Unternehmen wie die BASF stehen vor der Herausforderung, unzählige Produktionen und Anlagen weltweit auf dem neuesten technologischen Stand zu halten. Um sicher zu stellen, dass einerseits leistungsfähige Technik eingesetzt wird und andererseits keine Überraschungen auftreten, werden neue Geräte und Technologien vorab auf Herz und Nieren getestet. So auch bei der Einführung der Ethernet-APL-Technologie.
Sie hängen ordentlich aufgereiht an der Wand. Säuberlich aufgewickelte Kabel wandern von jedem Gerät in eine Ecke des Raums, um dort in einem dicken Kabelbündel zu verschwinden. Außergewöhnlich nur, dass keines der Durchfluss-, Druck- oder Temperaturmessgeräte seinem eigentlichen Zweck entsprechend an eine Rohrleitung angeschlossen ist. Doch dieses für den außenstehenden Betrachter ungewohnte Bild ist Routine für die Ingenieure bei BASF, denn mit Medium gefüllte Rohrleitungen sind im elektrotechnischen Testlabor der BASF in Ludwigshafen überflüssig. In diesen Räumen konzentrieren sich die Ingenieure darauf, die Kommunikation von Feldgeräten zu untersuchen und zu testen.
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An den Wänden ist für praktisch jedes Messprinzip auch ein Gerät von Endress+Hauser präsent, das den neuen Kommunikationsstandard Ethernet-APL nutzt. Der Zusatz APL bedeutet Advanced Physical Layer und beschreibt die physikalische Schicht der Ethernet-Kommunikation. Sie wurde speziell für die Anforderungen der Prozessindustrie entwickelt. Ziel war es, prozesstypische Rahmenbedingungen wie den sicheren Betrieb in explosionsgefährdeten Bereichen und die Kommunikation über große Entfernungen mit einem einzigen zweiadrigen Kabel für Strom- und Kommunikationssignale zu realisieren – und das bei hohen Geschwindigkeiten bis zu 10 MBit/s.
Datenautobahn ermöglicht neue Funktionalitäten
In der Praxis führen die neuen Eigenschaften dazu, dass Anwendungen wie vorausschauende Wartung möglich werden. Edge-Geräte übermitteln hierzu Geräte-Daten direkt vom Feld in die Cloud wie beispielsweise in das Endress+Hauser IIoT-Ökosystem Netilion. Dort werden Analysen und Auswertungen gefahren und deren Ergebnisse an die Anwender in Form von Informationen und Handlungsempfehlungen zurückgespielt.
Solche Möglichkeiten und die Rahmenbedingungen einer neuen Kommunikation in den Anlagen klangen von Anfang an auch für die Automatisierer der BASF in Ludwigshafen reizvoll. Sie beschäftigen sich spätestens seit der Namur-Hauptversammlung im Jahr 2016 mit den Details der Ethernet-APL-Kommunikation – etwas mehr als zehn Jahre nachdem die digitale Kommunikation mit Profibus PA und dem Foundation Fieldbus ihren ersten Einzug in die Anlagen gehalten hatte.
Um möglichst schnell auch praktische Erfahrungen mit dem neuen Ansatz sammeln zu können, organisierten die BASF-Ingenieure im Anschluss an den Namur-Workshop vor fünf Jahren Geräte unterschiedlicher Hersteller und probierten sie aus. Umfangreiche Tests des Zusammenspiels von Steuerungs- und Leittechnik, Frequenzumrichtern, Netzwerk-Verteilern, Stellgeräten und Mess- und Analysegeräten sollten folgen. Daher richteten sie schließlich im März 2019 ein größeres, eigenständiges Testlabor mit Prototypen führender Prozesstechnik-Ausrüster ein.
Als gemeinsames Industrial Ethernet Protokoll unterstützen die Komponenten das Profinet-Protokoll. Hintergrund ist, dass dieses Protokoll bereits seit vielen Jahren in Fabrik-Anwendungen eingesetzt wird und mit der Verabschiedung der finalen Version des kommunikationsunabhängigen PA-Profils V4.0 ein großer Schritt in Richtung der Ertüchtigung von Profinet für den Einsatz in Anlagen der Prozessautomatisierung geschafft wurde. In der Konsequenz stellte Endress+Hauser seine Feldinstrument-Prototypen ebenfalls mit Profinet zur Verfügung.
Vorteile der neuen Technik
Dem Aufwand für neue Hard- und Software sowie deren umfangreichen Tests stehen konkrete Erwartungen über den Nutzen der Technik gegenüber. Nicht wenige sehen in Ethernet-APL die Möglichkeit, Services und Funktionen neuer digitaler Angebote der Zukunft überhaupt nutzen zu können. Aber auch handfeste Vorteile der Gegenwart sprechen für die Technik: Die Arbeit im Testlabor zeigt, dass Daten schnell in die Sensoren hochgeladen werden können. Auch der umgekehrte Weg, der Download von Daten in die Geräte, ist problemlos und mit hoher Geschwindigkeit möglich.
Netzwerk- und Gerätediagnosen sind einfach aufrufbar, Fehler leicht zu identifizieren und somit schneller zu beseitigen. Im Zusammenspiel mit der System- und Medienredundanz führt das zu einer effizienten Instandhaltung und hohen Verfügbarkeit der Anlage. Neue Applikationen werden deutlich einfacher in Betrieb genommen und eingerichtet. Die Tests bei der BASF reichten von der Installation über die Inbetriebnahme bis hin zum Ausschleusen von Daten parallel zum Prozessleitsystem und zeigen, dass Ethernet-APL die grundsätzlichen Vorteile der Ethernet-Technologie gegenüber der analogen 4…20 mA-Technologie und den digitalen Feldbussen auch in den verfahrenstechnischen Produktionen nutzbar macht.
Explosionsschutz und funktionale Sicherheit
Im BASF-Testlabor werden selbstverständlich ebenfalls Geräte installiert, die für den Einsatz in explosionsfähigen Atmosphären geeignet sind. Momentan betrifft das noch die Zündschutzart Ex ic, doch schon bald sollen eigensichere Geräte für den Einsatz in Zone 0 (Ex ia) getestet werden. Das ist möglich, weil in Anlehnung an das Fisco-Konzept (Fieldbus Intrinsically Safe Concept, IEC 60079–11 und –25) gemeinsam mit der Dekra Exam ein 2-WISE-Explosionsschutz (2-Wire Intrinsically Safe Ethernet) für eigensichere Zwei-Draht-Feldbussysteme konzipiert wurde. Auch verwendet Ethernet-APL ein von Power-over-Data-Line abweichendes Speisekonzept.
Zudem sind die bei der BASF verwendeten Standard-Sicherheitssteuerungen bereits mit einem Profinet-Kommunikationsmodul ausgestattet, das direkt mit den APL-Fieldswitches verbunden wird. Daher kann in der Zukunft dieselbe Technik für die Sicherheits- wie für die Leitsystemanwendungen genutzt werden. Detailliert werden die Vorteile des konsequenten Einsatzes der Ethernet-APL-Technologie auch im Whitepaper „Ethernet-APL im Feld für hochverfuügbare Sicherheitsanwendungen“ vorgestellt und erläutert. So empfehlen die Autoren beispielsweise die Investitionen für Ethernet-APL in der Prozessautomation mit zu nutzen, um die Anforderungen für funktional sichere Anwendungen mit zu berücksichtigen. Damit werde der Markteintritt erleichtert und nachträgliche zusätzliche Investitionen vermieden.
Szenarien durchgespielt
Frequenzumrichter, Motor-Steuerungen oder Analysegeräte – es ist nur eine Kommunikationsringleitung nötig, um alle unterschiedlichen Komponenten im Feld anzubinden. Das ist ein Vorteil bei der Einrichtung der Anlage und im Testzentrum als Szenario wiederholt geprobt. Ebenfalls für den Betreiber wichtig, und ein häufig auftretender Fall in der Praxis, ist das Ersetzen eines Netzwerkteilnehmers. Fällt beispielsweise ein Messgerät aus, muss künftig nur noch der Anschluss umgesteckt werden. Anschließend wird das Ersatz-Gerät hochgefahren und erhält alle notwendigen Informationen vom Prozessleitsystem. Das Gerät zu konfigurieren oder neu zu parametrieren ist nicht notwendig.
Für die insgesamt hohe Ausfallsicherheit sorgt das Ring-Protokoll MRP (Media Redundancy Protokol). Die Ringtopologie hilft, eine Störung schnell zu detektieren und das Netzwerk zu rekonfigurieren. Auch wird dank des Profinet-Features der S2-Systemredundanz bei einem Ausfall eines Controllers automatisch die Kommunikation durch den redundanten Controller übernommen.
Flexibel und zukunftssicher
Flexibilität auch beim Blick auf zukünftige Konnektivität. Ein Glasfaseranschluss ist im Testlabor bereits eingerichtet. So kann das Profinet-Backbone ebenfalls über den schnellen Lichtwellenleiter angebunden werden. Auf die Flexibilität zahlt zudem ein, dass obwohl mit der neuen Technik nicht mehr zwingend erforderlich, Vierleitergeräte angebunden werden können. Ein weiterer Vorteil ist, dass neben den APL-Profinet-Feldgeräten auch Profibus-PA-Geräte installiert werden können, da alle Netzwerkgeräte mit virtuellen Proxy-Servern ausgestattet sind.
Nachdem alle diese Eigenschaften überprüft und bestätigt wurden, sind sowohl das Testzentrum bei BASF als auch die Zulieferer bereit für den Einzug der ersten Serienprodukte. Sie werden ebenfalls auf Herz und Nieren geprüft, bevor der Einsatz im „echten“ Leben folgt. Doch dieser Schritt in die Produktion geht ab jetzt schnell: Durch die umfangreichen Tests an Prototypen ist das Team der BASF gut vorbereitet, um die Ethernet-APL-Technik bereits im kommenden Jahr in einer Pilotanlage an einem europäischen Standort zu installieren.
Autor: Frank Jablonski, freier Journalist, mylk+honey, für Endress+Hauser