Als Anfang Juni 2015 die Gruppe der sieben führenden Industrieländer auf dem Gipfel in Elmau die Klimaziele verkündete, bis zum Jahr 2100 möglichst vollständig auf fossile Energieträger bzw. Rohstofflieferanten zu verzichten, hat sie damit der Bioökonomie neuen Schwung gegeben. Biomasse kann als Rohstoff für die Produktion chemischer Stoffe Erdöl ersetzen und Mikroorganismen können CO2 in wertvolle Rohstoffe umwandeln. cav sprach mit Dr. Martin Langer, Unit Head Corporate Development, Brain AG, über die Potenziale der Bioökonomie.
Bis 2050 sollen die globalen Kohlendioxidemissionen auf 30 % der Menge von 2010 gesenkt werden. Welchen Anteil kann die Bioökonomie auf dem Weg „weg vom Öl“ leisten?
Dr. Langer: Klar und unstrittig ist, dass es sich bei Rohöl oder anderen fossilen Rohstoffen um eine endliche und dazu klimaschädliche Variante zur Produkt- und Energiegewinnung handelt. Bioökonomie ist eine moderne Disziplin, die zurzeit in aller Munde ist. Der G7-Gipfel auf Schloss Elmau hat unterstrichen, dass die führenden Nationen gewillt sind, sich aus der Verwendung von fossilen Ressourcen schrittweise zu verabschieden. Nachhaltige Energieversorgung soll mittelfristig die Abhängigkeit und die Nutzung von fossilen Rohstoffen ersetzen. Die Nationen, die hier frühzeitig auf die Entwicklung neuer Technologien setzen und diese zur Marktreife bringen, werden die sein, die in absehbarer Zeit die Impulse am Weltmarkt setzen. Daher sehe ich persönlich die Biooekonomie als die Zukunft für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in Deutschland.
Sehen Sie die Anstrengungen durch die große Menge billigen Öls auf dem Markt gefährdet?
Dr. Langer: Wir tun als Gesellschaft aus meiner Sicht gut daran, uns nicht in kurzfristige Debatten um Shale-Gas, Rohölpreise usw. zu verstricken. Das Herauspressen der letzten Ölreserven aus Schiefergestein ist nicht nachhaltig und endlich. Fracking kann eine gewisse Übergangszeit zwischen der alten, rohöl-basierten Welt in die Bioökonomie abpuffern, jetzt aber von einer Hemmung der Bioökonomie zu reden, wäre der falsche Blickwinkel. Die Zeichen stehen auf Wandel und Biotechprozesse. Fracking und hier insbesondere die Aktivitäten in den USA haben aus unserer Sicht zu einem letzten Aufbäumen der ölproduzierenden Länder geführt. Als ob es kein Morgen gäbe, wird durch die OPEC-Staaten Öl gefördert, sodass es Ländern wie den USA, die Fracking betreiben, aber auch Ländern wie Venezuela oder Russland schwerfällt, mit der Förderung von Öl noch Gewinne zu machen. Der Rohölkurs, der seit einigen Monaten rund um 50 US$ pro Barrel schwankt, reflektiert aber bei Weitem nicht die Realität. Dieser Preiskampf wird dazu genutzt, den Markt zu bereinigen. Interessant ist in dem Zusammenhang auch die Meldung von Ende Mai 2015, dass sich der norwegische Staatsfonds von Investments in Kohle und Öl trennt. Also nicht nur die Politik, sondern auch die Finanzwelt hat die Zeichen der Zeit erkannt und hat sich in Richtung Bioökonomie aufgestellt. Die Wirtschaft geht den Weg schon seit einigen Jahren.
Mit welchen biobasierten Verfahren kann der CO2-Ausstoß verringert werden?
Dr. Langer: Ein Ziel der G7-Lenker war konkret, den CO2-Austoß bis zum Jahr 2050 um ganze 40 bis 70 % zurückzufahren. CO2 wird von Brain schon lange nicht mehr als Klimagas, sondern als Rohstoff bzw. Substrat zur Fütterung von Mikroorganismen gesehen, die daraus dann wiederum Vorstufen für Bioplastik oder Schmieröl produzieren. Eine vom BMBF geförderte strategische Allianz namens ZeroCarbFP beschäftigt sich zurzeit damit, die kohlenstoffhaltigen Nebenströme der Industrie (Abwasser, Rauchgas aus Kohleverstromung, Altöle …) durch Mikroorganismen wieder in den Wertstoffkreislauf zu bringen und daraus technische Produkte herzustellen. Brain kooperiert hier mit Unternehmen wie Fuchs Petrolub, Emscher Genossenschaft, Bioeton und Südzucker. Die ersten Prototypen neuer Schmierstoffe aus biologischen Quellen, die Brain in den letzten Monaten zusammen mit Fuchs entwickelt hat, sind bereits in der Anwendungstechnik und werden bei entsprechender Eignung dem Markt als Industrieschmierstoffe mit herausragenden Qualitäten kurzfristig zur Verfügung stehen.
Wann wird die Bioökonomie im Alltag ankommen?
Dr. Langer: Die Bioökonomie ist bereits in vielen Wirtschaftsbereichen angekommen: Neben CO2 als Wertstoff werden auch weitere natürliche Rohstoffe genutzt. Zu den Ergebnissen gehören Reifen aus Löwenzahn, Speiseeis auf Lupinenbasis, Kleidung aus Milchproteinen, die mikrobielle Herstellung von anti-kariogenen Zuckern oder natürlichen Salz- oder Zuckermodulatoren für gesündere Lebensmittel. Die Liste der Erfolgsbeispiele ist lang und wird wöchentlich länger. Die Vielfalt der dabei zum Einsatz kommenden Methoden, von der Biotechnologie über die moderne Land- und Forstwirtschaft, unterstreicht, wie weit diese Disziplin bereits vorangeschritten ist und wie vernetzt sie agiert. Und das ist auch wichtig: Da die fossilen Ressourcen nun einmal endlich sind, knapper werden und die Gewinnung entweder große Risiken für die Umwelt birgt oder sehr kostenintensiv ist (Deep Water Horizon, Ölförderung in der Arktis, Fracking), werden diese Rohstoffe entsprechend irgendwann wieder sehr teuer werden, egal wie die Energiepreise heute politisch gestaltet werden.
Mit der neuen Messe „Biobased World“ will die Dechema ihr Veranstaltungsportfolio künftig in Richtung Bioökonomie erweitern. Werden Sie teilnehmen und wenn ja, was möchten Sie vom 15. bis 16. Februar 2017 in Köln vorstellen?
Dr. Langer:
Wir haben über eine Teilnahme noch nicht final entschieden, würden dort aber die Resultate der strategischen Allianz ZeroCarbFP vorstellen, die genau im Fokus der Messe liegen.
prozesstechnik-online.deSuchwort: cav0915brain
Daniela Held
Redakteurin,cav chemie anlagen verfahren
Bundesregierung fördert Bioökonomie
Kurz und Bündig
Unter Bioökonomie wird eine Wirtschaftsform verstanden, die auf der nachhaltigen Nutzung von biologischen Ressourcen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen basiert. Um dies zu ermöglichen, sind hochinnovative Nutzungsansätze notwendig. Die Bioökonomie berührt dabei eine Vielzahl von Branchen wie Land- und Forstwirtschaft, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie die Holz-, Papier-, Leder-, Textil-, Chemie- und Pharmaindustrie bis hin zu Teilen der Energiewirtschaft. Mit der „Nationalen Forschungsstrategie „BioÖkonomie 2030“ legt die Bundesregierung die Grundlagen für die Vision.
Von 2010 bis 2016 werden 2,4 Mrd. Euro für Forschung zur Umsetzung einer wissensbasierten Bioökonomie zur Verfügung gestellt. Das Ziel ist es, mit Forschung und Innovation einen Strukturwandel von einer erdöl- hin zu einer biobasierten Industrie zu ermöglichen, der mit großen Chancen für Wachstum und Beschäftigung verbunden ist. Zugleich soll auf diesem Wege international Verantwortung für die Welternährung, die Rohstoff- und Energieversorgung aus Biomasse sowie für den Klima- und Umweltschutz übernommen werden (Quelle: bmbf).
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