Der seit über 65 Jahren bestehende Betrieb im Gebäude H12 am Saltigo-Standort in Leverkusen hat schon einige Erweiterungen und Modernisierungen erlebt. Der Grundstein für den Bau des Produktionsgebäudes für die Herstellung von Farb-Film-Komponenten, kurz FFK, wurde 1954 gelegt. 1972 wurde der FFK-Betrieb um einen zweiten Gebäudeteil ergänzt. Heute produziert Saltigo hier im Kundenauftrag verschiedenste Zwischenprodukte und Wirkstoffe in einem Vielstoffbetrieb. Für die unterschiedlichen Prozesse kann das Unternehmen dabei auf eine große Zahl von Vielzweckapparaturen zurückgreifen, z. B. rund 80 Batch-Reaktoren, sechs Isoliertrockenstraßen, sieben Destillationskolonnen sowie 130 Tanks bzw. Vorlagen, die je nach Bedarf zu neuen Produktionsstraßen zusammengeschaltet werden. Schnelligkeit und Flexibilität sind hierbei die wesentliche Herausforderung. Dies betrifft sowohl die technische Ausstattung der Apparate als auch die präzise und reproduzierbare Steuerung der Anlagen. Konsequenterweise werden nahezu alle Anlagen des FFK-Betriebs über ein Prozessleitsystem gefahren, das entsprechend flexibel konzipiert wurde.
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„Der Automatisierungsgrad in unseren Batch-Prozessen ist sehr hoch, um eine ausgezeichnete Prozesskonstanz und Produktqualität sicherzustellen“, erklärt PLT-Betriebsingenieur Günter von Sturm, der seitens Saltigo das PLT-Projekt betreute. „Allerdings stießen wir mit dem vorhandenen System so langsam an Grenzen, was die Komplexität und auch den Umfang der automatisierten Anlagen betraf. In der Folge war der Wartungsaufwand für das System deutlich angestiegen.“
Zukunftssicheres Prozessleitsystem
Als logische Konsequenz entschied sich Saltigo, das Prozessleitsystem im FFK-Betrieb grundlegend zu modernisieren – allerdings so, dass der laufende Produktionsbetrieb und die getätigten Investitionen bei Anlagen und Prozessleittechnik möglichst weiter genutzt werden können. Gleichzeitig sollte die Lösung ausreichend Reserven für neue Prozesse und Produkte bieten. Das System sollte leicht zu pflegen und bedienerfreundlich sein sowie auch im Hinblick auf den Schutz vor Cyberangriffen auf dem neuesten Stand der Technik sein. „Wir hatten im FFK-Betrieb nahezu ausschließlich das Prozessleitsystem Simatic PCS 7 im Einsatz und haben mit Siemens über viele Jahre konstruktiv und vertrauensvoll zusammengearbeitet“, so von Sturm weiter. „Aufgrund der guten Erfahrungen haben wir uns auch mit dem Modernisierungsprojekt an Siemens gewandt. Uns war wichtig, dass wir einen zentralen Ansprechpartner haben, der alle Aufgaben strukturiert und die Abwicklung organisiert.“
Ressourcen besser nutzen
Siemens präsentierte den Verantwortlichen bei Saltigo eine Lösung, die auf einem virtualisierten Prozessleitsystem basiert. Mit dem Serviceprodukt Simatic Virtualization as a Service, kurz SiVaaS, hat Siemens dazu ein standardisiertes Vorgehen entwickelt, das eine effiziente Pflege, Wartung und Modernisierung der eingesetzten Prozessleitsystemkomponenten und gleichzeitig eine risikoarme Modernisierung der Prozessautomatisierung mit kurzen Stillstandzeiten ermöglicht. Damit war eine Lösung gefunden, wie die Upgrades ohne nennenswerte Stillstände durchgeführt werden konnten. Zudem konnte Saltigo so auch Sicherheitseinrichtungen in insgesamt rund 1000 PLT-Einrichtungen ohne aufwendige Einzelprüfungen wieder in Betrieb nehmen.
Und so erhielt Siemens den Zuschlag, die Prozessleittechnik im FFK-Betrieb auf eine zukunftssichere und virtualisierte Basis zu stellen. Dazu installierte das Siemens-Team alle Rechnersysteme – also Engineering-, Operator- und Batch-Server sowie die Clients und die Systeme für die Infrastruktur – auf virtuellen Maschinen. In diesem Zuge wurde das Prozessleitsystem auch auf die aktuelle Version 9.0 und alle vorhandenen Automatisierungssysteme, Kommunikationsbaugruppen und Anschaltungen auf den letzten Firmware-Stand hochgerüstet. Unterstützung kam dabei vom Siemens-Solution-Partner Bilfinger Greylogix Sepa, der auch die Anwendersoftware aktualisierte. Unter anderem wurden dabei die Anlagenbilder systematisch neu aufgebaut und entsprechend der neuen Bedienstationen auf ein modernes Bildformat migriert.
Zusätzlich wurde auch ein Großteil der Infrastruktur für das Prozessleitsystem erneuert: Die Anlagen- und Terminalbusse wurden modernisiert und erhielten neue Scalance Switche, für die Bedienung in der Anlage wurden neue Thin Clients installiert, eine zentrale Benutzerverwaltung implementiert und die Anlage über Scalance-Security-Module abgesichert. Zum Industrial-Security-Paket gehörte auch die Installation und Konfiguration von entsprechenden Softwarelösungen zur Endpoint-Protection, Malware- und Intrusion-Prävention sowie Firewall-Funktionen für Server- und Desktop-Computer. Außerdem wurde eine Lösung für die Wartung der Anlage und System-Inventarisierung der installierten Hard- und Softwarekomponenten und die zentrale Überwachung und Verwaltung der industriellen Netzwerke implementiert.
Rasche Inbetriebnahme
Das gesamte Maßnahmenpaket wurde in einem sehr knapp gesteckten Projektzeitrahmen von drei Monaten für die Planung und Abstimmung sowie sechs Monaten für die Umsetzung realisiert. Dazu erfasste das Projektteam zunächst den Ist-Zustand der Systeme und Anlagen und definierte die erforderlichen Maßnahmen, um darauf aufbauend die neue Hardware vorzubereiten, das System aufzusetzen, die neue Anwendersoftware umzusetzen und die gesamte Lösung für das Upgrade vorzubereiten. „Diese detaillierte Vorbereitung war entscheidend“, erklärt von Sturm, „denn für die eigentliche Inbetriebnahme hatten wir nur ein sehr kurzes Zeitfenster zur Verfügung.“ Am Ende zahlten sich alle Maßnahmen und insbesondere das persönliche Engagement aller Projektbeteiligten aus. Gemeinsam ließ sich das Upgrade im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen und ohne zusätzliche Anlagenstillstände umsetzten. Innerhalb weniger Tage konnte dem Betrieb die funktionsbereite Anlage wieder übergeben und die Produktion hochgefahren werden.
Redundante Lösung
Nach der Modernisierung laufen sämtliche Server des Prozessleitsystems als virtuelle Systeme auf insgesamt sechs VMware-vSphere-Hypervisor-ESXi-Servern, die als redundante Lösung in zwei Serverschränken mit jeweils drei Servern aufgebaut sind: Fünf jeweils redundante Server für Visualisierung und Batch-Steuerung, vier virtuelle Engineeringplätze, drei Rezepteditoren sowie zahlreiche Bedienplätze und Konsolen teilen sich jetzt die Hardware-Ressourcen, die dadurch optimal ausgenutzt werden können. Insgesamt sind in den Anlagen 45 Controller, davon 20 mit Sicherheitsfunktionen, in das Prozessleitsystem integriert, das die rund 350 Teilanlagen mit 9500 Messstellen steuert und überwacht. Um betriebliche Verbesserungen durchzuführen, werden ebenfalls Anlagenprozessdaten erfasst und analysiert. Diese werden mithilfe zweier virtueller Open-PCS 7-Stationen an zwei OSI-Pi-Gateways, sogenannte Quarantäne-Rechner, übergeben.
Der Vorteil dieser neuen Systemarchitektur ist, dass alle Systeme jetzt zentral verwaltet und gepflegt werden können. Außerdem können durch die Entkopplung von Hardware und Software bei den virtuellen Servern zukünftig Modernisierungsmaßnahmen schneller und kostengünstiger durchgeführt werden, was wiederum die Verfügbarkeit der Gesamtanlage erhöht. Und noch etwas ist wirklich augenfällig: Verglichen mit den bislang eingesetzten physikalischen Servern benötigt das virtuelle System deutlich weniger Schaltraumplatz. Trotzdem hat Saltigo nach der Modernisierung deutlich mehr Möglichkeiten als vorher. Unter anderem lässt sich mit Maschinen-Templates eine zusätzliche Systemkomponente innerhalb von Minuten einrichten und in Betrieb nehmen. Damit kann das Unternehmen seine Prozesse und Anlagen noch schneller und flexibler als bisher auf neue Anforderungen abstimmen sowie problemlos weitere Funktionen integrieren. Das schafft die Basis, dass der FFK-Betrieb auch künftig allen Anforderungen gewachsen ist – und das gibt den Verantwortlichen bei Saltigo viel Handlungsspielraum, um neue Kundenaufträge zu übernehmen.
Siemens AG, Nürnberg