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So beschleunigt die digitale Transformation eine nachhaltige Produktion

Mehr Nachhaltigkeit für Bestandsanlagen in der Prozessindustrie
So beschleunigt die digitale Transformation eine nachhaltige Produktion

So beschleunigt die digitale Transformation eine nachhaltige Produktion
Axel Lorenz, CEO Process Automation, Siemens Bild: Siemens
Die energieintensive Prozessindustrie ist besonders gefordert, den CO2-Ausstoß mit geeigneten Maßnahmen zu reduzieren. Ein effizientes Nachhaltigkeitsmanagement ist jedoch nur möglich, wenn Unternehmen auf Digitalisierung und Automatisierung ihrer gesamten Produktion setzen. Axel Lorenz, CEO Process Automation bei Siemens Digital Industries, beschreibt, welche Möglichkeiten die digitale Transformation bietet.

Bereits im Jahr 2018 wies der Weltklimarat auf die enorme Herausforderung hin, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Nun hat der Rat erneut getagt und kam zu dem Schluss, dass das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen sowie die aktuellen Pläne nicht ausreichen, um den Klimawandel zu bewältigen. Herr Lorenz, wie können Anlagen in der Prozessindustrie schneller ihren CO2-Ausstoß reduzieren?

Lorenz: Mit Blick auf ihre bisherigen CO2-Emissionen und den Energieverbrauch muss auch die Prozessindustrie intensiv gegensteuern. Ein effizientes Nachhaltigkeitsmanagement ist aber nur möglich, wenn Unternehmen die Digitalisierung und Automatisierung ihrer gesamten Produktion vorantreiben. Das heißt: von der Entwicklung, der Planung und Optimierung von Produktionsverfahren über den Betrieb bis hin zur Wartung der Infrastruktur. Mit unserem Portfolio setzen wir genau an dieser Stelle an: Einerseits, indem wir den CO2-Fußabdruck unserer eigenen Produkte so gering wie möglich halten. Und andererseits, indem unsere Lösungen eine nachhaltigere Produktion für unsere Kunden ermöglichen und beschleunigen. Und dabei geht es nicht nur um neu gebaute Anlagen. Vor allem in Europa haben wir es zum größten Teil mit Bestandsanlagen zu tun. Es ist heutzutage möglich, auch die Produktion dieser Anlagen zu digitalisieren. Auf diese Weise können wir schneller definierte Einsparziele transparent machen und umsetzen. Für viele Betreiber ist die Umrüstung bzw. Hochrüstung von bestehenden Produktionsstätten aber noch eine Herausforderung.

Inwiefern?

Lorenz: Die Strukturen von Bestandsanlagen sind zumeist nicht vollständig digital abgebildet. Zudem erschweren die Unterschiede zwischen der Spezifikation vor Baubeginn („as-designed“) und dem realen Anlagenbestand („as-built“) die Kalkulation von Projekten. Nicht immer werden Veränderungen an einer Anlage vollständig und korrekt dokumentiert.

Wie kann der Anlagenbetreiber nun konkret vorgehen?

Lorenz: Im ersten Schritt geht es darum, den Einsatz fossiler Rohstoffe für den Anlagenbetrieb so weit wie möglich zu reduzieren. Stichwort chemisches Recycling: Einige innovative Unternehmen arbeiten derzeit daran, komplexe Abfälle wie Plastik, Reifen oder Batterien in Öl oder Gas zurückzuwandeln. Diese recycelten Primärrohstoffe bieten sie unter anderem Chemieunternehmen für deren Produktion an. Danach geht der Blick auf Anlagenkomponenten mit besonders hohem Energieverbrauch, etwa Reaktoren und Destillationskolonnen. Durch die Kombination von Advanced Process Control und digitalen Zwillingen kann die Prozessführung einer Anlage optimiert und gleichzeitig der Energieverbrauch reduziert werden. Hierfür kommen moderne modellprädiktive Mehrgrößenregler zum Einsatz, die durch weitere Verfahren wie Echtzeitoptimierung, Langzeitüberwachung und Zustandsschätzung ergänzt werden können.

Im nächsten Schritt können vorhandene Anlagenkomponenten mit intelligenten Sensoren nachgerüstet werden. Dies ist wichtig, denn ungeplante Ausfälle mechanischer Komponenten oder kompletter Anlagenteile können unnötig Energie und Rohstoffe verbrauchen oder Deponieabfall generieren. Betreiber haben somit die Möglichkeit, frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten, um kostenintensive, ungeplante Stillstände zu vermeiden.

Welche Anlagenkomponenten haben Sie hier besonders im Blick?

Lorenz: Nicht ordnungsgemäß funktionierende Ventile beispielsweise erhöhen den Energieverbrauch von Prozessanlagen. Dies liegt oftmals an herkömmlichen Wartungsstrategien, basierend auf Betriebszyklen, Betriebszeiten bzw. dem Betrieb bis zum Ende der Lebenszeit. Fortschrittliches Asset Management hingegen bietet die Möglichkeit, Ventile und Stellungsregler intelligent zu überwachen. Auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Lösungen unterstützen die vorausschauende Wartung von Anlagenkomponenten wie Pumpen und Ventile. Sie erkennen Betriebsmuster und stellen eine maximale Zuverlässigkeit und Effizienz all dieser Komponenten sicher. Betreiber erhalten transparente Angaben dazu, wo sich eine Komponente in ihrem Lebenszyklus gerade befindet sowie zu erwartende Ausfallzeiten.

Auch treibt der hohe Druckluftverbrauch konventioneller Stellungsregler zur Ventilsteuerung in vielen Prozessanlagen die Energiekosten unnötig in die Höhe. Intelligente Stellungsregler verwenden Druckluft jedoch nur, wenn dies tatsächlich erforderlich ist. Und: Intelligente Sensoren können fernüberwacht werden – vorausgesetzt, dass sie mit der richtigen Software ausgestattet sind. Dies erspart lange Wege zu entfernten Messpunkten.

Bietet Siemens Produkte, die diese Aufgabe erfüllen?

Lorenz: Beispielsweise die Asset Performance Suite. Sie ist ein Angebot aus der offenen und digitalen Business-Plattform Siemens Xcelerator. Diese Anlagen-Asset-Management-Lösung unterstützt die vorausschauende Wartung von Anlagenkomponenten wie Pumpen oder Ventilen und erkennt mithilfe künstlicher Intelligenz Muster im Betrieb dieser Komponenten. Das führt zu höchstmöglicher Zuverlässigkeit und Effizienz für alle Assets einer Anlage. Außerdem zu nennen sind natürlich unsere Stellungsregler Sipart PS2 und PS100.

Welche Rolle spielt die übergeordnete Prozessleittechnik für eine nachhaltigere Produktion?

Lorenz: Auch die Prozessleittechnik kann im Sinne von mehr Nachhaltigkeit optimiert werden. Der Einsatz eines Prozessleitsystems, basierend auf Web-Technologien, bringt hierfür entscheidende Vorteile. Prozessleitsysteme einer solchen neuen Generation ermöglichen ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement am zentralen Punkt der Anlagensteuerung. Durch den standort- und geräteunabhängigen Informationszugriff über verschiedenartige Endgeräte eines webbasierten Prozessleitsystems wie Simatic PCS neo können Betreiber weltweit auf das Leitsystem zugreifen und ihre Anlagen steuern. Damit entfallen Reisen an einzelne Anlagenstandorte für Betrieb oder Einweisungen in das Leitsystem. Zudem lassen sich bestehende Anlagenkomponenten in das Leitsystem integrieren, die bereits unter anderen Systemen wie beispielsweise Simatic PCS 7 gelaufen sind.

Gibt es noch mehr Vorteile oder Funktionen in PCS neo, die zur Nachhaltigkeit beitragen?

Lorenz: Zusätzlich zur Software-Version 4.0 haben wir für das Leitsystem kürzlich neue Hardware auf den Markt gebracht, etwa die neue Controller-Generation Simatic S7–4100. Gegenüber dem Vorläufer-Modell ist der Stromverbrauch um 50 % reduziert – bei erhöhtem Leistungsvermögen. Das reduziert den CO2-Fußabdruck erheblich. Zudem benötigt der Controller keine Pufferbatterie mehr, das macht ihn 100 % wartungsfrei und es schont unsere natürlichen Ressourcen.

Nun kann ich mit vorausschauender Wartung und übergeordneter Steuerung schon eine ganze Menge CO2-äquvalent einsparen. Lässt sich die Anlageneffizienz noch weiter steigern?

Lorenz: Die nächste Ebene der digitalen Transformation bietet noch mehr Potenzial für eine nachhaltige Prozessindustrie: der umfassende digitale Zwilling. Ein digitaler Zwilling entspricht einer virtuellen Darstellung eines physischen Objekts, wie der Prozessanlage. Im Laufe der Zeit entwickelt er sich immer weiter und verändert sich – in gleicher Weise wie der Produktionsprozess sowie dessen Performance oder das Erzeugnis, das er darstellt. Anlagenbetreiber können in der realen Welt erfasste Daten nutzen, um geschlossene Optimierungskreisläufe zwischen realer und digitaler Welt in der gesamten Wertschöpfungskette zu schaffen, umsetzbare Einblicke zu gewinnen und sichere Entscheidungen im Sinne eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsmanagements zu treffen.

Mit digital optimierten Produktionsprozessen, Datenanalytik und virtueller Inbetriebnahme können Anwender Rohmaterial und viel Energie sparen – und auch entsprechende Mengen an CO2-Emissionen. Betreiber erkennen die aktuelle „Emissionslücke“ und erhalten Vorschläge für entsprechende Maßnahmen.

Wie wird der digitale Zwilling in der Praxis erzeugt?

Lorenz: Ein solcher digitaler Zwilling des Prozesses basiert auf Daten aus der realen Anlage. Mithilfe von Simulationsmodellen und Data Science wird eine virtuelle Anlage erstellt. Sie ist die Grundlage für die Optimierung des Prozesses und sendet Prognosen sowie Steuerungsmaßnahmen zurück an die Anlage. In dem so entstehenden, iterativen Kreislauf werden Simulationsmodelle genutzt, um wertvolle Einblicke in den Ist-Zustand des Prozesses in der realen Welt zu gewinnen und einen kontinuierlichen Verbesserungszyklus zu erzielen.

Funktioniert das auch mit bestehenden Anlagen und welche Siemens-Lösung kann ich hierfür verwenden?

Lorenz: Die Schwierigkeit bei bestehenden Anlagen besteht darin, zunächst verschiedene Datenquellen und -formate zusammenzuführen oder papierbasierte Dokumentation in digitale Informationen umzuwandeln. Plantsight bietet hier eine cloudbasierte Lösung, die all diese Daten und Informationen zusammenbringt, sie in einen Kontext setzt, validiert und visualisiert. Im Betrieb lassen sich diese Informationen dann mit künstlicher Intelligenz kombinieren und so noch gewinnbringender nutzen. Eine andere Option ist es, mit modellbasierten Lösungen – wie unserer Software gProms – das Verhalten der Verfahrensströme vorauszuberechnen und so über den Lebenszyklus über den Digital Twin die Anlagenperformance zu verbessern sowie CO2 und Kosten zu reduzieren.

Die Produktion ist weitgehend optimiert und meine Anlagen rund um die Uhr unter Kontrolle. Was kann ich jetzt noch tun, um Energie zu sparen?

Lorenz: Industrieunternehmen müssen den Energieverbrauch ihrer Anlagen konstant überwachen. Dazu sollten sie unternehmensweite Energiemanagementlösungen setzen – von der Aufzeichnung von Energiedaten auf der Feldebene bis zur unternehmensweiten Energieanalyse, um wichtige Energieverbraucher zu identifizieren und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Auf diese Weise lassen sich etwa Energiespitzen vermeiden. Ein automatisiertes Lastmanagementsystem kann Systeme automatisch abschalten und wieder verfügbar machen. Dank Prognosen des erwarteten Lastprofils können Bediener auch einen optimierten Vertrag mit ihrem Energieversorger aushandeln.

Welche Lösungen bietet Siemens für das Energiemanagement?

Lorenz: Um den unternehmensweiten Energieverbrauch stets im Blick zu haben, bietet Siemens mit dem Simatic Energy Management ein umfassendes, skalierbares und ISO-50001-zertifiziertes Produkt- und Lösungsportfolio an, das von der Energiedatenerfassung bis zur Energieanalyse auf Edge- und Cloudsystemen reicht. Auf diese Weise lassen sich die Energieflüsse in Produktionsanlagen visualisieren, Verbrauchsdaten analysieren, Energieeinsparpotenziale identifizieren und die Effizienz und Produktivität nachhaltig steigern.

Siemens AG, Nürnberg


Das Interview führte für Sie: Daniela Held

Redakteurin

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