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Wichtigste Voraussetzung, diese Möglichkeiten nutzen zu können, ist für Reinhard Knapp, Leiter Global Strategies beim Software-Anbieter Aucotec, das Prinzip „Daten statt Dokumente“. Das erfordert eine Single Source of Truth (SSoT), in der in einem universellen Modell alle Daten von Basic- über Process- und Detailengineering bis zur Leitsystemkonfiguration vereint sind – nur so wird eine Dokumentation zum umfassenden digitalen Zwilling. „Er bildet nicht nur disziplinübergreifend die gesamte Anlagenrealität mit allen Logiken und Verknüpfungen ab, sondern kann im Lifecycle der Anlage mit all ihren physischen Änderungen konsistent mitwachsen“, sagt Knapp. Jede Eingabe, also auch jede Änderung, ist für alle Beteiligten sofort sichtbar, ohne manuelles Übertragen oder Schnittstellen. „Ein digitaler Zwilling, der nur eine statische Momentaufnahme ist, würde dem Wert der Daten so wenig gerecht wie ihre Haltung in disziplinorientierten Containern“, betont er.
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Halbe Wirklichkeit – doppelte Arbeit
Noch immer weit verbreitet sind Ketten aus Spezialtools, die disziplinspezifisch z. B. nur P&IDs mit Behältern, Rohren und Flanschen oder nur das Elektrikmodell samt Verkabelung darstellen können. Ein Tank mit Sensor und Pumpe, aber ohne dazugehörigen Loop und ohne das Wissen, ab und bis zu welchem Wert die Pumpe arbeiten soll, zeigt nur die halbe Wirklichkeit. Und die macht doppelt so viel Arbeit, beim Planen wie im Betrieb. Denn in einer Toolkette muss jedes Fachsystem einzeln gefüttert werden, auch mit den unvermeidlichen Änderungen. Zusammenhänge sind nicht erkennbar, ganz zu schweigen von einer durchgängigen Daten-Navigation. Das Wartungspersonal muss später die relevanten Informationen aus mehreren Quellen zusammenklauben.
Toolketten sind auch der Grund, warum die unvermeidlichen Anlagenänderungen, etwa durch Reparaturen, oft nicht oder nur unzulänglich bei der Dokumentation ankommen. Das konsistente Nachtragen in diversen Spezialtools ist sehr zeitaufwendig und fehleranfällig. Liegen nur Papier-Dokumentationen oder tote PDFs vor, die schon mit den Roteinträgen vorangegangener Änderungen überfrachtet sind, ist der aktuelle Stand kaum nachvollziehbar. Das ist im Störfall besonders fatal, aber auch, wenn ein Umbau ansteht oder nach einer Stillstandsphase eine neue Betriebsgenehmigung fällig wird.
Einheit im Datenmodell
Deshalb hat Aucotec eine Kooperationsplattform entwickelt, die mit ihrem universellen Datenmodell alle Kerndisziplinen des Engineerings in einer SSoT vereint. Jedes Objekt gibt es nur einmal in der Datenbank von Engineering Base (EB) und jede Fachrichtung kann es jederzeit aus ihrer Sicht spezifizieren. Gleichzeitig sieht jeder, was die anderen Disziplinen bereits erarbeitet haben, und baut direkt darauf auf. Ob bei Antrieb, Flowstream oder Verkabelung: Änderungen zeigt die Plattform in allen Konsequenzen automatisch auf, weil sie die Zusammenhänge kennt. „So wächst der Digital Twin mit all seinen Aspekten von der Feed-Phase bis zur Inbetriebnahme konsistent zu einer Einheit zusammen, die den enormen Schatz an Anlagenwissen durchgängig offenlegt“, erklärt Knapp.
Zwilling statt ältere Schwester
Diese Einheit in EBs Datenmodell macht es auch deutlich einfacher, die As-built-Dokumentation als digitalen Zwilling lebendig und aktuell zu halten. TechnikerInnen können mit EB Mobile View, einer Webservice-basierten App, im Nu alle relevanten Daten jedes Anlagenbereichs auf ein mobiles Gerät ziehen, statt sie mühselig zusammenzusuchen. Zudem erlaubt die App, per Redlining Änderungsinformationen direkt an den Objekten einzugeben und sie an das Engineering zurückspielen, „damit der Zwilling nicht zur älteren Schwester der Anlage mit nur leidlicher Ähnlichkeit wird, sondern seinen Namen verdient“, betont der Aucotec-Stratege. Sind OPC-UA-fähige Geräte in der Anlage verbaut, können sie sogar direkt mit EB kommunizieren und damit ihre Existenz oder Modifizierung dem Digital Twin melden. So ist der Service immer up to date. Und vor Umbauten muss nicht erst ein Team den Ist-Zustand in der Anlage scannen und dann nachtragen.
Damit dieses Vorgehen auch Betreibern älterer Anlagen mit entsprechenden Dokumentationen offensteht, hat Aucotec zu EB ein Migrationskonzept entwickelt, das Bestandsdaten während ihrer Übernahme prüft, zum Teil ergänzt bzw. zusammenführt und so auf ein Digital-Twin-Level anhebt. Den Wert des Datenbestands für eine Chemieanlage bezifferte ein Aucotec-Kunde einmal auf rund fünf Millionen Euro. Sein Erhalt war ein wichtiger Grund, auf EB umzusteigen.
Vom Daten- zum Geschäftsmodell
Doch es ist nicht nur unnötig, den Wertverlust von Dokumentationen hinzunehmen, sondern auch, den Mehrwert nicht zu nutzen, den aktuelle, leicht zugängliche und verwertbare Bestandsdaten bieten. Mit dem Datenmodell in EB können z. B. aus Herstellern Full-Service-Anbieter werden. Wer kennt ein Produkt besser als sein Erzeuger? Und wo, wenn nicht in dem System, mit dem eine Anlage entwickelt wurde, sind die Daten dazu am präzisesten und umfassendsten? Ein Kompressoren-Hersteller etwa verkauft nicht mehr die Anlage, sondern die Druckluft. Er betreibt die Teilanlage selbst; sein Know-how, im Datenmodell manifestiert, ist dabei Garant für Qualität und Verlässlichkeit. Der Gesamtanlagenbetreiber wird deutlich entlastet und setzt mit höherer Wahrscheinlichkeit auch künftig auf diesen Lieferanten.
Aucotecs EntwicklerInnen haben zudem EB mit einer Webservice-Technologie ausgestattet, die es erlaubt, das System mit browserbasierten Frontend-Produkten für individuelle Spezialaufgaben zu ergänzen, also Apps, die Möglichkeiten für weitere Geschäftsmodelle eröffnen. Hier kommt wieder die SSoT, das zentrale Datenmodell zum Tragen, das die Objekte direkt nutzbar macht, auch für Analysen und KI-Einsatz.
So lassen sich per App Wartungsvorgänge unterstützen oder Ist-Zustände in der Anlage aufnehmen und daraus Optimierungsangebote für den Betreiber entwickeln. Auch Monitoring für bestimmte Zielgruppen ist möglich oder die Unterstützung von Predictive Maintenance. Dazu ist EB in der Lage, weil das System auch abstrakte Objekte, sogenannte Interpretationen, die in herkömmlichen Dokumenten gar nicht auftauchen, verwaltet. Etwa Messtypen zur funktionalen Beschreibung eines Sensors. Damit lässt sich ein Predictive-Maintenance-System automatisiert in die Lage versetzen, Zustandsdaten aus der laufenden Anlage richtig zu interpretieren. Bei Zigtausenden Signalen ein enormer Zeitgewinn.
„Sofern der Digital Twin ein lebendiges Abbild bleibt, mit ‚seiner‘ Anlage mitwächst, lässt sich daraus eine Menge Mehrwert schöpfen, statt dass sich der Wert in der Dokumentation erschöpft“, so das Fazit von Reinhard Knapp.
Aucotec AG, Isernhagen