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Chemieproduktion muss neu gedacht werden

Industrie muss sich nachhaltiger aufstellen
Chemieproduktion neu denken

Als zweitgrößter CO2-Emittent bei energiebedingten Emissionen steht die Chemieindustrie in der Verantwortung, sich nachhaltiger aufzustellen. Dr. Volker Fitzner, Global Chemicals Leader, und Prof. Dr. Jürgen Peterseim, Director und Dekarbonisierungsexperte, von PwC Deutschland erklären im Gespräch, wie das trotz wachsender Nachfrage gelingt und welche Investitionen dafür erforderlich sind.

 

Herr Peterseim, Herr Fitzner, welche Herausforderungen stehen der Chemieindustrie bei der Umstellung auf eine defossilisierte Produktion bevor?

Volker Fitzner: Zunächst einmal steht die Branche vor der Aufgabe, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu überwinden, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Das erfordert erhebliche CO2-Reduktionen, die nur durch den Einsatz innovativer Technologien zu erreichen sind. Das Problem: Die höheren Kosten für grüne Rohstoffe und Technologien stellen eine wirtschaftliche Herausforderung dar, da Unternehmen diese Mehrkosten entlang der Wertschöpfungskette weitergegeben müssen. Das kann wiederum die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen. Zudem sind erhebliche Investitionen in Forschung, Entwicklung und die Umrüstung bestehender Anlagen notwendig, um nachhaltige und effiziente Produktionsprozesse zu gewährleisten.

Wie beeinflusst das prognostizierte Wachstum der Chemikalienproduktion bis 2050 die Klimaziele?

Jürgen Peterseim: Die Chemikalienproduktion soll bis 2050 um 70 % wachsen – ein solcher Sprung ist bei gleichbleibenden Emissionen nicht mit dem 1,5-°C-Ziel des Pariser Abkommens kompatibel. Um das zu adressieren, muss die Nachfrage nach Chemikalien sinken, beispielsweise durch die effizientere Nutzung, Förderung der Kreislaufwirtschaft und die Verlängerung der Produktlebensdauer. Diese Maßnahmen sind entscheidend, um die Emissionen zu senken und die Klimaziele trotz des Wachstums der Produktion zu erreichen.

Die „Sustainable Chemicals Pathways“-Studie von PwC und der University of Technology Sydney zeigt, wie wirksame Dekarbonisierungspfade in der Branche aussehen könnten. Warum liegt der Fokus dabei auf den Basischemikalien?

Fitzner: Weil sie 74 % des Energieverbrauchs der Chemieindustrie ausmachen. Diese Chemikalien sind zentrale Bausteine der Chemieproduktion und werden in großen Mengen hergestellt, was ihren hohen Energiebedarf erklärt. Durch ihre zentrale Rolle in der Produktion haben sie einen erheblichen Einfluss auf den gesamten Energieverbrauch und die Emissionsbilanz der Branche. Eine Optimierung der Effizienz und die Umstellung auf nachhaltigere Produktionsmethoden bei Basischemikalien können daher signifikante Fortschritte bei der Reduktion des Energieverbrauchs und der Emissionen der gesamten Chemieindustrie bewirken.

Welche Investitionen sind notwendig, um die Chemieindustrie auf Netto-Null-Emissionen umzustellen?

Peterseim: Unserer aktuellen Studie zufolge werden bis 2040 weltweit zwischen 440 Mrd. und 1 Billion USD für die Transformation benötigt. Bis 2050 könnten bis zu 3,3 Billionen USD erforderlich sein. Diese Mittel müssen primär in den Bau neuer, emissionsarmer Produktionsstätten, die Umrüstung bestehender Anlagen auf energieeffiziente Technologien und die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe und Energiequellen fließen.

Fitzner: Zudem ist eine Dezentralisierung der Anlagen notwendig, um die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie optimal zu nutzen – auch dafür wird es große Investitionen brauchen.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, um die Chemieindustrie zu defossilisieren?

Fitzner: Die Integration von biogenen und erneuerbaren Kohlenstoffquellen in die Produktion bietet beispielsweise interessante Optionen. Das sind Materialien, die aus biologischen Prozessen stammen, wie Pflanzen, Algen oder organische Abfälle. Sie können als Rohstoffe für die Herstellung von Chemikalien, Kunststoffen und anderen Produkten verwendet werden. Ein Beispiel ist die Nutzung von Pflanzenölen oder Zuckerrohr zur Herstellung von Biokunststoffen, die herkömmliche Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen ersetzen können.

Wie wirkt sich der Einsatz nachhaltiger Rohstoffe auf die
Kosten aus?

Peterseim: Der Einsatz nachhaltiger Rohstoffe führt zunächst zu höheren Produktionskosten. Dies kann einen geringfügigen Preisanstieg bei ausgewählten Endprodukten verursachen. Allerdings ermöglicht dieser Ansatz eine erhebliche Reduktion der CO2-Emissionen und trägt somit wesentlich zur Erreichung der Klimaziele bei. Unternehmen identifizieren daher idealerweise die Produkte, bei denen das Verhältnis von Preisanstieg zu CO2-Emissinsreduktion am besten ist.

Fitzner: Langfristig bieten nachhaltige Rohstoffe sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Vorteile, da sie die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen verringern und die Umweltbelastung minimieren.

Welche wirtschaftlichen Chancen sind das konkret?

Fitzner: Die Defossilisierung kann zu Wachstum und Beschäftigung führen, da die Nachfrage nach grünen Materialien stetig steigt. Ein Beispiel ist der grüne Stahl, der bereits jetzt als Premiumprodukt gehandelt wird. Zudem spielt die Chemiebranche eine zentrale Rolle als Enabler für andere Industrien, die ihre Scope-3-Emissionen reduzieren müssen.

Peterseim: Durch die Bereitstellung nachhaltiger Materialien und Technologien kann die Chemieindustrie diesen Industrien helfen, ihre Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig neue Marktchancen erschließen.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Peterseim: Ein konkretes Beispiel ist die Automobilindustrie, die zunehmend auf leichte, biobasierte Materialien setzt, um das Gewicht der Fahrzeuge zu reduzieren und somit den Energieverbrauch und die Emissionen zu senken. Ähnlich verhält es sich in der Bauindustrie, wo nachhaltige Baumaterialien wie CO2-armer Beton und umweltfreundliche Dämmstoffe gefragt sind.

Wie kann die Integration von Petrochemie in Chemieparks zur Defossilisierung der Chemieindustrie beitragen?

Fitzner: Durch die Nutzung gemeinsamer Infrastruktur lassen
sich erhebliche Effizienzsteigerungen erzielen. Synergien zwischen den verschiedenen Unternehmen im Park ermöglichen
eine optimierte Ressourcennutzung und senken den Energieverbrauch. Die gemeinsame Nutzung von erneuerbaren Energien
und grünen Technologien fördert darüber hinaus eine nachhaltigere Energieversorgung.

Peterseim: Zudem erleichtert die enge Zusammenarbeit innerhalb des Parks die Implementierung von Recycling- und Kreislaufwirtschaftskonzepten, wodurch Abfälle minimiert und Rohstoffe effizienter genutzt werden können. Diese integrativen Ansätze tragen maßgeblich zu einer emissionsarmen und nachhaltigen Chemieproduktion bei.

Welche technologischen Innovationen in Chemieparks sind notwendig, um die Petrochemie nachhaltiger zu gestalten?

Peterseim: In Chemieparks sind grundsätzlich die gleichen Innovationen erforderlich wie in allen Chemieunternehmen. Vieles haben wir bereits genannt: Die Einführung von grünem Wasserstoff als Rohstoff oder Energieträger kann fossile Brennstoffe ersetzen und die CO2-Emissionen erheblich reduzieren. Die Elektrifizierung von Wärmeprozessen ist ebenfalls entscheidend, um CO2-Emissionen zu senken und erneuerbare Energien effizient zu nutzen. Darüber hinaus müssen biogene und synthetische erneuerbare Rohstoffe verstärkt eingesetzt werden, um die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu verringern. Schließlich ist die selektive Implementierung von CO2-Abscheidungs- und -Nutzungstechnologien notwendig, um CO2-Restemissionen zu vermeiden und gleichzeitig wertvolle Produkte daraus zu gewinnen. Diese Innovationen sind essenziell, um eine nachhaltige und zukunftsfähige Petrochemie zu ermöglichen.

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Das Interview führte für Sie: Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

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