Was ist nur aus Deutschland geworden? Unsere Infrastruktur ist marode. Brücken kaputt, die Bahn fährt nur wann sie will bzw. wann es die lädierte Infrastruktur oder der Personalmangel zulässt. Bei der Digitalisierung sind uns andere Länder meilenweit voraus. Von Fachkräften weit und breit keine Spur. Und wer in letzter Zeit mal versucht hat, ein Windrad zu bauen, hatte nicht wirklich Spaß mit der deutschen Bürokratie. Ja, in den letzen 20 Jahren sind wir bequem geworden. Eine „Phase der Selbstzufriedenheit“ hat Deutschland in eine Lethargie verfallen lassen. Wir haben den leichten, schnellen Weg gewählt. Haben uns abhängig gemacht, von russischem Gas und chinesischen Marktverlockungen. Wir haben unser Know-how freizügig mit anderen geteilt und wundern uns jetzt, dass wir von denjenigen rechts überholt werden. Sind wir also am Ende? Nein. Ein kleiner Kreis hochrangiger Beamte im BMWK stemmt sich zusammen mit ihrem Chef heftig gegen den Verfall der Republik und hat einen Plan. Er heißt: „Industriepolitik in der Zeitenwende“.
Große Herausforderungen
Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Und damit auch die deutsche Industrie. Vor allem die energieintensiven Branchen wie die chemische Industrie, die Mineralölverarbeitung sowie die Branchen Glas, Papier und Metall. Während sich die nicht-energieintensiven Branchen bemerkenswert resilient gegenüber Corona-Pandemie und russischem Angriffskrieg gezeigt haben, leiden die energieintensiven Branchen mehr oder weniger still vor sich hin. Die Produktion in Deutschland ist in diesem Bereich in den letzten drei Jahren deutlich gesunken – zum Teil um 20 %. Das soll sich jetzt ändern. Das BMWK hat die Fehler der Vergangenheit analysiert und eine neue Strategie entwickelt, die Deutschland wieder nach vorne bringen soll. Das Papier umfasst 60 Seiten und kann hier eingesehen werden.
Fehler der Vergangenheit
Der russische Angriff auf die Ukraine hat uns eines gezeigt: Wirtschaftliche Verflechtungen reichen nicht aus, um geopolitische Konflikte zu verhindern. Diese Annahme hat sich als gefährliche und teure Fehlkalkulation erwiesen, unter der die Wirtschaft leidet. Zwar konnte die Gasmangellage im letzten Winter mit großem Einsatz verhindert werden, die dafür „verbrannte Kohle“ hätte uns aber an anderer Stelle viel mehr geholfen.
Es ist unübersehbar, dass Deutschland ein Strukturproblem hat. Wie schreibt der BMWK-Bericht so schön: „Deutschland hat sich eine lange Phase der Selbstzufriedenheit erlaubt.“ Denn: Bürokratieabbau, bessere Infrastruktur und weniger Steuerlast werden schon seit Langem gefordert. Passiert ist jedoch nichts.
Neue Strategie soll helfen
Es ist nicht alles schlecht, auch wenn sich das jetzt so liest. Deutschland ist immer noch eine starke Industrienation, allerdings mit ein paar Problemzonen. Die will die neue Strategie bis zum Ende des „Brückenjahrzehnts“ beheben. Es ist klar, die vielen Versäumnisse der letzten Jahre lassen sich nicht von heute auf morgen beheben. Es braucht Zeit, um die Standortbedingungen in Deutschland wieder so attraktiv zu machen, dass Unternehmen gerne in Deutschland investieren. Das BMWK-Papier liefert aber klare Vorstellungen, wie das geschehen soll.
Zentraler Baustein ist und bleibt die Energiewende. In Zukunft soll die Industrie auf Basis von erneuerbaren Energien zu günstigen Preisen mit Energie versorgt werden. Dazu soll der Bereich weiter ausgebaut werden und vor allem bürokratische Hindernisse beseitigt werden. Bis es soweit ist, bedarf es allerdings gerade für die energieintensiven Branchen weiterer Unterstützung in Form einen Brückenstrompreises und des Spitzenausgleichs bei der Stromsteuer. Ein Fakt, der vor allem beim VCI auf Gegenliebe stößt. VCI-Präsident Markus Steilemann sagt: „Bundeswirtschaftsminister Habeck hat die Bedeutung der Grundstoffindustrien für unseren Wirtschaftsstandort erkannt. Wie die Industriestrategie betont, würden ohne sie Wertschöpfungsketten zerstört und gegen gesamteuropäische wirtschaftliche wie sicherheitspolitische Interessen gehandelt. Ein wichtiges Element für den Erhalt unserer Industrie sind wettbewerbsfähige Energiepreise. Wir begrüßen daher das Bekenntnis zum Brückenstrompreis und die Fortführung des Spitzenausgleichs bei der Stromsteuer.“
Schneller Ausbau im Infrastrukturbereich
Die Bundesregierung will den Infrastrukturstau beseitigen. Mehr Geld soll in die Bahn fließen, in den Glasfaserausbau und in den Mobilfunk. Wasserstoff als einer der Kernbausteine der Klimawende soll ausgebaut werden. Stromleitungen, die Windenergie von Norden nach Süden bringen, endlich realisiert werden. Gleichzeitig sollen Hürden für die Genehmigung solcher Infrastrukturprojekte abgebaut werden. Der Bericht nennt das „Deutschland entkrusten“. Darüber hinaus will die Bundesregierung weiterhin Innovation und Spitztechnologien fördern und den Fachkräftemangel angehen. Freiwillig länger arbeiten und damit die Rente aufbessern ist eine Möglichkeit, die umgesetzt werden soll. Eine andere: Der Zuzug von internationalen Fachkräften soll erleichtert werden.
Starker EU-Binnenmarkt
Um die Wirtschaftssicherheit zu stärken, will die Bundesregierung den EU-Binnenmarkt stärken und Abhängigkeiten von Partnern außerhalb der EU abbauen. Dadurch sollen Lieferengpässe überwunden und Produktionsausfälle verhindert werden. Dies betrifft vor allem die Mikroelektronikindustrie, deren Produkte der Schlüssel zu vielen Digitalisierungsprojekten sind. Aber auch aus Sicht der erneuerbaren Energien, die schließlich in Zukunft die energieintensiven Branchen mit billigem Strom versorgen sollen, müssen Abhängigkeiten abgebaut werden. Derzeit stammen nahezu alle Solarpanels und immerhin 60 % der weltweit produzierten Windturbinen aus China. Es braucht also eine europäische Produktion der wichtigsten Transformationstechnologien wie Photovoltaik, Wind, Batterien, Elektrolyseure und CCU/CCS.
Fördern und fordern
Die Verantwortung für die Erneuerung unserer industriellen Wertschöpfung sieht das BMWK in erster Linie bei den Unternehmen und ihren Beschäftigten. Auf dem Weg dorthin, will es aber mit verschiedensten Förderprogrammen unterstützen. Vor allem der Klimaschutz bzw. die Klimaneutralität steht dabei im Vordergrund. Um Wettbewerbsnachteile durch die auf dem Weltmarkt oft teureren Produkte mit CO2-Bepreisung auszugleichen, dient der europäische Emissionshandel (Emission Trading System, ETS) als Leitinstrument. Produkte, die außerhalb Europas ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung produziert werden, werden ab 2026 mit einem CO2-Aufschlag belegt. Das soll verhindern, dass CO2-intensive Produktionen in Länder ohne CO2-Bepreisung verlegt werden. Ein Punkt, der dem VCI überhaupt nicht schmeckt: „In die völlig falsche Richtung geht die Bewertung des Grenzausgleichsmechanismus für CO2-Emissionen (CBAM). Hier werden protektionistisch Zollmauern hochgezogen, statt den Industriestandort Europa wettbewerbsfähig zu machen,“ heißt es in einer Pressemeldung.
Papier ist geduldig
Viele Schritte sind bereits in die richtige Richtung gemacht worden, doch Papier ist geduldig. Es geht jetzt darum, dass aus der Industriestrategie des Wirtschaftsministers eine Strategie der gesamten Bundesregierung wird. Denn: Es müssen Taten folgen, zum Beispiel beim Brückenstrompreis. In den letzten Monaten wurde viel darüber diskutiert, beschlossen ist jedoch noch nichts. Letztendlich ist alles eine Frage des Tempos. Sicherlich werden wir die marode Infrastruktur nicht innerhalb eines Jahres auf Vordermann bringen, das energiepolitische Konzept kann aber sofort umgesetzt werden, um die energieintensive Industrie in Deutschland zu halten. Und auch bei der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren darf keine weitere Zeit verloren werden.
Der Plan steht also, es gilt ihn nur noch umzusetzen. Also Schluss mit der Selbstzufriedenheit! Spucken wir wieder in die Hände und steigern das Bruttosozialprodukt.