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Digitalisierung bleibt vorerst das Zugpferd

Processnet-Jahrestagung im Zeichen der Digitalisierung
Digitalisierung bleibt vorerst das Zugpferd

Wie kann man „Forschung und Produktion in einer digitalen Welt“ aktiv gestalten? Was lässt sich aus aktuellen Entwicklungen und was lässt sich voneinander lernen? Und wie steht es dabei um den Standort Deutschland? Fragen, die am Rande der Processnet-Jahrestagung von Dr. Christian Bruch, Dr. Claas-Jürgen Klasen, Prof. Dr. Wolfgang Wiechert und Dr. Frithjof Netzer im Rahmen eines Pressegespräches diskutiert wurden.

Chemieunternehmen haben in der Vergangenheit viele Milliarden Euro in die Automatisierung und die Informationstechnologie investiert. Durch diese Investitionen wurde die Produktqualität gesteigert und gleichzeitig die Kosten in der Supply Chain gesenkt. Die nächste Stufe der Produktivitätssteigerung wird auch in der chemischen Industrie durch die digitale Revolution erreicht. Doch was bedeutet Digitalisierung eigentlich in einem Chemieunternehmen? Und wie soll man Digitalisierung im Unternehmen umsetzen? Die Linde AG hat dazu mit dem Digital Base Camp ein Start-up für Digitalisierung im eigenen Unternehmen geschaffen, das andere Mitarbeiter trainieren und diesen die Digitalisierung nahe bringen soll. Die oberste Maxime von
Dr. Christian Bruch, Member of the Executive Board der Linde AG, ist dabei schnell auf den Punkt gebracht: Machen. „Für uns ist ganz wichtig, dass wir die Hemmschwelle, sich mit digitalen Themen zu beschäftigen, herabsetzen. Wir wollen bei den Mitarbeitern Erfolgserlebnisse schaffen und damit Freude an der Veränderung. Digitalisierung hat für mich weniger mit Big Data, Sensoren oder Vernetzung zu tun, Digitalisierung heißt für mich Perspektivwechsel und neue Arbeitsmethoden. Daher verstehen wir unser Digital Base Camp eher als Boxenteam, um den Formel-1-Wagen Digitalisierung auf Touren zu bringen. Der Fahrer des Formel-1-Autos kommt dann aus dem operativen Bereich. Mit Unterstützung des Digital Base Camp bringen wir Projekte in die einzelnen Organisationen und fördern so den Wille zur Veränderung.“

Wenn sich Anlagen und Labore sinnvoll vernetzen sollen, dann müssen sich auch die Menschen vernetzen, die dahinter stehen. Es stellt sich also die Frage, wie bereit die Mitarbeiter sind, diesen Weg mitzugehen. „Aus der bisherigen Erfahrung kann ich sagen, dass die Mitarbeiter, die in den Projekten mitmachen, begeistert sind“, erklärt Bruch. „Wir selbst gehen jeden Tag mit digitalen Medien wie dem Smartphone um und bestellen im Internet Waren im Versandhandel. Es gilt, diese Selbstverständlichkeit auch auf das Arbeitsumfeld zu übertragen. Die Kunst wird sein, die Mitarbeiter von den neuen Technologien zu überzeugen.“

Sorgenfalten auf der Stirn

Dem Motto der diesjährigen Tagung entsprechend – Forschung und Produktion in einer digitalen Welt – hat die VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen ihre Mitglieder zum Thema „Chemische Produktion in der Mitte der Gesellschaft – Wie bleibt der Produktionsstandort Deutschland wettbewerbs- und handlungsfähig?“ befragt. Die Einschätzung der rund 350 Experten, die sich beteiligt haben, unterstreicht nach den Umfragen 2014 und 2016 erneut die enorme Bedeutung der Innovationsfähigkeit für die Branche. Zugpferd bleibt die Digitalisierung.

Dr. Claas-Jürgen Klasen, Vorsitzender der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (GVC), treibt die Befragung allerdings auch Sorgenfalten auf die Stirn: „Deutsche Unternehmen der chemischen Produktion haben in den letzten Jahren viele Bereiche ins Ausland verlagert. Besonders bei den stark gestiegenen Verlagerungen der F&E-Abteilungen frage ich mich, ob damit Know-how-Transfer oder doch eher Know-how-Verlust einhergehen. Diese Entwicklung müssen wir aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls gegensteuern.“ Dabei erreichen die Forschungsausgaben seit Jahren immer wieder neue Höchststände und untermauern Deutschlands Platz als weltweit viertgrößter Forschungsstandort nach den USA, China und Japan. Weshalb es nicht zur absoluten Spitze im internationalen Innovationswettbewerb reicht, erklärt Klasen so: „Wir bemängeln vor allem regulatorische Hemmnisse, fehlende steuerliche Anreize für Forschung in Unternehmen, langwierige Genehmigungsverfahren und fehlende Offenheit für neue Technologien.“

Die Chemie- und Prozessindustrie mit all ihren verwandten Branchen bleiben auch weiterhin ein wichtiger Jobmotor für Deutschland: So planen laut Umfrage 55 % der Unternehmen in 2018 und 2019 neue Stellen zu schaffen. Und sie können dabei auf hervorragend ausgebildete Fachkräfte zurückgreifen, denn über 90 % der Befragten beurteilen die Ausbildung in der Verfahrenstechnik erneut als gut oder sogar sehr gut. Diese hervorragende Ausbildung benötigt Deutschland auch weiterhin, um für die digitale Transformation gewappnet zu sein.

Berufe verändern sich

Doch am Horizont zeigen sich die ersten dunklen Wolken bei der Ausbildung. Denn die Digitalisierung verlangt von den Studierenden heute völlig andere Fähigkeiten als in der Vergangenheit. Den pipettierenden Biotechnologen im Labor wird es so nicht mehr geben. Prof. Dr. Wolfgang Wiechert, Leiter der Systembiotechnologie am Forschungszentrum Jülich, erläutert die Probleme: „In den Laboren stehen heute Geräte, die Arbeitsschritte, die vor Jahren noch Tage und Wochen dauerten, in wenigen Stunden ausführen. Diese Entwicklung wird weiter gehen. In Zukunft übernehmen automatisierte Laborstraßen alle elementaren Aufgaben und dem Menschen kommt vor allem die Rolle des finalen Informationsbegutachters und Prozessentscheiders zu. In den automatisierten Laboren fallen zudem Daten schneller an, als sie ausgewertet werden können. Hier wird es ohne künstliche Intelligenz nicht gehen. Das Berufsbild des Biotechnologen wird sich dadurch dramatisch ändern. Es wird deutlich technischer und IT-Fähigkeiten sind gefragt. Hier müssen die Universitäten reagieren.“

Digitales Wachstum

Dr. Frithjof Netzer, CDO der BASF SE, sieht vor allem die großen Wachstumschancen, die die Digitalisierung bietet. Es gehe seiner Meinung nach darum, Wissenskomponenten, Kundenerfahrungen und organisatorisches Know-how in einen Mehrwert umzumünzen. Ein weiterer Punkt sei eine höhere Effizienz, die aus der Digitalisierung resultiert. „Wir haben für die Digitalisierung im Unternehmen einen Nukleus von Experten, der sich mit den Innovationen am Markt auseinandersetzt. Was kommt nach der Blockchain? Welchen Nutzen können zum Beispiel 5G und Cobots in Produktion und Labor haben? Gleichzeitig muss sich die Reichweite der Entwicklungen und Umsetzungen erhöhen. Dies muss dezentral in den Geschäftseinheiten passieren.“ Netzer fasst die Bedeutung der Digitalisierung für die BASF so zusammen: „Wir werden auch in Zukunft immer noch eine materialgeprägte, aber viel stärker datengetriebene Unternehmung sein, die nicht den Sachbezug verliert.“

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav1118processnet


Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

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