Drehen, Bohren, Fräsen, Schweißen: Mit solchen Techniken entstehen bisher Reaktoren, in denen die chemische Industrie produziert. Für deren Leistungsfähigkeit und Effizienz lassen sich Chemiker, Verfahrenstechniker und Maschinenbauer eine Menge einfallen. Evonik setzt für den Bau der eigenen Anlagen nun auch auf 3-D-Druck. Dr. Senada Schaack, forscht seit 2018 mit einem Dutzend Mitarbeitern im von ihr geleiteten „Kompetenzzentrum Simulation und Additive Manufacturing 3D“, kurz SAM 3D, daran, wie Reaktoren und Bauteile für die Chemieanlagen mithilfe des 3-D-Drucks noch effizienter und sicherer werden können. Mit dieser Technik lassen sich filigrane Strukturen realisieren, die mit herkömmlichen Verfahren nicht gefertigt werden können. Mittels Simulation werden die Strukturen errechnet, die Lösungen für klassische Herausforderungen der Chemie bieten. Zum Beispiel lassen sich Apparate mit Geometrien für einen verbesserten Wärmeaustausch entwickeln, in denen große Wärmemengen schnell ab- oder zugeführt werden können. Hergestellt werden die Reaktoren dann mittels 3-D-Druck aus Edelstahlpulver.
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Die Reaktoren könnten in vielen Anwendungen zum Einsatz kommen, zum Beispiel bei der Herstellung von Methanol für die Speicherung von Solar- oder Windenergie. Der metallene Apparat ist klein wie ein Schuhkarton, verspricht aber große Fortschritte. Sein Innenleben ist darauf ausgerichtet, dass eine chemische Synthese möglichst wenig Energie benötigt und geringere CO2-Emissionen verursacht. Einige Reaktoren enthalten hauchdünne Röhrchen, durch die im Betrieb die Reaktionsmischung oder ein Kühlmedium gepumpt werden kann. Andere bestehen im Innern aus feinen Verästelungen, mit deren Hilfe man Ströme von einem auf mehrere Röhrchen aufteilt.
Teil des Projekts 3D-Process
Unter anderem arbeitet das Team an einem neuartigen Reaktor für einen Syntheseschritt, der häufig bei der Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe eine Rolle spielt, die sogenannte Ortholithiierung. Der Reaktor soll das Produkt nicht nur in höherer Reinheit liefern, sondern erfordert auch weniger Kühlaufwand als der herkömmliche Prozess. Diese Entwicklung ist Teil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekts „3D-Process“. Darin wird an disruptiven Reaktorkonzepten gearbeitet, wobei die Apparate digital geplant, in 3-D-Druckern hergestellt und mithilfe von Prozessdaten aus der Praxis sowie künstlicher Intelligenz optimiert werden. Das Projekt „Disruptive Reaktorkonzepte durch additive Fertigung: Vom digitalen Design in die industrielle Umsetzung – 3D-Process“ startete im Juni 2021 und wird im Mai 2024 enden. Es hat ein Volumen von 9,8 Mio. Euro und wird als Verbundvorhaben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert (03EN2065A-E). Konsortialführer des Projekts ist Evonik. Weitere Partner sind Siemens, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit seinen Instituten für Katalyseforschung und -technologie, für Technische Chemie und Polymerchemie und für Mikroverfahrenstechnik sowie das Unternehmen Ineratec. Ziel ist es, prozesstechnische Bauteile für energieeffizientere chemische Prozesse zu entwickeln, die weniger Emissionen verursachen und nachhaltiger sind. Gemeinsam mit den Projektpartnern hat sich Dr. Schaack zum Ziel gesetzt, die chemische Produktion nachhaltiger zu machen. Das Potenzial dafür erscheint gewaltig. Im Vor-Corona-Jahr 2019 verbrauchte die Chemiebranche allein in Deutschland 200 TWh Energie in Form von Erdgas, Mineralölprodukten, Kohle und Strom – 8 % des gesamten Bedarfs.
Methanol aus grünem Wasserstoff
In einem weiteren Projektstrang von 3D-Process arbeitet Evonik mit Forschern vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), von Siemens Technology und dem Unternehmen Ineratec zusammen. Dabei geht es um einen Reaktor für die Umsetzung von Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) zu Methanol oder Dimethylether. Beide Substanzen sind wichtige Basischemikalien und können auch als Kraftstoffe eingesetzt werden. Während das CO2 aus Biogas oder Abgasen stammt, kann der Wasserstoff durch Wasserelektrolyse gewonnen werden. Damit die Produktion nachhaltig ist,sollte der Wasserstoff unter Nutzung von grünem Strom hergestellt werden. „Gemeinsam entwickeln die Technologen von Siemens, die Wissenschaftler am KIT-IKFT, KIT-ITCP und KIT-IMVT unter Begleitung von Ineratec Konzepte für Prozessintensivierung, wie sie nur mit Additive Manufacturing möglich ist. Aus Ideen entstehen im Moment CADs und erste metallische Prototypen, die in verschiedenen Tests auf ihre Verwendungsfähigkeit für die Reaktion (Hochdruck, chemische Korrosionsfestigkeit, Wärmedurchgang, etc.) erprobt werden“, erklärt Dr. Christoh Kiener, Principal Key Expert Functional Design for Manufacturing bei Siemens. Das Ziel sind aus standardisierten Modulen aufgebaute, dezentrale Anlagen, die man zum Beispiel neben einem Windpark oder einer größeren Solaranlage aufstellen kann.
Ein entsprechender Reaktor muss einfach aufgebaut und robust sein und zudem etliche Anforderungen erfüllen. Eine ist es, das entstehende Methanol direkt aus der Reaktionsmischung abzutrennen. Tatsächlich erlaubt der 3-D-Druck definiert poröse Strukturen in der Reaktorwand, mit denen dies in Verbindung mit einer geeigneten Temperaturführung nun gelingen könnte. Das Reaktorkonzept fußt auf der Zusammenführung mehrerer Temperatur- und Prozesszonen in einem monolithischen Stück Metall, das im 3-D-Druck entsteht. Dabei spielen Strukturen von 50 μm, der Größe eines Haares, in dem bis zu 50 cm großen Metallkörper eine wichtige Rolle. Die Strukturen können mittels vorheriger Simulation genau in ihrer Formgebung bestimmt werden. Diese Fertigungsmöglichkeiten bietet ausschließlich Additive Manufacturing.
Von der Idee zum Reaktor
Die ersten Versuche mit einem Testreaktor verliefen vielversprechend. Wenn alle Untersuchungen in kleinem Maßstab abgeschlossen sind, wird sich das Konsortium daranmachen, Designregeln zu erarbeiten, um den Reaktor in einen Industriemaßstab zu überführen. Professor Dr. Christoph Klahn, der sich am KIT mit der additiven Fertigung in der Verfahrenstechnik beschäftigt, lobt die Beschleunigung des Entwicklungsprozesses. „Dank der gut vorbereiteten Design- und Fertigungs-Workflows können wir bei jeder neuen Idee den entsprechenden Versuchsreaktor innerhalb von zwei Tagen herstellen.“ Die Softwaremodule für diese durchgängigen Workflows stammen von Siemens und umfassen Simulation, Design und die digitale Ansteuerung der 3-D-Drucker zur zuverlässigen Fertigung der feinen Strukturen. Künftig könnten alle wichtigen Prozessschritte, also Mischen, Reagieren, Trennen und so weiter, durch Simulation maßgeschneidert in einem Apparat so gebündelt werden, dass sie dann in jeweils definierten Zonen hocheffizient erfolgen.
Selbstoptimierendes System
Die Möglichkeiten des 3-D-Drucks will das Team nutzen, um in die Bauteile gleich Anschlüsse zu integrieren, in die Sensoren eingebaut werden sollen. Diese erfassen während des Betriebs Temperatur, Druck, Flussraten und Stoffkonzentrationen. Mit diesen Daten erkennt das System, ob es irgendwo im Reaktor zu heiß wird oder ob unerwünschte Nebenprodukte entstehen. Beides wollen die Ingenieure unbedingt vermeiden, denn es schmälert Ausbeute und Produktreinheit. Muss das Produkt mühsam von anderen Molekülen getrennt werden, erhöht dies zudem den Energieaufwand.
Um die Parameter zu ermitteln, bei denen Ausbeute und Reinheit möglichst hoch und der energetische Kühlaufwand möglichst gering sind, setzt das 3-D-Process- Team-Verfahren der künstlichen Intelligenz ein. Auf Basis der Sensordaten ist das System dann in der Lage, die Prozesssteuerung zu justieren und sich so schrittweise und selbstlernend den optimalen Bedingungen anzunähern. Lässt sich dieses Optimum mit dem vorhandenen Reaktor nicht erreichen, liefern die Daten Hinweise, wie das Design geändert werden müsste.
Chemieparks im Wandel
Das Bild von Chemieparks könnte sich künftig wandeln, wenn statt großer Kessel zunehmend kleine Durchflussreaktoren zum Einsatz kämen. Aber liefern diese Minianlagen überhaupt ausreichende Mengen? Im Umfeld pharmazeutischer Wirkstoffe auf jeden Fall. Mit einem Durchsatz von einem Liter pro Minute kommen die kleinen Reaktoren auf zwei- bis dreistellige Tonnenzahlen pro Jahr. Zudem ist das Konzept gut skalierbar. Je nach gewünschter Produktmenge kann man die nötige Anzahl an Reaktoren parallelschalten.
Selbst in der großtechnischen chemischen Produktion taugt das Konzept als Alternative. Hier gibt es Potenzial für radikal geschrumpfte Anlagen und Prozesse, die dank präziser Daten, besserer Simulation und exakter Steuerung mit weniger Stahl, weniger Lösemittel und letztlich mit weniger Energie und CO2-Emissionen auskommen. Das würde eine nachhaltigere Chemie ermöglichen.
Evonik Industries AG, Hanau
Halle 9.1, Stand D66
Statement
„Der entscheidende Vorteil des 3-D-Drucks gegenüber der klassischen Mikroreaktoren ist in der Formfreiheit zu sehen. Diese kann nicht nur zu effizientem Wärmemanagement, sondern auch gleichzeitig zur Unterbringung einer Vielzahl von Messstellen im Reaktor genutzt werden. Räumlich und zeitlich gut aufgelöste Messdaten bilden die Basis für die autonome, KI-unterstützte Optimierung des Prozesses im Labormaßstab und dienen gleichzeitig der Validierung und Verbesserung der Simulationsmodelle. Mit höherer Datenmenge entsteht ein gut validierter digitaler Zwilling, der für die Optimierung des Process- und Reaktordesigns im Produktionsmaßstab verwendet werden kann. Dadurch soll nicht nur die Nachhaltigkeit der Prozesse verbessert werden, sondern auch der Scale-up in die Produktion beschleunigt und das Scale-up-Risiko minimiert werden.“
Statement
Ineratec bietet modulare Anlagen für Power-to-X Anwendungen, sowie zur Methanolsynthese oder zur Methanol- und Fischer-Tropsch-Synthese an. Aktuell nutzen wir zur Fertigung der mikrostrukturierten Systeme jedoch noch andere Lösungen als den 3-D-Druck. Den 3-D-Druck betrachten wir als sehr spannenden möglichenAnsatz, um die Flexibilität der Systeme oder die Komplexität der Bauteile weiterzuentwickeln.
Autor: Karl Hübner
Fachjournalist