Frauen sind in vielen MINT-Berufen nach wie vor spärlich vertreten. Frau von Scala, Sie engagieren sich ehrenamtlich bei „Swiss TecLadies“, einem Mentoring-Programm der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW), und im Vorstand der SGVC als Leiterin SGVCfemmes. In beiden Fällen begleiten und unterstützen Sie Frauen in Mint-Berufen bzw. MINT-Interessierte Mädchen bei der Wahl ihres Ausbildungs- oder Studienplatzes. Was treibt Sie an, den weiblichen Nachwuchs zu fördern?
Claudia von Scala: Als ich mit dem Studium angefangen habe, waren wir nur wenige Studentinnen. Der Anfang meiner Berufskarriere gelang mir relativ problemlos. Die richtigen Barrieren und Hindernisse habe ich erst später kennengelernt, als ich Kinder hatte und mein Pensum reduzieren musste. Aber es wäre schon damals besser gewesen, wenn es mehr weibliche Chemikerinnen und Ingenieurinnen gegeben hätte. Bis heute bin ich oft die einzige Frau bei wichtigen Meetings. Je normaler es wird, dass Frauen ähnliche Jobs wie Männer machen, desto weniger werden wir auffallen. Außerdem müssen wir dann nicht immer alles viel besser machen, um vorwärts zu kommen. Deshalb möchte ich die jungen Mädchen ermuntern, das zu machen, was sie interessiert, und nicht nur das, was Frauen „normalerweise“ tun.
Welchen Rat würden Sie aus Ihrer Erfahrung jungen Frauen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, gerne mit auf den Weg geben?
von Scala: Mein Tipp wäre, zumindest die ersten Schritte der Karriere vor dem Mutterwerden zu machen, denn Teilzeitarbeit ist auch für Frauen in der Schweiz ein Problem, wenn man – frau – Karriere machen möchte. Aus meiner Erfahrung ist es hier fast unmöglich als Mutter von kleinen Kindern in Vollzeit zu arbeiten. So bleibt Frauen oft nur die Teilzeittätigkeit übrig. Ich habe erlebt, wie Freundinnen planten, nach dem Mutterschaftsurlaub 100 % weiterzuarbeiten. Schließlich mussten sie jedoch widerwillig ihr Pensum reduzieren, weil die nötigen Strukturen fehlten. Uns Müttern bleibt also nichts anderes übrig als weiter dafür zu kämpfen, dass entsprechende Strukturen aufgebaut werden. Ich bin froh, dass zum Beispiel das Homeoffice auch nach der Pandemie noch sehr weit verbreitet ist. Dies kommt Müttern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr zugute.
Als erfolgreiche Frau in einem MINT-Beruf, genauer gesagt Technology Manager Sustainable Solutions bei Sulzer Chemtech, befassen Sie sich mit neuen Lösungen, um Kunststoffe in einem Kreislaufprozess wiederverwertbar zu machen. Derzeit arbeiten Sie daran, neue nachhaltige Prozesse zur Marktreife zu bringen. Könnten Sie uns kurz aufzeigen, wie sich das Recycling von Kunststoffen entwickelt hat?
von Scala: Früher wurden Plastikabfälle deponiert, vergraben oder achtlos weggeworfen. Die Folgen sind inzwischen wohlbekannt: Es gibt Unmengen von Mikroplastik in der Umwelt und Plastikmüll, der die Meere verschmutzt. Heutzutage werden Polymere vermehrt mechanisch recycelt. Dazu werden saubere, sortenreine Abfälle geschmolzen und neue Produkte daraus hergestellt. Ist die Qualität der Recycling-Kunststoffe zu schlecht, werden die Abfälle der thermischen Verwertung zugeführt. Sprich, sie werden verbrannt. Aktuell arbeiten wir an neuen Lösungen, um aus Kunststoffrezyklat, das aus Qualitätsgründen nicht mehr für den mechanischen Recyclingprozess geeignet ist, Monomere zu gewinnen. Aus diesen können schließlich neue Polymere hergestellt werden. Bei diesem neuen „Advanced Recycling“ leisten wir bei Sulzer Chemtech momentan Pionierarbeit und entwickeln von Grund auf neue Verfahren.
Ihre neuen Depolymerisationsanlagen arbeiten mit genau gesteuerten Prozessen. Dennoch hängt das Ergebnis der Depolymerisation stark von der Qualität der eingesetzten Polymere ab. Wie lösen Sie dieses Dilemma?
von Scala: Die Stärke von Sulzer Chemtech liegt in der Auftrennung von Stoffgemischen mithilfe von Destillation, Kristallisation, Extraktion und Membranfiltration. Dennoch gibt es bei der Qualität der Kunststoffrezyklate noch Luft nach oben. Die Sortiertechnik wird glücklicherweise stetig besser, sodass besser sichergestellt werden kann, dass das eingesetzte Material quasi sortenrein ist. Wir sollten trotz des technischen Fortschritts bei den Konsumenten mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass Plastikabfälle eine wertvolle Ressource sind. Sie haben zwar keinen großen monetären Wert, verfügen jedoch über eine hohe Energiedichte und sind es wert, zurück in den Stoffkreislauf geführt zu werden.
Sind biobasierte Polymere Ihrer Meinung nach die besseren Kunststoffe?
von Scala: Der prinzipielle Vorteil von biobasierten Polymeren ist, dass zur Herstellung keine fossilen Rohstoffe verwendet werden. Außerdem sind viele Biokunststoffe biologisch abbaubar. Ein Nachteil ist jedoch, dass auf den Flächen, die zur Erzeugung der nachwachsenden Rohstoffe für die Kunststoffherstellung genutzt werden, keine Lebensmittel produziert werden können. Bei biologisch abbaubaren Werkstoffen muss man zudem einen Kompromiss eingehen, da eine optimale Abbaubarkeit einer langen Haltbarkeit und guten Stabilität der Kunststoffprodukte entgegensteht. Aber dennoch sind Biopolymere meiner Meinung nach besser als beispielsweise PET, das es vermutlich schaffen wird als Mikroplastik tausende Jahre auf unserer Erde zu überdauern.
Welche Verbesserungen würden Sie sich seitens der Verpackungsindustrie wünschen?
von Scala: Wenn es nach mir ginge, würden Verbundstoffe nicht mehr als Verpackungsmaterialien eingesetzt werden. Diese Materialien können nicht sinnvoll in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden und enden deshalb im besten Fall in der thermischen Verwertung, sofern sie nicht in der Natur entsorgt werden und so die Umwelt verschmutzen. Ich würde mir wünschen, dass Verpackungen möglichst sortenrein hergestellt würden, sodass sie optimal wiederverwendet werden können. Wäre das System möglichst einfach und leicht verständlich, könnten Kinder bereits in der Schule besser für das Thema sensibilisiert werden. Klar ist es nicht so einfach, alle gewünschten Qualitäten mit nur einer Kunststoffsorte zu erhalten, eventuell müsste man Kompromisse eingehen.
Wie entwickeln Sie die Ideen für Neuentwicklungen? Kommen Ihnen auch unter der Dusche die besten Gedanken?
von Scala: Ich bin kein Archimedes, ich sitze nicht in der Badewanne und warte, bis ich plötzlich eine Erkenntnis habe, um dann „Heureka“ rufend durch die Stadt zu rennen. Meiner Meinung nach entstehen die besten Ideen im Austausch und in der Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen. Ich sehe mich in diesem Prozess als Moderatorin, die Gedanken aufnimmt, verfeinert, weiterdenkt und weitergibt und so den Diskurs zielgerichtet steuert und lenkt.
Welches war Ihr bislang größter beruflicher Erfolg, von dem Sie uns gerne erzählen möchten?
von Scala: Vor etwa 20 Jahren haben wir bei Sulzer einen Prozess für die kontinuierliche Veresterung von Fettsäuren entwickelt. Für unsere Forschung wurde mir zusammen mit meinem Team von der Schweizer Chemischen Gesellschaft (SCS) der Sandmeyer-Preis verliehen. Die Preisübergabe erfolgte bei der Frühjahrstagung der SCS. Bei der gleichen Veranstaltung wurden auch die beiden Nobelpreisträger Kurt Wüthrich und Richard Ernst zu Ehrenmitgliedern der SCS ernannt. Dieser Tag der Ehrung bleibt unvergesslich für mich.
Frau von Scala, vielen Dank für das Gespräch.
Kurzvita: Claudia von Scala
Claudia von Scala ist studierte und promovierte Chemieingenieurin. Nach dem Studium an der ETH Zürich hat Sie sich in den 1990er Jahren während ihrer Doktorarbeit am Paul-Scherrer-Institut mit der Verwertung von Altholz zur Herstellung von Synthesegas befasst. Claudia von Scala arbeitet seit über 20 Jahren bei Sulzer, seit 2021 als als Technology Manager für nachhaltige Lösungen bei Sulzer Chemtech. Die promovierte Chemieingenieurin ist in der Forschungsabteilung mit der Entwicklung neuer, zukunftsorientierter Prozesse betraut. In Kooperation mit Hochschulen und fortschrittlichen Unternehmen erarbeitet sie gemeinsam mit ihrem Team unter anderem neue Verfahren für das Advanced Recycling von Kunststoffen.
Zugleich ist Claudia von Scala Vorstandsmitglied bei der Schweizerische Gesellschaft der Verfahrens- und ChemieingenieurInnen (SGVC) und Leiterin SGVCfemmes.
Autorin: Jasmin Qaud-Taher
freie Fachjournalistin für prozesstechnik-online.de