Das Internet der Dinge und die Cloud Technologie haben zwar bereits die vierte industrielle Revolution eingeläutet, viele Unternehmen nutzen die Möglichkeiten jedoch noch nicht zu ihrem vollen Vorteil. Keine zentrale Datenablage, unterschiedliche Dateiformate und eine umständliche Anlagenüberwachung sind nur einige Herausforderungen für viele Betreiber chemischer Anlagen. Aufgrund der hohen Sicherheitsbestimmungen muss die Überwachung allerdings reibungslos funktionieren.
Dabei lohnt es sich überraschenderweise nicht, die gesamte Anlage akribisch zu überwachen. Die ARC Advisory Group fand im Auftrag des Softwareunternehmens Aveva heraus, dass lediglich 18 % aller Ausfälle industrieller Anlagen einem Muster, wie der alters- oder funktionsbedingter Abnutzung, entsprechen. Die übrigen 82 % der Ausfälle geschehen nach einem zufälligen Ausfallmuster. Klüger ist es demnach, den Fokus auf die vorhersagbaren Ausfälle zu richten, um diese rechtzeitig erkennen und verhindern zu können.
Digitaler Zwilling für die Wartung
Möglich wird das mit einem digitalen Zwilling der Anlage. Dieser ist ein dreidimensionales, digitales Spiegelbild der Anlage in Bezug auf Daten und Informationen. Der digitale Zwilling beruht auf Daten der Bauplanung sowie der Verfahrenstechnik. Im Betrieb wird er mit Daten des Internet der Dinge sowie Sensorendaten der Anlage gespeist und zeigt so in Echtzeit den aktuellen Status der Anlage. Als smartes System kann der digitale Zwilling Ausfallwahrscheinlichkeiten analysieren und Voraussagen für Fehler und Ausfälle der physischen Anlage treffen. So kann er beispielsweise Szenarien enthalten wie den Bruch einer Leitung, den Riss einer Dichtung oder die Überlastung einer Pumpe. Aus den genauen Analysedaten werden dann Vorschläge für die vorausschauende Wartung geliefert. Wenn etwa die durchschnittliche Nutzungszeit einer spezifischen Pumpe abläuft, gibt der digitale Zwilling eine Warnung aus. Die Wartungstechniker sehen diese Warnung im 3-D-Modell und erkennen, wo genau die Pumpe verbaut ist. So kann das Bauteil rechtzeitig getauscht werden, bevor ein Ausfall den Betriebsablauf stört oder gar zu einer Gefahrensituation führt.
Anlagengröße spielt keine Rolle
Covestro gehört zu den weltweit größten Polymerunternehmen. Das in Leverkusen ansässige Unternehmen war auf der Suche nach einer geeigneten Simulationsplattform für seine Chemieanlage. Das Problem: Zuvor setzte das Unternehmen mehrere Tools ein, die verschiedene Teile des Anlagenlebenszyklus abdeckten und sich nicht effektiv miteinander integrieren ließen. Mit der Simcentral-Software von Aveva konnte Covestro einen digitalen Zwilling der Anlagen erstellen und die Verfahrenstechnik auf einer einzigen Plattform über den gesamten Anlagenlebenszyklus standardisieren. Simcentral ermöglicht es den Ingenieuren, die gesamte Anlage sowie ihre Produktionsprozesse zu simulieren. Mit der Simulationsplattform lassen sich stationäre, strömungstechnische und dynamische Modellierungen durchführen. Die Software kann zum Beispiel über ein Optimierungstool die ideale Reaktorgröße berechnen, um ein optimales Verhältnis zwischen Reaktionsprodukt und Nebenprodukten zu erhalten. Die ersten Ergebnisse belegen: Die gelungene Implementierung ersetzte die alten Tools, es gab positive Rückmeldungen seitens der Nutzer, Kostenreduzierungen, Zeitersparnisse sowie geringere Risiken und Verzögerungen.
Der digitale Zwilling liefert Erkenntnisse zur Inbetriebnahme, zur Verbesserung des Prozessbetriebs sowie zur Sicherheit des Hilfssystems. Das Modell kann bereits im Anlagendesign verwendet werden und ist ebenso hilfreich bei Schulungen von Mitarbeitern. So verbessert sich auch die Zusammenarbeit von Experten verschiedener Teams aus dem Design und der Steuerung. Durch die einheitliche Simulation des digitalen Zwillings können die Ingenieure früher verstehen, wie welche Prozesse besser gesteuert werden können. Dank der Predictive Maintenance lassen sich personelle Ressourcen besser zuteilen. Dies führt zu einer entzerrten Prozessversorgung.
Vollständige Digitalstrategie
Damit der digitale Zwilling die gewünschten Ergebnisse liefert, muss er über eine ausreichende Datengrundlage verfügen. Deswegen sollte die digitale Transformation bereits in der Anlagenplanung bedacht werden, damit alle Phasen des Anlagenlebenszyklus überwacht werden können. Daten müssen nicht mehrfach eingegeben werden, außerdem können verschiedene Teams auf den digitalen Zwilling zugreifen und Daten verifizieren. Das erhöht das gegenseitige Vertrauen in Daten und Ergebnisse. Das sogenannte Digital Asset besteht aus den Konstruktionsstammdaten und umfasst die Anlagenplanung, die Konstruktion, die Auftragshistorie sowie den Wartungsverlauf.
Die digitale Strategie sollte auch bei der Übergabe an den Betreiber nicht vergessen werden. Der Betreiber steht nun in der Verantwortung, den digitalen Zwilling zu pflegen, um tatsächlich alle Vorteile nutzen zu können. Eine erfolgreiche Digitalstrategie sollte die Konstruktionsstammdaten mit einer effektiven Visualisierung und den gemeinschaftlichen Arbeitsprozessen verbinden. Der digitale Zwilling wird so ein Teil der Kerngeschäftsprozesse. Ein digitaler Zwilling ist also nicht einfach die nächste Software, sondern eine grundlegende Veränderung im Management einer industriellen Anlage.
Aveva, Cambridge
Autorin: Kim Custeau
Head of Asset Performance Portfolio,
Aveva