist eine Datenautobahn mit der exakt passenden Physik erforderlich. Ziel des APL-Projekts, eine Kooperation von zwölf namhaften Lieferanten und vier Anwender- und Standardsorganisationen, ist es, diesen einen Übertragungsweg auf die Bedürfnisse der Prozessindustrie exakt zuzuschneiden und diese eine Datenautobahn zu etablieren. Gemeinsam definiert, fließt Ethernet-APL in international gültige Normen ein. „Die Kommunikation ist bereits als 10BASE-T1L im bekannen IEEE 802-Standard veröffentlicht“, sagt Andreas Hennecke, Product Marketing Manager bei Pepperl+Fuchs. „Der Community Draft for Vote für den Explosionsschutz mit Eigensicherheit wurde ebenfalls veröffentlicht. Eine Verabschiedung durch das IEC-Gremium ist damit so gut wie gewiss.“ Dieser Standard gewährleistet die Kompatibilität von Ethernet-APL-Teilnehmern, die auch Knoten genannt werden. Alle anderen Definitionen sind ebenfalls weit fortgeschritten. So wird die Technologie für alle Marktteilnehmer demnächst zugängig.
Revolutionär neu und dennoch vertraut
Ethernet-APL geht über die Definition der Kommunikation nach IEEE-Standard weit hinaus. „Ethernet-APL definiert alle Eigenschaften“, erläutert Hennecke. „Zweidrahtleitung, steckbare Klemmen und verpolungssichere Geräte gewährleisten die Einfachheit im Umgang und bei der Installation“, sagt der Produktmanager. Eine hohe Festigkeit gegen elektromagnetische Störungen, Blitzschutz und der anwenderfreundlich gestaltete Explosionsschutz sorgen für Interoperabilität. Die Arbeitsgruppen definieren aktuell Tests, nach denen alle Geräte zertifiziert werden. Diese Definitionen und die bei den Anwenderorganisationen in der Entwicklung befindlichen Prüfungen bilden die Basis für Kompatibilität.
Nutzen für die Anwender
Ethernet im Feld bietet mehr Messwerte, präzisere Übertragungstechnik sowie den parallelen Zugang von mehreren Systemen oder Bedienstationen, weil Ethernet verschiedene Protokolle gleichzeitig transportieren kann. Ethernet ermöglicht datengestütztes Arbeiten für alle Beteiligten einer Prozessanlage. „Switches ersetzen die früher notwendigen Netzübergänge und Gateways – die Zuordnung der Daten am Protokollübersetzer und der damit verbundene Planungs- und Konfigurationsaufwand entfällt“, sagt Hennecke.
Der Betreiber kann Daten von Steuerungs- und Wartungsstationen automatisch mit Feldgeräteinformationen anreichern. Digitale Daten sind höher aufgelöst. Diese ermöglichen in Kombination mit Konfigurations- und Diagnosedaten Erkenntnisse über die Zustände von Geräten und Prozess und damit eine präzisere Führung der Anlage und vorrausschauende Instandhaltung.
Redundante Infrastruktur
Die Installation muss an die Bedingungen aller Arten von Anlagen anpassbar sein. Der APL-Switch bildet hierfür das Kernelement, indem er die Verbindung zur Instrumentierung herstellt und die Daten transparent und barrierefrei transportiert. So können Daten auf Wunsch bis in das ERP-System übertragen werden. Sie unterstützen Fast Ethernet oder Gigabit und lassen sich in jede darüberliegende Netzwerkarchitektur, optional auch mit Redundanz, einbinden. Die Geräteanschlüsse mit bis zu 200 m Länge können mit Eigensicherheit in jede explosionsgefährdete Zone oder Division führen.
Größere Kabellängen bis 1000 m ermöglicht in Zukunft der Power Switch mit hoher Speiseleistung in Kombination mit bis zu drei Trunk-gespeisten APL-Field-Switches. Diese Variante entspricht 1:1 dem heute bei Feldbusinstallationen bekannten und wegen seiner Einfachheit und Widerstandsfähigkeit geschätzen Topologie mit Haupt- und Stichleitungen, genannt: Trunk-und-Spur-Topologie.
Mit klarem Migrationspfad
Für Modernisierungs- und Migrationsprojekte bietet Ethernet-APL erstmals einen Lösungsweg. Der bekannte Kabeltyp ‚A‘ kann weiter verwendet werden. Ein besonderes Merkmal bietet der Pepperl+Fuchs Field Switch. „Das Feldgerät kann wahlweise die Feldbusprotokolle Profibus-PA oder Profinet kommunizieren“, erläutert Hennecke. Der Switch erkennt die vom angeschlossenen Teilnehmer gesendeten elektrischen Signale und Protokolle, und wandelt diese dann automatisch in Daten für das Leitsystem um. „Davon profitieren vor allem Early Adopter, wenn in der Anfangsphase dieser Technologie noch nicht alle Geräte mit APL-Anschluss verfügbar sind“, so Hennecke. Ähnliches gilt bei einer Anlagenmodernisierung, bei der es die Investion in die Instrumentierung zu schützen gilt. Die Techniker tauschen oder ersetzen Geräte nur bei Bedarf Zug um Zug.
Übertragung sicherheitsgerichteter Signale
„Endanwender wünschen sich außerdem, dass sicherheitsgerichtete Signale per Ethernet übertragen werden können“, erklärt Hennecke. „Hier kann sich Ethernet-APL als Enabler erweisen.“ Die Protokolle bieten dafür bereits Funktionen in der Kommunikation, die sich mit APL-Technologie bald in Feldgeräten finden könnte. So kann die gleiche Infrastruktur für Prozess- und für Sicherheitssignale aufgebaut werden.
Die Übertragung zwischen Sicherheitssteuerung und Feldgeräten ist SIL 3, ohne dass man für die Infrastruktur separate Betrachtungen durchführen muss. Hierzu dient das Konzept des „schwarzen Kanals“, was die Kapselung für die Daten definiert und diese in einem „normalen“ Telegramm überträgt. „Eine erhebliche Vereinfachung für Planer, Betreiber und Hersteller“, resümiert Hennecke.
Dr. Bernd Rademacher
Redakteur
Nachgefragt: bei Andreas Hennecke
Ethernet-APL wird zur Achema Puls marktreif. Was heißt das genau?
Hennecke: Die Mitglieder des Ethernet-APL-Konsortiums stellen zur diesjährigen Achema Produkte für Ethernet-APL vor. Pepperl+Fuchs wird einen lieferbaren APL-Switch vorstellen.
Wie wird es danach weitergehen?
Hennecke: Nun, es handelt sich natürlich um eine völlig neue Technologie. Wir stehen immer noch an der Anfangsphase. Es gilt zunächst, den Unternehmen diese Technologie zugänglich zu machen. Sicherlich empfiehlt es sich, mit einer kleinen Applikation zu starten und erst einmal Erfahrungen mit Ethernet-APL zu sammeln.
Wie sieht es mit den Anschlusskosten für einen Messpunkt aus?
Hennecke: Unser Ziel ist es, die Anschlusskosten in der Größenordnung von Profibus-PA oder Remote-I/O zu halten.
Wie sehen Sie das Potenzial von Ethernet-APL?
Hennecke: Sehr groß. Ethernet-APL wird in naher Zukunft alle anderen digitalen Protokolle ablösen.