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Von -80 bis +400 °C

Auswahlkriterien für organische Wärmeträgerflüssigkeiten
Von -80 bis +400 °C

Mit Hilfe von Wärmeträgerflüssigkeiten lassen sich bei einer Vielzahl industrieller Prozesse die Energiezufuhr und die Wärmeabführung exakt steuern. Schädigende Überhitzungen am aufzuheizenden Produktionsgut werden so gänzlich vermieden.

E. Holstein

Entsprechend der Temperaturbeanspruchung können Wasser (flüssig oder dampfförmig), organische Wärmeträgerflüssigkeiten, Salz- oder Metallschmelzen als Wärmeträger in Systemen gemäß Abbildung 1 eingesetzt werden. Organische Wärmeträgerflüssigkeiten lassen sich in mineralölbasische und synthetische Fluids einteilen. Wärmeträgerflüssigkeiten auf Mineralölbasis werden durch moderne Raffinationstechnik in mehreren Verfahrensschritten aus Erdöl gewonnen. Nach überwiegendem Stoffanteil unterscheidet man hier zwischen naphthenbasischen und paraffinbasischen Fluids. Bei den naphthenbasischen Wärmeträgerflüssigkeiten handelt es sich vorwiegend um gesättigte cyclische Kohlenwasserstoffe, bei den paraffinbasischen um gesättigte aliphatische Kohlenwasserstoffe. Die wirtschaftlich vertretbare obere Einsatzgrenze der paraffinbasischen Mineralöle liegt bei etwa 280 °C, die naphthenbasischen Fluids sind thermisch etwas weniger belastbar.
Die synthetischen Wärmeträgerflüssigkeiten werden nach speziellen Verfahrensschritten gezielt für die Anwendung zur Wärmeübertragung produziert. Sie sind somit zwangsläufig teurer als mineralölbasische Fluids, bieten dafür aber erhebliche Anwendungsvorteile. Ihr oberer Anwendungsbereich liegt zwischen 300 und 400 °C.
Die Produktpalette der handelsüblichen Wärmeträgerflüssigkeiten umfaßt den Temperaturbereich von etwa -80 °C bis 400 °C. Die Tabelle gibt einen Überblick über das unterschiedliche anwendungstechnische Eigenschaftsprofil der Fluids. Generell sind die unsubstituierten Aromaten am stabilsten. Substituenten führen mit steigender Zahl und Kettenlänge zu einem Rückgang der thermischen Stabilität.
Bei der Auswahl eines Wärmeträgers sollte man sich aufgrund der Vielzahl der angebotenen Produkte neben wirtschaftlichen Aspekten an folgenden Parametern orientieren:
• hoher Siedepunkt bei Normaldruck,
• gutes Tieftemperaturverhalten sowie eine ausgeprägte thermische Stabilität,
• geringe Oxidationsempfindlichkeit,
• gute Wärmetransport- und Wärmeübertragungseigenschaften,
• geringe Korrosionswirkung gegenüber den gängigen metallischen Werkstoffen (bei den marktüblichen Wärmeträgern kein Problem),
• geringe Feuergefährlichkeit sowie
• günstige physiologische und umweltrelevante Eigenschaften.
Siedetemperatur bei Normaldruck
Für organische Wärmeträgerflüssigkeiten sind grundsätzlich drei Betriebsarten möglich. Sie können
• unterhalb ihrer Siedelage in der Flüssigphase in nicht druckbeaufschlagten Systemen,
• oberhalb ihrer Siedelage in der Flüssigphase in druckbeaufschlagten Systemen und
• im Bereich ihrer Siedelage in der Flüssig-/Dampfphase ebenfalls in druckbeaufschlagten Anlagen oder unter Vakuum
eingesetzt werden. Wärmeträgerflüssigkeit und Betriebsart beeinflussen somit nicht nur die Auslegung des Wärmeträgerkreislaufs, sondern auch die Investitionskosten entscheidend. Aufgrund wirtschaftlicher Vorteile und höherer Betriebssicherheit wird man zunächst immer versuchen, mit drucklosen Wärmeübertragungsanlagen zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen in einem solchen System werden mit zunehmender Siedelage des Wärmeträgers deutlich verbessert.
Tieftemperaturverhalten undthermische Stabilität
Die untere Einsatzgrenze einer Wärmeträgerflüssigkeit wird durch seine Pumpbarkeitsgrenze festgelegt. Diese ergibt sich aus dem Viskositätsverlauf des Mediums und entspricht der Temperatur, bei der die Flüssigkeit eine Viskosität von etwa 300 bis 400 mm2/s aufweist. Fluids mit dieser Viskosität lassen sich mit einstufigen Kreiselpumpen, die üblicherweise in Wärmeübertragungsanlagen eingebaut werden, gerade noch umpumpen.
Die thermische Stabilität eines Wärmeträgers ist für die Lebensdauer und die damit verbundene Wirtschaftlichkeit einer Anlagenfüllung von zentraler Bedeutung. Alle organischen Wärmeträgerflüssigkeiten unterliegen bei entsprechender thermischer Belastung einer Disproportionierung. Bei ihrer Zersetzung bilden sich gasförmige, niedrigsiedende und hochsiedende Spaltprodukte. Die gasförmigen Stoffe, meist Wasserstoff, Methan und Ethan, sowie ein Teil der Niedrigsieder werden in der Regel während des Betriebs der Anlage über das Ausdehnungsgefäß aus dem Wärmeträgerkreislauf ausgeschleust.
Die hochsiedenden Folgeprodukte reichern sich an und werden die Füllung, je nach Wärmeträgertyp und Fahrweise der Anlage, mehr oder weniger stark belasten.
Die thermische Zersetzung macht sich in der Praxis bei den einzelnen Produktgruppen ab folgenden Temperaturen bemerkbar:
• paraffinbasische Fluids und Wärmeträger auf Alkylbenzolbasis: um 250 °C,
• teilhydrierte Terphenyle: um 300 °C,
• Benzyl- und Dibenzyltolule: um 310 °C,
• Eutektium Diphenyl-Diphenyloxid und Terphenylgemisch: um 350 °C.
Die Zersetzung steigt exponentiell mit zunehmender Temperatur, d.h. die Zersetzungsrate verdoppelt sich in etwa bei einer Temperaturerhöhung von 10 °C. Die Lebensdauer einer Wärmeträgerflüssigkeit errechnet sich aus der Zersetzungsrate und dem maximal zulässigen Zersetzungsgrad des Mediums. Bei den synthetischen Fluids bleiben die höhersiedenden Spaltprodukte bis zu diesem Grenzwert, auch im kalten Zustand im Wärmeträger gelöst. Die thermische Zersetzung von mineralölbasischen Produkten verläuft dagegen immer unter Bildung von schlammartigen Ablagerungen, die zumindest im oberen Anwendungsbereich leicht zu Feststoffanbackungen an Rohrwandungen und Wärmetauscherflächen führen können.
Oxidationsstabilität
Alle organischen Wärmeträgerflüssigkeiten sind mehr oder weniger oxidationsanfällig; es entstehen Kondensations- und Polymerisationsprodukte, die eine deutliche Viskositätszunahme der Anlagenfüllung bewirken und im Extremfall bis zu ihrer Unbrauchbarkeit führen können. Auch die Oxidation, die bei etwa 100 °C beginnt, ist temperaturabhängig. Bei größeren Wärmeträgerkreisläufen sollte daher die Anlagenfüllung gegen Lufteinfluß geschützt werden. Dies geschieht am einfachsten, indem man das Ausdehnungsgefäß, das die Verbindung zwischen Anlage und Atmosphäre darstellt, mit einem Inertgas (in der Regel Stickstoff) abdeckt. Dazu reicht im allgemeinen ein geringer Überdruck von 30 bis 50 mbar aus.
Wärmetransport- und Wärmeübertragungseigenschaften
Für eine optimale Wärmeübertragung spricht ein hoher Wärmeübertragungskoeffizient. Er ermöglicht eine kleinere verbraucherseitige Wärmetauscherfläche und eine niedrigere Filmtemperatur. Der Koeffizient wird durch die anlagentechnischen Parameter und den Stoffwerten Dichte, Viskosität, spezifische Wärme und Wärmeleitfähigkeit des Fluids beeinflußt. Der Vergleich der Stoffwertefunktionen von handelsüblichen Wärmeträgerflüssigkeiten läßt im Temperaturbereich von 200 bis 300 °C keine relevanten Abweichungen erkennen, d.h. sofern die Arbeitstemperaturen es zulassen, ist ein gegenseitiger Austausch der Fluids in den meisten Fällen problemlos möglich. Der Einsatz von niedrigviskosen Wärmeträgerflüssigkeiten ermöglicht generell gute Wärmeübergänge.
Feuergefährlichkeit
Alle organischen Wärmeträgerflüssigkeiten und ihre Zersetzungsprodukte sind brennbar. Da Wärmeträgerflüssigkeiten überwiegend bei Temperaturen oberhalb ihres Flammpunktes zum Einsatz gelangen, sind die sicherheitstechnischen Kennzahlen (Flammpunkt, Zündtemperatur und Explosionsgrenzen) der einzelnen Produkte für jedes Projekt gesondert zu betrachten und gegeneinander abzuwägen. Geeignete Maßnahmen zur Risikominderung sind produkt- und anlagenspezifisch festzulegen und gegebenenfalls zu berücksichtigen. Die Selbstentzündungstemperatur einer Anlagenfüllung sollte, entsprechend den Richtlinien für Wärmeübertragungsanlagen mit nichtwäßrigen Medien deutlich oberhalb ihrer maximalen Betriebstemperatur liegen.
Umweltrelevante Eigenschaften
Aus umweltrelevanten und arbeitsplatzhygienischen Gründen ist bei der Errichtung einer Wärmeübertragungsanlage eine möglichst leckagesichere Bauausführung anzustreben. Beim Handling mit diesen Produkten sind daher grundsätzlich die für organische Lösemittel erstellten Umgangsregeln zu beachten.
Wirtschaftlichkeit
Durch die optimale Auswahl eines Wärmeträgers lassen sich Betriebszustand und Wartungsumfang einer Wärmeübertragungsanlage in starkem Maße beeinflussen. Der Preis eines Fluids darf daher nicht das allein einsatzbestimmende Kriterium sein, obwohl es gerade hier erhebliche Unterschiede gibt. Preisvorteile bei der Erstanschaffung können bereits nach wenigen Jahren durch erhöhten Nachfüll- oder Ersatzbedarf aufgezehrt sein. Zusätzliche Kosten für den Produktionsausfall durch Stillstandszeiten während des Reinigens und Wiederbefüllens des Kreislaufs kämen im Extremfall noch hinzu. Die Standzeit einer Anlagenfüllung sollte nach Möglichkeit mindestens 4 bis 5 Jahre betragen, in Temperiergeräten wird die Wärmeträgerflüssigkeit in der Regel alle 1 bis 2 Jahre ausgetauscht (Abb. 2).
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