Lässt sich überschüssiger Strom aus der Windkraft nutzen, um den Stickstoff aus der Luft dezentral und klimafreundlich in Düngemittel umzuwandeln? Ja, lautet die Antwort des EU-Projekts MAPSYN. Bei Evonik in Hanau wurde eine Pilotanlage in Betrieb genommen, die u. a. aufzeigen soll, dass sich das im Labor bereits erfolgreich getestete, energieffiziente Verfahren im kalten Plasma Stickstoffdioxid zu erzeugen mit derselben Effizienz auch im Pilotmaßstab umsetzen lässt.
Bis 2050 werden 80 % des in Deutschland verbrauchten Stroms aus Windkraft und anderen erneuerbaren Quellen stammen. Das zumindest ist der erklärte Wille der Bundesregierung. Eine Schwierigkeit dabei: Das wetterabhängige Stromangebot muss zu jedem Zeitpunkt mit der ebenfalls schwankenden Stromnachfrage in Einklang gebracht werden. Wie diese Herausforderung gemeistert wird, ist derzeit noch offen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Übertragungsnetze stark auszubauen, eine andere, den Strom zum Beispiel in Großbatterien und Akkus zu speichern, die dezentral in der Nähe von Windparks oder häuslichen Solaranlagen errichtet werden.
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Einen komplett anderen Ansatz, nämlich den zeitweilig überschüssigen Strom vor Ort sinnvoll zu nutzen, verfolgen die Partner des EU-Projekts MAPSYN (Microwave, Ultrasonic and Plasma-assisted Syntheses). Mit dem durch Windkraft erzeugten Strom wird in einer benachbarten, kompakten Anlage aus der Umgebungsluft Stickstoffdioxid (NO2) hergestellt. NO2 wiederum lässt sich problemlos in Stickstoffdünger umwandeln, der dann die Felder in der Region fruchtbar macht.
Verfahren mit Geschichte
Um Stickstoff in Form von NO2 aus der Luft zu gewinnen, setzen die Wissenschaftler im Projekt auf ein Verfahren, das prinzipiell schon lange bekannt ist, aber in Vergessenheit geriet. Seine Anfänge gehen auf das Jahr 1903 zurück. Damals führte der Physiker Kristian Birkeland zunächst im Labor Experimente mit einem Lichtbogen durch. Dieser entsteht, wenn man eine hohe elektrische Spannung an zwei Metallspitzen – Elektroden – anlegt. Dann fließt Strom durch die Luft und ionisiert sie, entreißt also ihren Molekülen Elektronen. Es entsteht ein Plasma, in dem die reaktionsträgen Stickstoffmoleküle in der Luft aktiviert werden, sodass sie mit dem Luftsauerstoff reagieren. Aufgrund der Ergebnisse seiner Laborversuche entwickelte Birkeland zusammen mit dem Elektroingenieur Sam Eyde ein großtechnisches Verfahren, den Birkeland-Eyde-Prozess. Dass beide Wissenschaftler aus Norwegen stammen, ist kein Zufall: Dort stand mit der Wasserkraft eine billige Energiequelle für die Lichtbogenerzeugung zur Verfügung.
Bereits im Mai 1905 entstand in Notodden, im Süden Norwegens, die erste kleine Fabrik, die NO2 für Düngemittel produzierte, 1908 nahm ein größeres Werk den Betrieb auf. Doch in wirtschaftlicher Hinsicht war der Erfolg nur von kurzer Dauer. 1913 eröffnete BASF in Ludwigshafen die erste Düngemittelfabrik, die Stickstoff aus der Luft in Form von Ammoniak (NH3) nutzbar machte. Sie arbeitete nach dem Haber-Bosch-Verfahren, das wegen seines geringeren Energieverbrauchs den Birkeland-Eyde-Prozess verdrängte. Um eine Tonne Stickstoff aus der Luft chemisch zu binden, benötigte es mit diesem Prozess lediglich 4000 kWh. Dem standen 61 000 kWh beim Lichtbogenverfahren gegenüber. Hinzu kam, dass die Energie für das katalytische Hochdruckverfahren nach Haber und Bosch nicht als Strom bereitgestellt werden muss, sondern aus der Erdgasverbrennung stammt.
Emissionsfreie Alternative
Doch genau das ist heute der wichtigste Nachteil des Haber-Bosch-Verfahrens: Bei der Produktion jedes Kilogramms Ammoniak werden üblicherweise zwischen 1,15 und 1,3 kg CO2 freigesetzt. Bei einer jährlichen Weltproduktion von rund 140 Mio. t Ammoniak bedeutet das ganz erhebliche Emissionen, die sich auf das Klima auswirken. Die Umweltbilanz verschlechtert sich noch durch zwei weitere Faktoren: Zum einen wird für die Düngemittelproduktion ein Teil des Ammoniaks oxidiert, was mit hohem Distickstoffausstoß verbunden ist. Zum anderen erfolgt die Ammoniakherstellung in wenigen sehr großen Anlagen, sodass beim Düngemitteltransport zu den Abnehmern noch einmal Emissionen entstehen.
Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler der Universität Eindhoven (Niederlande) und von Evonik den Birkeland-Eyde-Prozess für das Projekt MAPSYN neu bewertet. Dabei haben sie auch erkundet, ob das historische Verfahren aufgrund zwischenzeitlicher Fortschritte in der Plasmatechnologie verbessert werden kann. Tatsächlich haben sie im Labor schon zeigen können, dass sich der Energiebedarf halbieren lässt. Wichtigster Ansatzpunkt der Forscher ist es, den Stickstoff im sogenannten kalten – nichtthermischen – Plasma zu aktivieren. Es zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Elektronen darin erheblich schneller bewegen als die schweren ionisierten und neutralen Teilchen. Die Elektronen haben eine wesentlich höhere Temperatur, was gleichzusetzten ist mit ihrer Energie – typischerweise mindestens 10 000 °C – als die schweren Teilchen, die durchaus lediglich 20 °C warm sein können. Kalte Plasmen lassen sich mithilfe spezieller Schaltgeräte und Generatoren durch kurze, genau steuerbare Hochspannungspulse erzeugen.
Prozess auf kleinstem Raum
Die MAPSYN-Wissenschaftler haben bei Evonik in Hanau eine Pilotanlage aufgebaut und in Betrieb genommen. Aber nicht irgendwo auf dem Werksgelände, sondern im sogenannten Ecotrainer. Dabei handelt es sich um einen Container im Format 12 x 3 x 3 m, der die gesamte Infrastruktur für eine Kleinproduktion enthält, unter anderem Wasser- und Stromzuleitungen, Abluftanlage, Prozessleitstelle und Brandschutzvorrichtungen. Der Plasmareaktor der Pilotanlage wurde vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Mainz entwickelt. Das Dutch Institute for Fundamental Energy konstruierte Vorschaltgeräte und Generator. Die gesamte Anlage soll nun unter anderem zeigen, dass sich die Energieeffizienz auch im Pilotmaßstab so verbessern lässt, wie es im Labor bereits gelang.
Parallel dazu synthetisieren und testen die MAPSYN-Wissenschaftler, hier vor allem die Forscher der britischen Universität Hull und der Universität Eindhoven, neue Katalysatoren für den Plasmaprozess. Darin sehen Evonik und die Projektpartner eine Möglichkeit, die Energieeffizienz und die Ausbeute der NO2-Herstellung weiter zu verbessern. Doch solche Katalysatoren könnten die Plasmatechnologie auch noch attraktiv für andere großtechnische Prozesse machen, die bislang unter hohem Druck und hoher Temperatur ablaufen. Aktuell haben Plasmaprozesse in der chemischen Industrie eher noch Exotenstatus, auch wenn sie für die Acetylensynthese in Marl seit mehr als 75 Jahren erfolgreich eingesetzt werden. Evonik nutzt sie außerdem für die Herstellung von Siliziumtetrachlorid und von Disilanhexachlorid.
www.prozesstechnik-online.deSuchwort: cav1116evonik
Dr. Jürgen Lang
Senior Scientist, Verfahrenstechnik & Engineering, Evonik
Dr. Imad Moussallem
Senior Process Engineer, Verfahrenstechnik & Engineering, Evonik
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