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„Eine industrielle Anlage ist eben kein Küchengerät“

Fachkräftemangel, fehlender Nachwuchs und mangelndes Fachwissen
„Eine industrielle Anlage ist eben kein Küchengerät“

KI, MTP, Digitalisierung – das sind die Schlagworte, die die Besucher jeden Tag auf der ACHEMA hören. Doch dazwischen gibt es auch andere Töne wie Fachkräftemangel, fehlender Nachwuchs und zu geringer Frauenanteil. ACHEMA Daily sprach mit Richard Clemens über genau diese Themen. Er ist Geschäftsführer der VDMA-Fachverbände Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen und verfahrenstechnische Maschinen und Apparate.

Herr Clemens, wir leiden in Deutschland, oder überhaupt in Europa, spürbar an Fachkräftemangel. Unseren Unternehmen geht schlichtweg das Personal aus, offene Stellen können häufig nicht mehr besetzt werden oder bleiben lange vakant. Welche Berufsbilder fehlen in den VDMA-Mitgliedsbetrieben vorrangig?

Clemens: Der Fachkräftemangel betrifft alle Bereiche, man könnte ganz allgemein von einem Personalmangel sprechen. Im Maschinenbau haben wir einen hohen Exportanteil. Die Maschinen und Anlagen werden dann in Brasilien, Indien oder China installiert. Für die Installation fehlen uns ganz dringend Monteure, die bereit sind, für zwei bis drei Wochen am Stück auch mal im afrikanischen Hinterland, fernab von größeren Städten, zu arbeiten. Außerdem brauchen wir im Maschinenbau dringend mehr IT-Spezialisten.
Während der Corona-Pandemie konnte die Industrie Aufträge aufgrund von Materialengpässen nicht wie gewohnt abarbeiten. Heute werden Aufträge nicht angenommen oder Liefertermine nicht eingehalten, weil es in vielen Firmen personelle Engpässe gibt.

Wie können wir aus jungen Menschen alte Hasen machen? Wie gelingt der Wissenstransfer von den alten in die jungen Köpfe?

Clemens: Um als Monteur in die weite Welt aufbrechen zu können, bedarf es einer mehrjährigen Einarbeitungszeit. Die Mitarbeitenden brauchen neben dem technischen Maschinenbauer-Know-How auch Erfahrung in den Bereichen Mechatronik und Programmierung. Darüber hinaus wird für manche Jobs auch gleichzeitig Verständnis der Verfahrenstechnik sowie der Produkte vorausgesetzt.
Eine industrielle Anlage ist kein Küchengerät. Sie ist ein komplexes, erklärungsbedürftiges Investitionsgut. Wie können wir also den Know-How-Transfer von alt auf jung gewährleisten? Zum einen ist es wichtig, das vorhandene Wissen zu speichern und optimalerweise zu digitalisieren. An dieser Stelle kann ich mir unter anderem den Einsatz von KI und Digital Learning vorstellen.
Vor allem im Bereich Digitalisierung haben wir in der Coronazeit einen gewaltigen Sprung gemacht. Dadurch, dass Reisen nicht möglich waren, war der Druck groß, schnell alternative Lösungen für die Fernwartung beim Kunden zu finden. Der Einsatz von Datenbrillen und 3D-Visualisierungen war bei vielen Unternehmen lange vor der Covid-Pandemie im Gespräch. Dank Corona wurden die Augmented-Reality-Technologien dann schnell in die Realität umgesetzt.

Der VDMA-Präsident Karl Haeusgen plädierte in einem Zeit-Online-Beitrag im April 2023 dafür, dass das Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft werden müsse. Der Frauenanteil in Ingenieursberufen sei zwar gestiegen, liege jedoch laut Haeusgen bei nur elf Prozent. Gibt es beim VDMA Programme, um Frauen stärker in technische Berufe zu locken?

Clemens: Der VDMA bietet keine explizite Frauenförderung. Aber wir sind bestrebt, das Image vom typischen Männerberuf, vom ölverschmierten Maschinenbauer mit großem Schraubenschlüssel in der Hand, zu ändern. Wenn ich an die Technische Universität München (TUM) denke, und hier vor allem an die TUM am Campus Freising-Weihenstephan, wo man unter anderem verfahrenstechnische Studiengänge wie Brauwesen, Lebensmitteltechnologie und Bioprozesstechnik studieren kann, dann ist hier das Geschlechterverhältnis übrigens ziemlich ausgewogen.
Insgesamt verzeichnen wir jedoch – unabhängig vom Geschlecht der Studierenden – einen dramatischen Rückgang der Studienanfänger bei den MINT-Fächern. An der TU Dresden haben sich die Einschreibungen in den letzten Jahren halbiert. Lediglich bei den Studiengängen mit umwelttechnischem Bezug sind die Zahlen nicht rückläufig.

Mit steigenden Gehältern wird unter anderem versucht, Auszubildende in die Branche zu locken. Was können Unternehmen darüber hinaus tun, um ihre offenen Ausbildungsplätze in maschinenbaurelevanten Berufen zu besetzen?

Clemens: Viele Jugendliche haben heutzutage nicht wirklich eine Vorstellung, was sie in einem bestimmten Beruf erwartet. Wir müssen ihnen also Einblicke in unsere Arbeit gewähren, Praktika anbieten und ihnen unsere Tätigkeit vorstellen. Viele unserer VDMA-Mitgliedsfirmen zeigen hier großes Engagement, um Nachwuchs zu gewinnen. Sie setzen auf lokale Informationsveranstaltungen, laden regelmäßig zum Tag der offenen Tür ein, holen Schülerinnen und Schüler für einen Nachmittag in ihre Betriebe und zeigen,
was ihre Auszubildenden im Betrieb machen und lernen dürfen.
Herkömmliches Marketing, wie beispielsweise Imagewerbung oder Print-Anzeigen, ziehen hier weniger. Was in meinen Augen gut funktioniert, ist Mund-zu-Mund-Propaganda und ein guter Ruf der Unternehmen im lokalen Umfeld.

Was unternimmt der VDMA, um Fachkräfte für den Maschinen- und Anlagenbau zu begeistern?

Clemens: Etlichen jungen Menschen fehlt der Überblick über die Vielzahl der Berufsbilder und Ausbildungsmöglichkeiten. Zum einen gehen wir – beziehungsweise Kollegen aus unseren VDMA-Landesverbänden – in die Schulen. Zum anderen planen wir eine Social-Media-Kampagne, bei der wir in kurzen Videos junge Leute zu Wort kommen lassen. Diese stellen dann in 30 Sekunden ihren Beruf oder ihren Arbeitsalltag vor.

Wie können wir junge Arbeitnehmer motivieren, für uns zu arbeiten?

Clemens: Junge Menschen sind heutzutage auf der Suche nach Tätigkeiten mit Purpose, mit Sinn. Sie wollen gerne für ein nachhaltiges Unternehmen mit gutem Image arbeiten. Und natürlich besteht auch der Anspruch, dass die Arbeitsbedingungen an die heutige Kultur anpasst sind. Mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten gehören hier ebenso dazu, wie ein moderner New-Work-Führungsstil, der auf Flexibilität, Transparenz, Offenheit und Empathie basiert.

Und wie können ältere Arbeitnehmer gehalten oder zurückgeholt werden? Viele gehen mit 63 in Rente.

Clemens: Viele Mitarbeiter, die sich in den Ruhestand verabschieden wollen, können meist nicht als Vollzeitkräfte im Beruf gehalten werden. Einige unserer Mitgliedsfirmen haben aber Wege gefunden, zumindest ein oder zwei Tage in der Woche auf die Erfahrung dieser Fachkräfte zurückgreifen oder sie im Notfall auch mal auf Montage schicken zu können. Was ich jedoch als essentiell erachte ist, dass der Wissensschatz der Mitarbeitenden vor ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb in irgendeiner Form gespeichert und auf andere übertragen wird.

„Made in Germany“ war viele Jahre lang ein Qualitätsmerkmal für die Produkte, die wir in alle Welt exportiert haben. Heute macht sich die Sorge breit, dass wir unsere Lead Position aufgeben müssen. Wie schätzen Sie unsere aktuelle Stellung auf dem Weltmarkt ein? Müssen wir Angst haben, aufgrund unseres Fachkräfteengpasses den technologischen Anschluss und damit auch unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren?

Clemens: Nein, ich bin Optimist und diesbezüglich sehr zuversichtlich. Deshalb möchte ich an dieser Stelle deutlich betonen, dass Deutschland und deutsche Produkte nach wie vor weltweit einen sehr guten Ruf haben. Das Siegel „Made in Germany“ steht für viel Know-How und hohe Qualität. Wir sollten dieses gute Image unbedingt bewahren. Auch unsere deutsche Forschungslandschaft ist sehr gut aufgestellt. Wo ich Verbesserungspotential sehe, ist die Umsetzung von Grundlagenforschung in die industrielle Forschung, bis hin zur Praxis. Andere Länder sind hier schlichtweg schneller als wir.

Herr Clemens, vielen Dank für das nette Gespräch, Ihre Antworten und das Interview. Jasmin Qaud-Taher

VDMA

Halle 8.0 Stand A23


Persönliche Fragen an Richard Clemens

„Vielseitigkeit der Arbeit gibt mir wichtige Impulse“

Richard Clemens ist seit 30 Jahren im VDMA tätig. Wir haben ihm ein paar persönliche Fragen gestellt.

Sie sind studierter Luft- und Raumfahrtingenieur und waren mehrere Jahre als Offizier bei der Bundeswehr tätig. Wie war Ihr Einstieg als junger Ingenieur ins Berufsleben?

Clemens: Ich wurde nach dem Studium bei meiner Tätigkeit bei der Luftwaffe trotz meines jungen Alters schnell mit Führungsaufgaben betraut und hatte mit Fachpersonal und vor allem Fachpersönlichkeiten zu tun.

Es ist klar, was Fachpersonal ist und was dieses bei der Wartung von Flugzeugen zu tun hat. Aber was meinen Sie mit Fachpersönlichkeiten?

Clemens: Eine Fachpersönlichkeit ist beispielsweise der altgediente Meister mit über 30 Jahren Erfahrung auf seinem Gebiet. Ein Spezialist mit einem überragenden Wissensschatz.

Bereits seit 1993 sind Sie beim VDMA angestellt. Was hat Sie gereizt, zunächst als Referent, später als Geschäftsführer in die Verbandsbranche zu wechseln? Und ihr über 30 Jahre lang treu zu bleiben?

Clemens: Das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik basiert unter anderem auf Inhalten aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik und Physik. Der Maschinenbau ist also fachlich sehr naheliegend. Aufgrund der großen Bandbreite des Aufgabengebiets beim VDMA – ich darf mich von Anlagen für Bäckereien oder Verpackungsmaschinen bis hin zu Verfahrenstechnik für den Öl- und Gassektor beschäftigen – bietet sich mir eine spannende Themenvielfalt. Außerdem ändern sich die Aufgaben und Herausforderungen ständig. Und ich bin in einer Position, in der ich gemeinsam mit unseren Mitgliedern aktiv gestalten kann. So habe ich die Chance sowohl bei der Erstellung technischer Regelwerke, als auch bei politischen Entscheidungen die unsere Branche betreffen Einfluss zu nehmen. Und bei vielen Veranstaltungen und Messen treffe ich interessante Menschen. Auch der internationale Aspekt – im März 2024 nehme ich beispielsweise auf der Chemtech in Indien teil – macht meine Tätigkeit sehr abwechslungsreich und gibt mir Impulse für meine Arbeit. Auch das Thema Zukunft, zukünftige Ausrichtung, Trends und Entwicklungen beschäftigt uns sehr.

Sie sind Vater von drei Kindern. Welche Berufe haben sie gewählt?

Clemens: Ich liebe den Kerosingeruch. Und meine Faszination fürs Fliegen und für die Luft- und Raumfahrt hat sich zunächst auf meinen jüngeren Bruder und später auf meinen älteren Sohn übertragen. Der jüngere Sohn hat Informatik studiert und ist IT-Spezialist. Meine Jüngste befindet sich noch im Entscheidungsprozess, was sie nach dem Abitur machen möchte.

Haben Sie Ihre Tochter im MINT-Bereich gefördert?

Clemens: Meine Frau und ich waren uns einig, dass wir unsere Tochter klischeefrei erziehen wollen. Sie sollte nicht nur mit Puppen spielen und die Farbe Rosa war anfangs tabu. Der letztgenannte Vorsatz funktionierte nur für eine gewisse Zeit, bis die Einflüsse von außen so groß wurden, dass sie in einem gewissen Alter auf pinke Kleidung bestand. Wir haben sie als Heranwachsende nicht in Richtung MINT-Fächer gedrängt. Sie ist eine Schülerin, der das Lernen sehr leicht fällt. In Mathematik und Physik sind ihre Leistungen genauso gut wie in den anderen Fächern. Gelegentlich folgt sie meinen Einladungen, mich auf Messen zu begleiten und sich die Technik anzusehen. Aber letztendlich ist und bleibt es ihre Entscheidung, welchen Beruf sie ergreifen möchte. Jasmin Qaud-Taher

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