Rund 9 Mio. t Phenol benötigt die chemische Industrie jährlich. Dieser wichtige Ausgangsstoffs für Polymere, Epoxidharze oder auch Aspirin wird bislang ausschließlich aus Erdöl gewonnen. Ein Team von Bayer Technology Services brachte nun Bakterien dazu, Phenol aus Glucose herzustellen. Damit könnten pflanzliche Abfälle die Basis für eine nachhaltige Synthese wichtiger Polymere wie Polycar-bonat sein. cav sprach mit Dr. Jørgen Magnus, der innerhalb von nur einem Jahr Bakterien beibrachte, den begehrten Stoff herzustellen.
Autorin Daniela Held Redakteurin
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cav: Dr. Magnus, welche Faktoren führten Bayer Technology Sevices dazu, ein neues Verfahren für die Phenolgewinnung zu suchen?
Dr. Magnus: Es sind drei wichtige Punkte, die zu der Entscheidung geführt haben, ein neues Verfahren zur Phenolgewinnung in Betracht zu ziehen. An erster Stelle steht natürlich das Ziel, den Carbon Footprint von Phenol zu reduzieren, denn damit reduziert sich auch der Carbon Footprint der Phenol-Folgeprodukte. Durch den Wechsel von erdölbasierten auf pflanzliche Rohstoffe erspart man der Atmosphäre zusätzliche Kohlenstoffatome, die in Phenol gebunden sind. Diese stammen nämlich aus der Pflanze, die während des Wachstums ihre Kohlenstoffatome aus dem CO2 der Luft gewonnen hatte. Der CO2-Footprint eines entsprechenden Verfahrens dürfte mit dem der Bioethanolherstellung vergleichbar sein. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Suche nach einem alternativen Verfahren ist natürlich auch die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Der dritte Punkt betrifft die Herstellkosten. Da Erdöl eine endliche Ressource ist, pflanzliche Rohstoffe aber stets nachwachsen, gehen wir davon aus, dass der Preis für erdölbasiertes Phenol zukünftig schneller steigen wird als der für biobasiertes Phenol. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn mit der neuen Technologie auch deutlich günstiger produziert werden kann als mit klassischen Verfahren. Es gibt bereits einige Beispiele für chemische Produkte auf die dies zutrifft. Beispielsweise produziert Dupont sehr effektiv und kostengünstig 1,3-Propandiol aus Maisstärke.
cav: Wie kamen Sie auf die Idee, Bakterien zu nutzen?
Dr. Magnus: Es gibt natürlich Wege, Biomasse chemisch umzusetzen. So lässt sich beispielsweise aus Lignocellulose Phenol herstellen. Dieses Verfahren ist aber aufwendig. Die grundsätzliche Frage für Bayer Technology Sevices (BTS) war: Wie kann man Biotechnologie einsetzen, um Biomasse nutzbar zu machen. Dabei war von Anfang an klar, dass auch auf dem Gebiet der rein chemischen Umsetzung von Biomasse in Phenol gearbeitet wird, da der Rohstoff bei Bayer in großem Maße eingesetzt wird. Für eine großtechnische Herstellung gilt es jedoch, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Das klappt am besten, wenn man einen Prozess hat, bei dem die Umsetzung zum Produkt in nur einem Schritt erfolgt. Und das lässt sich im Idealfall durch den Einsatz von Mikroorganismen erreichen. In einer Zelle erfolgen nacheinander viele Reaktionsschritte. Von außen betrachtet erfordert dies jedoch nur einen Reaktionsschritt in der Anlage. Es begann also eine gezielte Suche nach entsprechenden Stoffwechselmechanismen. Am Anfang haben wir nach Bakterien gesucht, in deren Stoffwechsel eine Substanz vorkommt, aus der man potenziell Phenol herleiten kann. Wir hatten Glück und haben den Schlüssel gefunden, wie die Bakterien direkt Phenol herstellen.
cav: Welche Bakterienstämme können eingesetzt werden?
Dr. Magnus: Der erste Schritt war zu zeigen, dass so ein Prozess überhaupt möglich ist. Da das Escherichia-coli-Bakterium am einfachsten zu modifizieren ist, haben auch wir die Forschungsarbeiten zunächst mit diesen Bakterienstämmen gestartet. Anschließend können die Ergebnisse auf andere Stämme, die genetisch bearbeitbar sind, übertragen werden. Dabei ist natürlich insbesondere die toxische Resistenz gegenüber Phenol ein wichtiges Kriterium. Wir konnten nachweisen, dass bestimmte Escherichia-coli-Stämme einfache Glucosemoleküle zu Chorismat verstoffwechseln. Aus Chorismat lässt sich in nur zwei Schritten Phenol synthetisieren. Der erste Schritt führt zu einer Substanz namens 4-Hydroxybenzoesäure, der zweite zum Phenol. Die Herausforderung war nun, das entscheidende Enzym zu finden, das die letzten Reaktionsschritte durchführt.
cav: Wie konnten Sie dieses Problem lösen?
Dr. Magnus: Am Anfang dachte ich, es würde schwierig werden. Doch dann konnten wir mit zwei Enzymen, die man zum Glück in anderen Kolistämmen findet, die jeweiligen Reaktionen bewirken. Die Gene für diese Enzyme waren also bekannt. Wir mussten sie lediglich aus anderen Bakterien herausschneiden und in das Genom der Bakterien mit dem Chorismat einschleusen. Um die Ausbeute zu steigern, mussten wir dafür sorgen, dass die Bakterienzellen aus Glucose mehr Chorismat produzieren als üblich. Wir haben daher die Gene für drei Enzyme vervielfältigt, die an der Chorismat-bildung beteiligt sind. Leider gab es noch einen Störfaktor: Natürlicherweise verarbeiten die Bakterien das Chorismat weiter zu zwei für sie wichtigen Aminosäuren. Da dies die Phenolausbeute beeinträchtigt hätte, woll-ten wir das verhindern. Dazu mussten wir zwei Gene für die entsprechenden Enzyme herausschneiden. Zudem gibt es in den Zellen einen Rückkopplungsmechanismus, der unter bestimmten Bedingungen die Produktion einer Chorismat-Vorstufe bremst — und damit auch die Chorismatsynthese selbst. Hier genügte es, das Gen für das entsprechende Enzym an einer Stelle zu verändern, und die Rückkopplung war außer Kraft gesetzt. Damit sich etwaige Kolibakterien mit unverändertem Genom nicht mitvermehren, wurde das modifizierte Genom noch mit einer Resistenz gegen ein bestimmtes Antibiotikum ausgestattet.
cav: Welche Rohstoffe können für die Reaktion verwendet werden?
Dr. Magnus: Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, je nachdem in welchem Land produziert werden soll. In Brasilien beispielsweise könnte man Zuckerrohr verwenden. Aber auch aus Zuckerrüben oder Mais können fermentierbare Zuckerarten gewonnen werden. Was man sich am meisten wünscht, ist als Rohstoff Lignocellulose einzusetzen, da auf diesem Weg Pflanzenabfälle aller Art verwendet werden könnten. Der entscheidende Punkt dabei ist jedoch, wie günstig man die Lignocellulose in Zucker umsetzen kann. Daran wird momentan viel geforscht. Ein Patentrezept gibt es bislang noch nicht.
cav: Wann könnte das Verfahren aus Ihrer Sicht bereit sein für eine großtechnische Anwendung?
Dr. Magnus: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Das Forschungsprojekt wurde 2011 gestartet. Ungefähr ein Jahr hat es gedauert, bis wir es geschafft haben, geringe Mengen Phenol herzustellen. Bisher haben wir also lediglich das Funktionsprinzip bestätigt. Um dies in einen Produktionsmaßstab sinnvoller Dimension zu überführen, ist noch einiges zu tun. Vermutlich ist sogar ein anderer Bakterienstamm nötig. Für den bisher verwendeten Kolistamm ist Phenol ab einer gewissen Konzentration toxisch. Wir prüfen parallel die Wirtschaftlichkeit einer großtechnischen Realisierung, denn die Herstellkosten müssen im Vergleich zur klassischen Synthese natürlich niedriger sein, damit sich eine Umsetzung im großen Maßstab lohnt.
cav: Welche Mengen lassen sich mit dem Syntheseverfahren maximal erreichen?
Dr. Magnus: Eine Größenordnung von mehreren Zehntausend Tonnen pro Jahr wäre natürlich erstrebenswert. Ich habe keine Zweifel daran, dass kleine Bakterien in der Lage sind, ein Industrieprodukt im Millionen-Tonnen-Maßstab zu produzieren. Es gibt bereits Anlagen, in denen Mikroorganismen 400 000 t Bioethanol pro Jahr produzieren. Auch Dupont produziert etwa 40 000 t 1,3-Probandiol auf diesem Weg.
cav: In welche Richtung wird die biotechnologische Forschung bei Bayer Technology Services zukünftig gehen?
Dr. Magnus: Biotechnologie ist ein ganz großes Thema für Bayer Technology Services. Eine Zelle ist ein sehr vielseitiger Reaktor. Wenn wir den Zauberkasten richtig beherrschen, können wir verschiedenste Moleküle herstellen.
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