Der Bedarf an modernen Prozessleitsystemen wächst, um die Anforderungen an Digitalisierung und Vernetzung zu erfüllen. Auf der SPS stellten Axel Lorenz, CEO Process Automation, und Rebecca Vangenechten, Global VP Automation and Engineering Systems bei Siemens den Ansatz der softwaredefinierten Automatisierung im Detail vor. Durch die Entkopplung von Hardware und Software wird eine flexible, skalierbare Prozesssteuerung ermöglicht.
Die Systemlandschaft in Prozessanlagen reicht von einfachen Anwendungen im Wassersektor bis hin zu komplexen, hochintegrierten Sicherheitslösungen für Offshore-Ölplattformen und exakt validierten Pharmaanlagen. In einer Industrie, die auf langjährige Bestandsanlagen angewiesen ist, entstehen zunehmend Datensilos. Die softwaredefinierte Automatisierung setzt hier an und bietet die Möglichkeit, Datenflüsse zu integrieren und Systeme dynamisch zu steuern, ohne aufwendige Hardware-Anpassungen vornehmen zu müssen. „Softwaredefinierte Automatisierung ist ganz klar die Zukunft für die Prozessindustrie. Die traditionelle Automatisierungspyramide wird aufgebrochen und durch dynamische, vernetzte Architekturen ersetzt,“ sagt Axel Lorenz, CEO Process Automation bei Siemens. „Die Vision der softwaredefinierten Automatisierung liegt in der vollständigen Flexibilisierung und Demokratisierung der Automatisierungstechnik. Software wird künftig viel stärker in die Produktionsebene integriert werden.“
Hardware und Software voneinander entkoppelt
Die softwaredefinierte Automatisierung bringt eine neue Art der Steuerung und Optimierung in die Produktionsprozesse, indem Hardware und Software voneinander entkoppelt werden. Die starre Automatisierungspyramide entwickelt sich zu einem Netzwerk, in dem Echtzeitdaten von intelligenten Feldgeräten über industrielle Internet-of-Things-Technologien (IIoT) und Edge Computing nahtlos in übergeordnete Systeme integriert werden. Dadurch können Unternehmen ihre Produktion flexibel an Marktveränderungen anpassen und spezifische Funktionen jederzeit modular hinzufügen oder ändern. Automatisierung wird somit zu einem Service, der alle Schritte von Engineering bis Betrieb abdeckt und Anwendern erlaubt, selbst zu entscheiden, wann, wo und wie sie die Services nutzen möchten – oder sogar an Dritte abzugeben.
Mit dem Prozessleitsystem Simatic PCS neo setzt Siemens softwaredefinierte Automatisierung in der Praxis um, erlaubt die Integration des Anlagen-Engineerings per Cloud und vernetzt auf diese Weise globale Teams. Das System vereinfacht den Betrieb für Branchen wie Wasser/Abwasser, die chemische Industrie sowie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie.
Kollaboratives Engineering in der Cloud
Die Architektur von Simatic PCS neo eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, bestimmte Services in der Cloud auszuführen – wie etwa das Engineering oder künftig Datenanalysen. Diese Flexibilität erlaubt es, die Bereitstellung je nach Geschäftsmodell und Rechenleistung des Anwenders individuell anzupassen, ob in der Cloud, an der Edge oder lokal. Nach Aussage von Rebecca Vangenechten, Global VP Automation and Engineering Systems bei Siemens, beschleunigt insbesondere das kollaborative Engineering die Inbetriebnahmen der Systeme und Prozesse enorm. Denn es können gleichzeitig mehrere Entwickler an einem Projekt arbeiten.
Durch die offenen Architekturprinzipien von Simatic PCS neo verbessert sich zudem die Benutzererfahrung: Systeme wie Laboratory Information Management Systems (LIMS) und Management Execution Systems (MES) lassen sich direkt in die Benutzeroberfläche integrieren, sodass Anwender alle relevanten Informationen in einem System verwalten können.
KI-gestütztes Engineering
Im Sommer 2024 stellte Siemens zudem einen Co-Piloten auf Basis von generativer Künstlicher Intelligenz vor, der automatisch Sequenzfunktionstabellen (SFCs) für dieses Prozessleitsystem erstellt und die Effizienz damit weiter steigert. Zu den künftigen Features zählen Multimodalität und Agenten-Konzepte, die die Arbeit von Ingenieuren weiter erleichtern werden. Zudem ist geplant, den Siemens Industrial Copilot for Operations als On-Premises-basiertes Hardware-Software-Bundle anzubieten, um Anwendern die volle Kontrolle über ihre eigenen Daten zu ermöglichen. Der Siemens Industrial Copilot, das erste generative KI-gestützte Produkt für das Engineering in der Automatisierungsbranche und ist ein Katalysator für die Industrieautomatisierung. Künftige Versionen von Simatic PCS neo werden zusätzliche Sicherheitsfunktionen und GMP-Fähigkeiten integrieren.
Smarte Sensoren für KI-basierte Prozessoptimierung
Measurement Intelligence ist ein Eckpfeiler der softwaredefinierten Automatisierung. Dabei erfassen smarte Sensoren präzise Echtzeitdaten aus dem Anlagenbetrieb und übertragen sie direkt an Cloud- oder Edge-Systeme zur KI-basierten Analyse. Mit eingebauter Rechenleistung können diese Sensoren Daten lokal verarbeiten, Selbstdiagnosen durchführen und Erkenntnisse direkt an Kontrollsysteme übermitteln. Dies ermöglicht fortschrittliche Funktionen wie vorausschauende Wartung und automatische Prozessanpassungen, was die Effizienz und Zuverlässigkeit der gesamten Anlage steigert.
Die Multisensoren Sitrans MS200 beispielsweise verfügen über ein robustes und kompaktes Industriedesign in hoher Schutzart IP68. Durch die Bluetooth-Kommunikation entfällt der Verkabelungsaufwand. Die Stromversorgung erfolgt über austauschbare Industriebatterien, was eine lange Lebensdauer ermöglicht. Für die sichere Kommunikation zwischen dem Multisensor und der Cloud sorgt das Industrie-Gateway Sitrans CC220, das sich zur Schaltschrankinstallation eignet und über eine externe Bluetooth-Antenne verfügt. Die Übertragung mit hoher Samplerate ermöglicht eine genaue und zuverlässige Datenauswertung. Die mobile Webapplikation Sitrans SCM IQ zeigt die Zustände der überwachten Anlagen und Komponenten grafisch an, jederzeit und von überall aus. Sitrans SCM IQ ist skalierbar, das heißt es kann entweder nur eine Anwendung überwacht werden oder sämtliche Maschinen einer Anlage.
Cybersecurity als Fundament der softwaredefinierten Automatisierung
In der vernetzten Industrielandschaft ist Cybersicherheit unerlässlich für die digitale Transformation. Siemens setzt auf das Defense-in-Depth-Konzept, das den IEC 62443-Empfehlungen folgt und Schutz auf allen Ebenen bietet. Die Konvergenz von IT und OT erfordert einen ganzheitlichen Sicherheitsansatz, der die spezifischen Anforderungen beider Bereiche berücksichtigt. Siemens bietet hierfür ein umfassendes Portfolio an Netzwerk- und Automatisierungskomponenten mit integrierten Sicherheitsfunktionen sowie entsprechende Security Services zur Umsetzung mehrschichtiger Sicherheitskonzepte für die Industrie.
Daniela Held, Redakteurin