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Mit Erfahrung sicher durch den Turnaround

Wartung von verfahrenstechnischen Großanlagen
Mit Erfahrung sicher durch den Turnaround

Statt der Anlagen und Maschinen läuft bei einem Turnaround die Zeit. Doch „Stillstand“ herrscht im Chemiewerk von Dow in Böhlen deshalb nicht: Mehr Aufgaben und mehr Arbeiter als üblich sorgen für außerordentliche Betriebsamkeit auf dem Werksgelände. Allein bei der vergangenen Großabstellung standen rund 25 000 To-dos auf der Liste. Das Ziel: Die Betriebssicherheit der Traditionsanlage auch bis zur nächsten Inspektion zu gewährleisten. Ein Termin vor Ort.

Sind alle Rohrleitungen und Druckbehälter dicht? Weisen sie Mängel oder Korrosionsschäden auf? Wenn ja: Was ist zu tun, damit sie in den nächsten Jahren sicher weiterbetrieben werden können? „Beim regelmäßig wiederkehrenden Turnaround dreht sich alles um diese Leitfragen und damit um die Betriebssicherheit“, weiß Olaf Fuchs. Der Sachverständige der TÜV Süd Chemie Service GmbH koordiniert die Prüfungen seines Teams und hat seine Leitstelle für sechs Wochen vorübergehend in einem Klinkerbau mitten auf dem Werksgelände von Dow eingerichtet. „Rund ein Dutzend Fachleute mit langjähriger Berufserfahrung in der chemischen Industrie sind nötig, um die gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen in dieser Anlage termingerecht abzuwickeln“, erläutert Fuchs.

Deshalb hat er sich Verstärkung geholt aus weiteren Niederlassungen der Chemieparks in Frankfurt-Höchst, Leverkusen und anderen. Das zusätzliche Personal unterstützt die drei Mitarbeiter von TÜV Süd, die ständig hier im Böhlener Werk vor Ort sind. Einer von ihnen, Peter Goth, kennt das Traditionswerk schon seit 40 Jahren. Bevor er vor sechs Jahren zu TÜV Süd Chemie Service wechselte, hatte er für die Eigenüberwachung von Dow gearbeitet. „Die Anlagen und ihre Besonderheiten kenne ich wie meine eigene Westentasche“, sagt Peter Goth, während er zielsicher durch das Labyrinth aus Gerüsten, Rohrleitungen und Behältern navigiert. Doch auch auf die langjährige Erfahrung seiner Kollegen könne hier niemand verzichten. „Jeden Tag geht es darum, die Korrosionsbilder und Prüferergebnisse an Bauteilen sehr unterschiedlichen Alters richtig einzuordnen“, sagt er. Da ist es nur folgerichtig, dass die meisten Sachverständigen in seinem Team über 40 Jahre alt sind.
Alles Profis mit Erfahrung
Damit sie ihrer Arbeit nachgehen können, müssen zunächst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Die Anlagen und Behälter werden geleert, gesäubert und gesichert. „Allein um das Herzstück unserer Anlagen – den Cracker – herunterzufahren, habe ich mit meinem Team zehn Tage lang im Dreischichtbetrieb gearbeitet“, sagt Jörg Friedrich, der beim Turnaround als Leiter für den Betrieb des Crackers verantwortlich war. Er deutet auf die riesigen Brennöfen. Normalerweise verarbeitet Dow hier Naphtha, das über eine 430 Kilometer lange Pipeline vom Rostocker Hafen angeliefert wird. Bei Temperaturen von rund 800 °C werden die langkettigen Kohlenwasserstoffe des Rohbenzins aufgebrochen. Da die Produkte des Crackers wiederum die Ausgangsstoffe für diverse Anlagen des gesamten Dow-Olefinverbundes sind, ist das Herunterfahren des Crackers eine äußerst kritische Phase im Projektablauf. „Weil einige Anlagen während des Turnarounds planmäßig weiterlaufen, müssen wir die Gesamtsituation permanent im Blick behalten“, erläutert Friedrich. „Auch jetzt müssen wir die Versorgung mit Energie, Dampf, Arbeits- und Betriebsstoffen in vielen kritischen Prozessen jederzeit gewährleisten.“
Damit an den entscheiden Punkten alles nach Plan läuft, haben die Mitarbeiter von Dow und TÜV Süd Chemie Service schon vor knapp drei Jahren mit den ersten Vorbereitungen für den Turnaround begonnen. „Das ist eine verhältnismäßig lange Zeit, wenn man bedenkt, dass der komplette Turnaround dann in 50 Tagen über die Bühne geht“, merkt Reiko Hass von Dow an. Der Turnaround-Leiter ist verantwortlich für die Planung, Durchführung und den erfolgreichen Abschluss des Großprojekts. Zwar stehe es wiederkehrend auf seiner Agenda. Denn die Betriebssicherheitsverordnung schreibt die Sicherheitsprüfungen spätestens alle drei bis fünf Jahre vor. Dennoch sei jeder Turnaround einzigartig. „Jedes Mal rücken andere Anlagen, Komponenten und Prozesse in den Fokus“, sagt Hass, „sodass von Routine keine Rede sein kann.“
Alles sauber vorbereiten
Deshalb steht und fällt das gesamte Projekt mit der gewissenhaften und soliden Vorbereitung. Das betrifft den Arbeitsschutz ebenso wie den Zeitplan, die Budgettransparenz, die Investitionen für Wartung und Instandhaltung und die Lagerhaltung für Ersatzteile, Werkzeuge und die persönliche Schutzausrüstung. „Wenn das alles passt, dann wartet die größte Herausforderung nach dem Startschuss“, betont Hass. „Fein wie in einem Uhrwerk müssen die Arbeiten aufeinander abgestimmt werden, Krane, Material und Personal vor Ort sein – und jeder muss genau wissen, was er tut.“ In Böhlen werden alle Teile, auch Kleinstteile, schon im Voraus bestellt und kommissioniert. So entstehen keine Wartezeiten und damit verbundene weitere Kosten. Denn ein Tag Stillstand bedeutet für das Dow-Werk einen Umsatzverlust von rund einer Million Euro.
Die Fakten vermitteln einen Eindruck von der Dimension der Aufgabe: In sechs Wochen müssen rund 25 000 To-dos – genauer „Sequenzen“ – auf dem Projektplan erfolgreich abgehakt werden. Etwa 1200 zusätzliche Arbeiter von Diensteistern, Zulieferern und externen Drittfirmen bevölkern das Werksgelände, die der Stammbelegschaft von knapp 900 Dow- und externen Mitarbeitern zur Hand gehen. Dafür ist ein kleines Dorf aus 290 Containern und zwei großen Zelten nötig, die als Umkleiden, Sanitärräume, Büros und Materiallager genutzt werden. Hier mitten auf dem Werksgelände laufen alle Fäden und Informationen zusammen, um die komplexen Arbeitsabläufe zu koordinieren.
Alles ordentlich prüfen
Mit einem Aktenordner unter dem Arm kommt Peter Goth aus einem der vielen Bürocontainer heraus und steuert auf eine Stahlleitung zu – dick wie ein Kanalrohr. Weiße Farbe auf den Schweißnähten des Krümmers deutet auf seinen nächsten Auftrag hin: Die Zustandsbewertung des Bauteils mithilfe der Farbeindringprüfung. Ein scharfer Blick muss zunächst genügen, denn berühren darf er das Bauteil ohne Handschuhe nicht – wegen der Feuchtigkeit an den Fingerspitzen, die Korrosionsprozesse enorm beschleunigen kann.
„Die Schweißnähte sind immer noch integer“, stellt er schnell fest, „obwohl sie das stark beanspruchte Bauteil schon mehr als 40 Betriebsjahre zusammenhalten.“ Um das mit Sicherheit festzustellen, ist langjährige Expertise gefragt. Denn unter unerfahrenem Blick wirkt die Schweißnaht unsauber. „Fachleute, die ausschließlich die akkuraten Schweißnähte der modernen Schweißautomaten kennen, könnten auf die Idee kommen, dieses Bauteil mit hohem Aufwand zu ersetzen“, sagt er. Völlig zu Unrecht, denn diese alten, handgearbeiteten Schweißnähte „tragen die Handschrift eines echten Meisters, der sein Fach verstand.“ Peter Goth notiert das Ergebnis der Prüfung in seinem Aktenordner und macht sich auf zum nächsten Bauteil, das auf seiner Liste steht.

Hanno Kurzeja
Abteilungsleiter Marketing & Sales,
TÜV Süd Chemie Service
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