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Im Jahr 1852 übernahm Clemens Veltins die kleine, 1824 in Grevenstein gegründete Landbrauerei. Heute führt mit Susanne Veltins die fünfte Generation der Familie das Unternehmen, das mit einem Jahresausstoß von mehr als drei Millionen Hektolitern Bier in Deutschland zu den wichtigen Branchengrößen gehört.
Für den stetigen Ausbau und die Modernisierung der Produktionsanlagen sind genaue Betriebsdaten unerlässlich, insbesondere in Zeiten steigender Energiekosten. Dirk Bartmann, verantwortlich für die Prozessleittechnik bei Veltins, befasst sich schon lange mit dem Thema. „Bevor es Modbus gab, hatten wir eine SPS in jeder Elektroverteilung. Über die haben wir die Impulseingänge der Zähler aufsummiert und dem BDE-System, d. h. der Betriebsdatenerfassung, zugeführt. Die Direkterfassung kam erst später.“
Bertram Rösler, der Leiter der Elektrowerkstatt, ergänzt: „Wir hatten schon digitale Zähler. Diese hatten aber keine Displays und keine passenden Schnittstellen. So haben wir eine Alternative gesucht und sind auf Janitza gestoßen. Zunächst haben wir damit die Energiemessung bei Neuanlagen ausgerüstet. Anschließend haben wir begonnen, die vorhandenen Zähler zu ersetzen und so nach und nach die gesamte Brauerei vollständig auf Janitza umzurüsten.“ Zunächst wurden Zähler mit Impulsausgang durch die Energieanalysatoren UMG 96S mit Profibus-Schnittstelle ersetzt, die gut zu der in der Automatisierung verbreiteten SPS-Infrastruktur passte. Mit der Installation eines Ethernet-Netzwerkes stellte Veltins auf eine Direkterfassung per Modbus um.
Die passende Hardware
Rund 200 Messgeräte von Janitza sind bei Veltins im Einsatz. Zwei Typen sind besonders häufig zu finden: Für die Trafo-Einspeisungen und zur Eingangswarenkontrolle der elektrischen Energie das UMG-509-PRO-Netzanalysegerät. Damit lassen sich kurzzeitige Netzanomalien erfassen und zeitliche Zusammenhänge mit der Produktion können analysiert werden.
Ergänzt wird es durch das Multifunktionsmessgerät UMG 96RM-E für größere Abgänge und Anlagen. Dieses misst neben der Energie in beide Richtungen z. B. auch Oberschwingungen bis zur 40. Harmonischen, Fehlerströme und kann Lastprofile für Energiemanagementsysteme wie die ISO 50001 lückenlos aufzeichnen. Für viele RCM-Messungen, z. B. zu Endverbrauchern, wird das UMG 20CM eingesetzt. Es beherrscht sowohl die Energiedatenerfassung als auch die Differenzstrommessung. Mit 20 Strommesskanälen kann es Oberschwingungen bis zur 63. Harmonischen erfassen. Durch Zusatzmodule lässt es sich auf bis zu 116 Kanäle erweitern.
Messtechnik für alle Fälle
Die Anforderungen der Abteilungen sind vielfältig. Während es in der Elektrowerkstatt hauptsächlich um Sicherheit, Kapazitätsplanung und Netzqualitätsparameter geht, liegt der Fokus bei der Prozessleittechnik bei Energiemanagement und der Zertifizierung nach ISO 50001. Dafür ist es wichtig, dass auf der einen Seite Janitza passend zur Hardware mit der Gridvis eine leistungsfähige Visualisierungssoftware zur Verfügung stellt. Auf der anderen Seite müssen die Messgeräte offene Schnittstellen für das hauseigene BDE-System aufweisen.
Dazu Bartmann: „Wir ziehen mehrfach Nutzen aus dem System, ganz konkret etwa bei der Energiesteuer-Rückerstattung. Und wir bilden Kennzahlen, die den Zusammenhang zwischen Energie und Produktionsmenge abbilden: Wie effizient werden die Sude hergestellt, gibt es Trends oder Ausreißer. Hierfür liest unsere BDE die Zählerstände aus.“ Bartmann erhält so einen genauen Einblick in die Anlage, auch in sehr komplexe Vorgänge.
So spielen beispielsweise bei der Lüftungsanlage in der Logistik Umgebungsbedingungen wie Feuchtigkeit und Temperatur eine Rolle. Der Stromverbrauch steigt dann unabhängig vom Bierumsatz. Auch ein Produktwechsel in der Abfüllanlage braucht Strom, ohne dass produziert wird. All dies wird im Energiemanagement über die Regressionsanalyse in Form der sogenannten r2-Werte erfasst. Dazu Bartmann: „Idealerweise hat man einen linearen Zusammenhang zwischen Energieaufwand und Produktionsmengen. Das lässt sich aber in der Praxis nicht erreichen. Werte über 70 bis 80 % sind hier schon recht akzeptabel.“
Die Messungen sind so genau, dass sich Störungen und Abweichungen gut erkennen lassen. So konnte Bartmann bereits anhand eines steigenden Stromverbrauchs defekte Schwimmschalter an Entwässerungspumpen identifizieren. Ohne die Messungen wäre dies auf unbestimmte Zeit unentdeckt geblieben.
So lassen sich die Messgeräte dank offener Schnittstellen in mehreren Systemen parallel nutzen: Zählerstände und Wirkleistung gehen an das hauseigene BDE-System, gleichzeitig lassen sich mit der Gridvis weitere wertvolle Daten, etwa über die Netzqualität gewinnen. Man kann sogar analysieren, ob eine Störung in der eigenen Anlage erzeugt wird oder aus dem Netz kommt. Außerdem bringen die Messgeräte einen Zusatznutzen mit, der in der ursprünglichen Planung von Veltins noch nicht vorgesehen war, der aber Kosten reduziert und die Anlagenverfügbarkeit erhöht: die Differenzstromüberwachung.
Differenzstromüberwachung
Während die Umstellung noch im Gange ist, profitiert Veltins von einem Zusatznutzen der Janitza-Hardware: der Differenzstromüberwachung, kurz RCM (Residual Current Monitoring). Sie erleichtert die Anlagenüberwachung erheblich und sorgt zugleich für mehr Sicherheit. Vor allem macht sie die wiederkehrende Isolationsmessung nach DGUV Vorschrift 3 überflüssig. Hierfür muss die Anlage abgeschaltet werden und jeder N-Leiter muss abgetrennt, gemessen und wieder angeschlossen werden. Das Verfahren ist nicht nur extrem zeitaufwendig, sondern zugleich auch äußerst fehleranfällig.
Diese Isolationsmessung kann entfallen, wenn die Differenzströme kontinuierlich erfasst werden. Dazu Rösler: „Die Vorschriften zur Isolationsprüfung sind in der Praxis schwer zu erfüllen. Das ist jedem klar, der eine Anlage betreut. Mit Janitza haben wir eine dauerhafte RCM-Messung. Ich muss die Anlage nicht abschalten und erkenne Isolationsfehler schneller als mit einer Wiederholungsprüfung. Damit kommen wir auch den Versicherungen entgegen, denn Brände werden häufig durch Isolationsschäden verursacht.“
Seitens Janitza hat Gerald Fritzen den Umbau betreut. Er beschreibt die Einbausituation: „Wir haben die Altanlagen fast gleichzeitig mit den Neuinstallationen ertüchtigt. Bei den bestehenden Schaltschränken war das aus Platzgründen nicht so einfach, die Wandler nachträglich um die Adern zu bekommen. Deswegen haben wir fallweise unsere Rogowski-Spulen Rogo 201 verwendet. Waren viele Differenzstrommessungen erforderlich, haben wir als Messinstrument das UMG 20CM genutzt, bei größeren Abgängen und Einspeisungen das UMG 96-PA mit RCM-Modul.“
Durch die 6-Leiter-Messung lassen sich Isolationsfehler sehr genau differenzieren, d. h. ob es sich nur um induktive Koppelströme in den PE-Leiter handelt oder wirklich kritische galvanische Fehlerströme. Dazu werden die Frequenzen des Fehlerstroms bewertet. Sehr kritische Fehlerströme zwischen einem Außenleiter und der Schutzerde betragen 50 Hz. 150 Hz deuten eher auf einen Fehler zwischen Neutralleiter und Schutzleiter hin. Fritzen ergänzt: „Wichtig ist auch, dass wir die Stromhöhe und den Differenzstrom in Relation setzen können, denn wir messen ganze Gruppen. Mit der Messung lassen sich trotzdem Trends erkennen, wie ein steigender Differenzstrom bei gleichbleibendem Laststrom. Das weist auf einen Isolationsfehler hin.“
Nichts geht über Transparenz
Veltins ist auf Wachstumskurs: Altanlagen werden ertüchtigt oder auch komplett ersetzt und es gibt Erweiterungen. Die Messtechnik unterstützt hierbei in mehrfacher Hinsicht. Beispielsweise können nun Effizienzmaßnahmen überprüft werden. So wurde bei einem großen Sudhausumbau die Wärmerückgewinnung optimiert und es wurden effizientere Pumpen eingesetzt. Nur durch umfassende Messungen ließ sich der Erfolg bewerten.
Dazu Bartmann: „Der Stromverbrauch selbst wird durch die vielen Pumpen und Wärmetauscher höher. Aber in der Bilanz sparen wir, weil wir viel weniger Wärmeenergie benötigen. Und man muss die Zahlen einordnen. So hört sich eine Ersparnis von einem Prozent oder weniger bezogen auf den Gesamtverbrauch für einen Außenstehenden nach nicht viel an. Aber wer sich auskennt und weiß, was dies in absoluten Zahlen bedeutet, ist beeindruckt.“
Auch Rösler baut auf die Daten, denn er muss das interne Netz auch im 10-kV-Bereich ständig ausbauen, dabei aber gleichzeitig überdimensionierte Installationen vermeiden. „Da sind Erfahrungswerte wichtig, auch weil die Anlagenhersteller immer sehr hoch kalkulieren“, beschreibt er den Balanceakt. In der Tat neigen die Lieferanten dazu, die Anlagenleistung eher zu hoch anzusetzen, um später keine Probleme zu riskieren.
So war es auch bei einer neuen Lüftungsanlage. Die Hersteller hatten pro Anlage mit 1 MW Dauerleistung kalkuliert und zwei Einzeladersysteme mit 240 mm2 Querschnitt gefordert. Der Wert war sicherlich begründet, aber beruhte wahrscheinlich auf besonders ungünstigen Bedingungen.
Dazu Rösler: „Ich wusste anhand der Messungen an einer vorhandenen Anlage, dass die Leistungsaufnahme bei uns gerade einmal bei 100 kW im Winter, bzw. 200 kW im Sommer lag. Ich habe dann auf eigene Verantwortung wesentlich knapper kalkuliert.“ Die Entscheidung erwies sich als richtig. Die Anlage läuft ohne Probleme und Veltins hat viel Geld gespart.
Zukunftsperspektiven
Das Transformationskonzept hin zu nachhaltigen Produktionsverfahren ist bei Veltins in vollem Gange. So wird gerade eine PV-Anlage mit einer Leistung von 330 kW in Betrieb genommen. Dazu Bartmann: „Wir benötigen derzeit jährlich 30 GWh Strom und 55 bis 57 GWh Wärme. Jetzt muss ich überlegen, was ich zukünftig mit Strom statt mit Gas mache oder gar nicht mehr brauche, weil ich effizienter produziere.“
Dazu kommen mit der E-Mobilität auch ganz neue Verbraucher. Treffen einmal nur zufällig Lastspitzen beim Laden auf Lastspitzen in der Produktion, treibt dies die Kosten für die Stromversorgung ein ganzes Jahr lang in die Höhe. Der Schritt vom Energiemonitoring zum Energie- und Lastmanagement wurde unausweichlich. Noch einmal Bartmann: „Wir haben uns zunächst über das Lastmanagement für die Ladeinfrastruktur Gedanken gemacht. Darüber sind wir auf das Energiemanagement-System von Janitza gekommen. Das bietet ganz andere Möglichkeiten.“
Als Beispiel führt Bartmann die Pumpstation für die Wasserversorgung an: „Früher konnte man Energieverbrauch nur vermeiden oder verzögern, um Lastspitzen zu kappen. Jetzt muss ich auch einmal einen Energieverbrauch vorziehen, wenn ich gerade viel Sonne habe. Das machen wir mit unserer hauseigenen Wasserversorgung. Wir pumpen unser Wasser in die Hochreserve und versorgen von dort aus unsere Prozesse. Bisher überlegten wir nur, wann wir besser nicht pumpen. Zukünftig werden wir pumpen, wenn wir einen Stromüberschuss haben, auch wenn der Behälter noch relativ voll ist.“
Abschließend zieht er ein positives Fazit: „Der Mehrwert aus verschiedenen Aspekten ist für mich wichtig. Ein Zähler zum Strommessen ist das eine. Aber mit den Janitza-UMG kann ich auch die RCM-Messung durchführen. Ich kann die Messungen dem Energiemanagement zuführen, ich kann Lastmanagement betreiben und ich kann die Prozesse nachvollziehen.“ Da die Geräte bereits vernetzt sind, lassen sich auch zukünftig viele Prozesse, wie ein komplexeres Lastmanagement, problemlos einführen.
Suchwort: Janitza
Halle 6, Stand 260
Autor: Martin Witzsch
freier Journalist, i. A. von Janitza Electronics