Was die Prozessindustrie angeht, so ist der Weg bis zur Industrie 4.0 noch lang. Fraunhofer-Forscher arbeiten an der Vernetzung verfahrenstechnischer Anlagen, damit sich diese vorausschauend warten und instand halten lassen. Dabei kombinieren sie Betriebsdaten mit Mitarbeiterwissen. Auf der Hannover-Messe vom 24. bis 28. April 2017 stellen die Wissenschaftler ihre Entwicklung vor (Halle 2, Stand C16/C22).
Bei der Störungsbehebung verfahrenstechnischer Anlagen geht derzeit viel wertvolle Zeit verloren, zum Beispiel, um die relevanten Informationen und Dokumente zusammenzutragen oder um Wissen erfahrener Mitarbeiter einzuholen. Dieses wichtige Erfahrungswissen der Mitarbeiter aus Instandhaltung und Produktion ist darüber hinaus enorm gefährdet, denn es ist bei Krankheit nicht verfügbar oder geht beim Ausscheiden aus dem Betrieb ganz verloren. Stattdessen wäre es wünschenswert, es für die automatische Anlagensteuerung permanent zur Verfügung zu haben. Hier können Industrie-4.0-Lösungen helfen.
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In der Prozessindustrie steckt die Industrie 4.0 jedoch noch in den Kinderschuhen – Forschungsprojekte gibt es nur vereinzelt. Viele Firmen aus der Chemie- und der Pharmaziebranche, der Stahl- und Zementherstellung und deren Zulieferer müssen deshalb befürchten, von der technologischen Entwicklung ein Stück weit abgekoppelt zu werden. In einem Projekt des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF entwickeln Forscher nun ein neues digitales Monitoring-Verfahren, das Industrie-4.0-Techniken auch für die Prozessindustrie nutzbar macht. Es soll die Instandhaltung und Wartung verfahrenstechnischer Anlagen künftig deutlich vereinfachen. Dafür setzen sie auf die Digitalisierung der Anlagenüberwachung und das mehrfache Vernetzen aller relevanten Betriebsebenen.
Als Technologiedemonstrator nutzen die Wissenschaftler eine Wirbelschicht-Granulieranlage. Solche Anlagen werden zum Beispiel für die Produktion von Pflanzenschutz-Granulaten eingesetzt. “Die geplante Vernetzung der Anlagen basiert auf ihrem digitalen Abbild – also ihrem digitalen Zwilling“, erklärt Dr. Nico Zobel, Wissenschaftler am Fraunhofer IFF.
In drei Dimensionen vernetzt
Der Prozess, den die Forscher am IFF entwickeln, soll die Anlagen für die Instandhaltung künftig in drei Dimensionen vernetzen. Die erste Dimension betrifft den Life-Cycle. Das heißt: Die Experten nutzen Dokumente aus der Anlagenplanung (zum Beispiel das dreidimensionale CAD-Modell, das bei der Planung der Produktionsanlage erstellt wird) für den Betrieb der Maschine. Braucht ein Werker beispielsweise Informationen zu einer bestimmten Komponente, etwa zur Pumpe, so liest er über einen Tablet-PC den QR-Code der Pumpe ein – und bekommt alle vorhandenen Planungsdokumente zu dieser Komponente angezeigt. Zusätzlich kann er die Betriebsdaten einsehen, die zu dieser Pumpe gespeichert sind, etwa Temperatur- und Druckverläufe. Bei der Fehlerbehebung hilft der digitale Zwilling ebenfalls: Für jeden Fehler, den das Leitsystem meldet, wollen die Forscher eine interaktive Handlungsempfehlung erstellen. Die Mitarbeiter werden also bei der Fehlersuche angeleitet und mithilfe der digitalen Anleitungen Schritt für Schritt durch die Fehlerbehebung geführt.
Betriebsdaten treffen auf Mitarbeiter-Know-How
Die zweite Vernetzungsebene, die die Forscher realisieren wollen, ist die vertikale Vernetzung. “Hierbei schicken die an der Anlage befindlichen Sensoren die von ihnen erhobenen Zustandsdaten in die Cloud. Damit können jene Daten schon zu diesem frühen Zeitpunkt in die Planung von Instandhaltungsmaßnahmen einfließen“, beschreibt Nico Zobel. So lässt sich auch für solche prozesstechnischen Anlagen eine vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) umsetzen. Ein Beispiel sind Einspritzdüsen, wie sie in Granulieranlagen zu finden sind. Diese Düsen verstopfen von Zeit zu Zeit und legen damit die Anlage lahm. Je mehr Sensoren ihre Daten in die Cloud schicken, desto genauer wird die Datengrundlage, anhand derer das System ermittelt, wann die nächste Wartung für die Düse ansteht. Die Qualität der Voraussagen wird präziser.
Die Forscher legen für diese zweite Vernetzungsebene aber nicht nur die Betriebsdaten zugrunde, sondern kombinieren sie zusätzlich mit dem Erfahrungswissen der Mitarbeiter. Um das Know-how einzufangen, stellen die Forscher den Mitarbeitern gezielte Fragen. Aus den Ergebnissen dieser Erhebungen entwickeln sie ein mathematisches Modell zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, mit denen es zu einem Verschleiß oder zu Ausfällen kommt. Zusätzlich verknüpfen sie dieses Modell mit künstlichen neuronalen Netzen. Diese werden eingesetzt, um auf Basis von Daten aus der Anlagenhistorie Korrelationen zwischen Sensordaten und dem Abnutzungsvorrat einer Komponente zu entwickeln. Auf dieser Grundlage lässt sich das zukünftige Verhalten einzelner Anlagenkomponenten gut prognostizieren.
Verbindung mit der Supply-Chain
Die dritte Vernetzungsebene soll die laufende Produktion mit der Supply-Chain verbinden. Muss bei einer Anlage beispielsweise eine Dichtung ausgetauscht werden, bekommt der Mitarbeiter gleich die Info, ob sie im Lager vorrätig ist. Falls nicht, wird automatisch der Einkaufsvorgang gestartet.
Auf der Hannover-Messe vom 24. bis 28. April 2017 stellen die Wissenschaftler ihre Entwicklung vor. Im Schwerpunkt demonstrieren sie den von Ihnen entwickelten „Digitalen Zwilling“ einer Anlage (Halle 2, C16/C22). Die Besucher können etwa mit einem Tablet den QR-Code einer Komponente scannen und sich die dazugehörigen Dokumente anzeigen lassen, oder die Anlage physisch ändern – etwa die Druckluft abklemmen – und sich diesen Fehler digital anzeigen lassen.
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