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Digitalisierung: 5G sorgt für Tempo in der Chemie

Campus-Netzwerke bieten die nötige Sicherheit
Mobilfunkstandard 5G sorgt für Tempo in der Chemie

Nicht erst seit der Namur-Hauptsitzung im vergangenen Herbst werden in der chemischen Industrie die Chancen und Risiken der Digitalisierung diskutiert. Durch die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G kommt jedoch noch einmal mehr Geschwindigkeit in viele Entscheidungsprozesse. Gute Argumente und gute Beispiele für 5G in den verfahrenstechnischen Produktionsanlagen gibt es einige.

Wenn Neil Heller eine Bühne betritt, hat er in der Regel einen Helm dabei. Den Kopfschutz benötigt er allerdings nicht, um seine Gesundheit zu schützen, sondern um seine Botschaft ans Publikum greifbar zu machen: Der große Schritt zu mehr Produktivität in den Anlagen kommt durch den Echtzeitzugriff auf Daten, Informationen und Kollaborationsmittel; die Vernetzung als Hebel zu höherer Verfügbarkeit. Heller ist Experte für verschiedene Industriezweige bei Cisco in San Jose und kennt die Sorgen und Nöte aus vielen Gesprächen mit Anlagenbetreibern. Wenn heute Probleme in einer Produktion entstehen, die den Ablauf stark stören, kostet jede Sekunde bares Geld. In Summe gehen jedes Jahr durch Stillstände in Fertigungsbetrieben Milliardensummen verloren.

Es verwundert nicht, dass bei Kosten von 20 000 Euro pro Minute durch ungeplante Standzeiten ein großer Druck auf dem Instandhaltungspersonal lastet. Hinzu kommt, dass diese Teams häufig nicht über das notwendige Wissen und die erforderliche Erfahrung verfügen, um die Probleme schnell und nachhaltig zu lösen. Informationen, die zur Lösung des Problems notwendig sind, müssen entweder von externen Experten oder aufwendig aus technischen Unterlagen, Arbeitsanweisungen oder vom Hersteller organisiert werden. Zeit und Kosten, bis notwendige Informationen zur Lösung des Stillstands vorhanden sind, steigen von Stunde zu Stunde. Die Folge sind hektische Telefonate, das Warten auf E-Mail-Anhänge und endloses Suchen von Unterlagen auf Webseiten.

Die Instandhalter müssen vernetzt werden

Eine mögliche Lösung ist die Vernetzung des Instandhaltungspersonals mit externen Experten, sodass diese nicht nur hören und sehen können, was genau in der Anlage passiert, sondern auch Zugriff auf die Daten der Maschine und ihrer Steuerung bekommen. Wenn Heller also mit Helm im Arm seinen Vortrag hält, geht es ihm vor allem um dessen Hightech-Komponenten: Helm-Anbauten ermöglichen Video-Konferenzen, Tonübertragung und Fotoaufnahmen. So kann der Anwender vor Ort IoT-Daten visualisieren, Dokumente durchsuchen, Schritt-für-Schritt-Arbeitsanweisungen erhalten, Video-Gespräche mit Experten führen und Unterlagen einsehen. Solche Anwendungen erfordern den Umgang mit großen Datenmengen, einer stabilen Verbindung und leistungsstarke Netzwerke wie sie 5G-Netzwerke zur Verfügung stellen können.

Beispiele wie diese, aber auch verschiedene Veröffentlichungen und Studien zeigen, dass die Chemieindustrie bei der digitalen Transformation nicht mehr ganz am Anfang steht, wie manche behaupten. So gibt es bereits Anwendungen in der Cloud und digitale Kollaborationsplattformen. Zwar wird in den meisten Fällen noch an der Einführung von IIoT-Systemen gearbeitet, doch sie kommen so sicher wie der Einsatz von Robotik in der Produktion, Big-Data-Analysen und KI-Anwendungen oder die intensive Nutzung von Simulation von Produktionsprozessen. Und fast alle diese Anwendungen benötigen leistungsfähige und stabile Netzwerke, wie sie die 5G-Technologie ermöglicht.

IIoT benötigt leistungsfähige Netzwerke

Dabei ist das Thema der Einführung von Industrie-4.0-Technologien in einer prozesstechnischen Anlage unabhängig vom Übertragungsweg. Um die Chancen der Digitalisierung in der Prozessindustrie nutzen zu können, mussten die Experten zunächst einmal den richtigen Platz in der klassischen Automatisierungspyramide finden. Die Gremien und Arbeitskreise der Namur (Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie), haben ihre Hausaufgaben gemacht. Ergebnis ist eine Überarbeitung des NOA-Konzepts (Namur Open Architecture).

Zwischen der Sensor-/Aktorebene und der Leitebene war bislang keine Querkommunikation vorgesehen, auch nicht, um Daten für mögliche IIoT-Anwendungen sammeln zu können. NOA wurde nun um einen Seitenkanal erweitert, der einen horizontalen, sicheren und rückwirkungsfreien Zugriff auf die Prozessdaten aller Ebenen erlaubt. Der neue Weg transportiert die von Feldgeräten wie Ventilen, Pumpen oder Messgeräten erfassten Daten z. B. in die Cloud und macht sie so Analyse- und Überwachungsmethoden zugänglich. Damit dies nicht zu Lasten der Sicherheit geschieht, sichert ein Security-Router die Kommunikation über OPC UA ab. Namur und ZVEI haben diesbezüglich neue Arbeitskreise gegründet, um schwerpunktmäßig die Themen IT-Security und technische Realisierung voranzutreiben. Solche strukturellen Überlegungen auf der Automatisierungsebene verlangen noch keine drahtlosen Netzwerke und lassen sich auch über Kupferkabel oder Lichtwellenleiter gut realisieren. Dennoch könnten sie Treiber der Einführung von 5G in den Anlagen sein, wie auch das folgende Beispiel zeigt.

Erste 5G-Pilotanlagen werden aufgebaut

Auch die BASF, selbst kein Mitglied der 5G-ACIA, aber von Beginn an einer ihrer Unterstützer, arbeitet derzeit an Pilotprojekten mit verschiedenen 5G-ACIA-Mitgliedern, um in einem 5G-Leithausprojekt die Technologie und mögliche Partner und Lieferanten kennenzulernen. Dafür hat das Unternehmen konkrete Use-Case-Szenarien in verschiedenen Produktionsanlagen definiert, die bereits in der ersten Jahreshälfte umgesetzt werden. Um den Nutzen von 5G zu konkretisieren, werden beispielsweise Piloten mit fahrerlosen Transportsystemen aufgebaut und Lösungen installiert, die sich mit Augmented Reality, Remote Expert und Operator und Maintenance Round Trips beschäftigen. Passend zu neuer Sensorik, die sich auch aus dem NOA-Konzept ergibt, werden ebenfalls Pumpen oder Ventile mit Temperatur- oder Vibrationssensoren ausgestattet, die über 5G angebunden mit geringen Connectivity-Kosten ihre Daten zur Auswertung weitergeben und so Informationen über ihren Gesundheitszustand preisgeben.

Campus-Netzwerke kommen der Industrie entgegen

Dass sich 5G besonders für den Einsatz in der Chemie und anderen Prozessindustrien eignet, liegt an verschiedenen Aspekten: dem Thema der Abdeckung, die Möglichkeit des Slicings und dem Betrieb eigener Netzwerke. Das Slicing, also die Partitionierung einer physischen Netzwerkinfrastruktur in diverse virtuelle Netzwerkelemente, sorgt für eine hohe Zuverlässigkeit. Techniken wie Beam-Forming, Smallcell- und Microcell-Anwendungen ermöglichen ähnlich wie bei Wifi eine deutlich dezidiertere Ausleuchtung, besonders spannend im industriellen Umfeld. Im dritten Aspekt, dem Betrieb des eigenen Netzwerkes liegt für viele Experten jedoch der größte Charme: Im Gegensatz zu einem Netz, das Mobilfunkdienste für die breite Öffentlichkeit bereithält, bietet ein nicht öffentliches 5G-Netzwerk (Non-Public-Network oder privates Netzwerk) 5G-Netzwerkdienste für eine klar definierte Benutzerorganisation oder Gruppe von Unternehmen. Das nicht öffentliche 5G-Netzwerk wird in den definierten Räumlichkeiten wie einem Campus, einer Anlage oder einer Fabrik bereitgestellt. Vorteile sind:

  • Hohe Anforderungen an die Dienstqualität können gezielt erfüllt werden.
  • Hohen Sicherheitsanforderungen kann durch dedizierte Sicherheitsmaßnahmen begegnet werden.
  • Isolierung von anderen Netzwerken als Schutz vor Fehlfunktionen im öffentlichen Mobilfunknetz oder aus Gründen der Leistung, Privatsphäre oder Sicherheit.
  • Rechenschaftspflicht: Ein nicht öffentliches Netzwerk erleichtert die Identifizierung der Verantwortung für Verfügbarkeit, Wartung und Betrieb.

Auch die BASF beschreitet diesen Weg. Das Unternehmen hat sich bereits kurz nach Bekanntgabe des Antragsverfahrens für Campuslizenzen seitens der Bundesnetzagentur im November vergangenen Jahres um die Erteilung von Campuslizenzen beworben. Diese sind mittlerweile erteilt, sodass die BASF die 100 Megahertz für Industriefeldgrenzen für Campusnetze für die nächsten zehn Jahre erworben hat – also deutlich länger, als die Pilotprojekte dauern dürften

ZVEI, Frankfurt


Autor: Alexander Bentkus

Senior Project Manager,

ZVEI e.V.


Im Überblick:    Die 5G-ACIA

Die 5G-Allianz für vernetzte Industrien und Automatisierung (5G-ACIA) wurde als zentrales und globales
Forum gegründet, um technische, regulatorische und geschäftliche Aspekte in Bezug auf 5G für die Industrie zu diskutieren und zu bewerten. Der Kreis der Mitglieder spiegelt das gesamte Ökosystem und alle relevanten Interessengruppen wider. Hierzu gehören Akteure der operativen Industrie (OT), also Automatisierer, Maschinenbauer, Hersteller von Produktionssystemen oder Endnutzern und der IKT-Industrie, beispielsweise Chiphersteller, Anbieter von Netzwerkinfrastrukturen und Mobilfunknetzbetreiber sowie Hochschulen. Das vorrangige Ziel von 5G-ACIA besteht darin, die bestmögliche Anwendbarkeit von 5G-Technologie und 5G-Netzen für Branchen aus dem Umfeld der Mitglieder sicherzustellen, mit einem Fokus auf die Fertigungs- und Prozessindustrie. Die Mission von 5G-ACIA ist es, sicherzustellen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Industrie bei der Standardisierung und Regulierung von 5G angemessen berücksichtigt werden. 5G-ACIA wird ferner sicherstellen, dass die laufenden 5G-Entwicklungen vom Industriebereich verstanden und effektiv auf diesen übertragen werden.

Mehr Info unter www.5g-acia.org

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