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Dekarbonisierung der Chemieindustrie

Postfossile Wirtschaft im Blick
Dekarbonisierung der Chemieindustrie

Dekarbonisierung der Chemieindustrie
Die Dekarbonisierung der Chemieindustrie ist eine Herausforderung Bild: Nivellen77 - stock.adobe.com

Europa soll bis 2050 klimaneutral werden. Dazu ist eine Dekarbonisierung von Energiesektor, Industrie, Verkehr und Privathaushalten erforderlich. Wir erklären in diesem Artikel, was Dekarbonisierung in der Chemieindustrie ist und wie man das Ziel einer fossilfreien Zukunft erreichen kann.

 

Im Rahmen des Green Deals haben die Länder Europas beschlossen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Dazu ist in der Chemieindustrie idealerweise eine vollständige Abkehr von allen Prozessen auf Kohlenstoffbasis erforderlich. Die Dekarbonisierung beschreibt diesen Prozess. Das Ziel ist, ein postfossiles und damit kohlenstofffreies Wirtschaftssystem zu schaffen, in der der CO2-Ausstoß keine Rolle mehr spielt.

Wie funktioniert die Dekarbonisierung der Chemieindustrie?

Um die Produktionsketten in der Chemieindustrie dekarbonisieren zu können, müssen kohlenstoffhaltige Rohstoffe wie Kohle, Erdgas oder Erdöl gänzlich aus den Produktionsketten verschwinden – sowohl bei der Energienutzung als auch als Produktionsrohstoff.

Die energieintensiven Branchen Chemie und vor allem die Petrochemie setzen große Mengen fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung ein. Durch den Ersatz kohlenstoffarmer Energie wie Wind- oder Sonnenenergie lässt sich dieser Anteil leicht substituieren. Allerdings ist dazu eine vollständige Elektrifizierung der thermischen Prozesse notwendig, da bisher vornehmlich die Nutzung von Dampf zur Wärmeübertragung erfolgte. Erste Schritte hierzu hat die BASF mit dem Bau des weltweit ersten elektrisch beheizten Steam Crackers getan. Zusammen mit Linde und Sabic will der Chemiekonzern in Ludwigshafen damit einen der größten CO2-Verursacher beseitigen und so zur Dekarbonisierung des Standortes beitragen.

BASF beheizt Steamcracker elektrisch

Produkte ohne fossile Rohstoffe

Viele Produktionsketten in der chemischen Industrie setzen erdölbasierende Rohstoffe ein. Um also die Dekarbonisierung der Chemieindustrie erreichen zu können, benötigt die chemische Industrie entweder alternative Produktionsrouten oder klimaneutrale Ausgangsstoffe. Häufig scheitert allerdings eine Umstellung der Produktionsrouten, da es keine klimaneutrale Alternative gibt. Eine wichtige Rolle kommt somit der Herstellung klimaneutraler Ausgangsstoffe zu. Diese lassen sich beispielsweise durch chemisches Recycling von Kunststoffen, aus nachwachsenden Rohstoffen oder via Power-to-X-Technologien herstellen. Ein vielversprechender Weg ist die Umsetzung von Kohlendioxid mit Wasserstoff.

Wasserstoff befeuert die Dekarbonisierung

Wasserstoff ist das leichteste Element des Periodensystems und besonders energiereich. Der große Vorteil: Das Verbrennungsprodukt des Wasserstoffs ist Wasser und somit unschädlich. Leider kommt das reaktionsfreudige Element in der Natur in Reinform nicht vor, sodass es durch Dampfreformierung (heute der gängige Weg zu grauem, blauem oder türkisenem Wasserstoff) oder Elektrolyse (grüner Wasserstoff bei Verwendung von Wind- oder Sonnenenergie) hergestellt werden kann. Die unterschiedlichen Herstellungsrouten für Wasserstoff produzieren ein prächtiges Farbenspiel.

Farbige Gedankenspiele rund um den Wasserstoff

Die zur Verfügung stehenden Mengen an grünem Wasserstoff reichen nicht aus, um die Chemieindustrie vollständig zu dekarbonisieren. Daher ist die Abscheidung von CO2, das bei der Dampfreformierung von Erdgas zu Wasserstoff entsteht, ein wichtiger Schritt. Überhaupt werden Carbon Capture and Storage-Technologien in der Zukunft eine große Rolle spielen. Und zwar immer dann, wenn Produktionsrouten CO2 entstehen lassen und dieses nicht anders entfernt werden kann.

Power-to-X als neue Basis

Power-to-X-Technologien produzieren aus grünem Strom Edukte für die chemische Industrie. Doch das hat einen Haken: Bei der Umsetzung des äußerst trägen Kohlendioxids mit Wasserstoff werden enorme Energiemengen benötigt, um die Reaktion in Gang zu bringen und am Laufen zu halten. Um kohlenstoffhaltige Produkte über diesen Weg klimaneutral synthetisieren zu können, muss die notwendige Energie natürlich ebenfalls klimaneutral produziert werden. Hierfür sind riesige Mengen grünen Stroms erforderlich, die wir aktuell nicht haben. Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) hat die benötigten Mengen an Wasserstoff vor Kurzem neu berechnet. Sein Fazit: Wir benötigen viel mehr Wasserstoff als früher gedacht. Für 2030 veranschlagt der NWR jetzt einen Wasserstoffverbrauch in der Chemieindustrie von etwa 36 TWh (1 Mio. t H2 entspricht 33,33 TWh). Für 2040 sind es bereits 225 TWh.

Einsparpotenziale für die Dekarbonisierung der Chemieindustrie heben

Die riesigen Mengen an Wasserstoff, die zur Dekarbonisierung der chemischen Industrie notwendig sind, lassen sich nur durch Produktion von grünem Wasserstoff nicht erreichen. Um also klimaneutral zu werden, benötigt es zusätzliche Einsparpotenziale. Prozesse müssen energieeffizienter werden. Jede Kilowattstunde, die eingespart wird, muss nicht produziert werden. Die Nutzung effizienterer Technologien kann hier Abhilfe schaffen. Ein Beispiel: Der Umbau einer alten Stripp-Bodenkolonne auf eine moderne Füllkörperkolonnen.

Stripp-Bodenkolonne zu einer Rektifikations-Füllkörperkolonne umgebaut

CO2-Vermeidung durch Anlagenschließung

Viele Altanlagen sind wahre CO2-Schleudern. Sie sind ineffizient und können mit modernen Anlagen häufig nicht mehr mithalten. Die Abschaltung bzw. der Ersatz dieser Anlagen bietet eine weitere CO2-Einsparmöglichkeit. Durch Optimierung der Produktionsabläufe und ressourceneffizientere Produktionsrouten existieren in vielen Bereichen mittlerweile Überkapazitäten, die angepasst werden müssen. Dabei gilt es eben die Anlagen zu schließen, die den meisten CO2-Ausstoß produzieren – auch wenn damit ein Arbeitsplatzabbau in Deutschland verbunden ist wie bei der BASF in Ludwigshafen.

Brudermüller mit klarem „Ja“ zu Ludwigshafen

Verbraucher finanziert die Dekarbonisierung der Chemieindustrie mit

Der Umstieg auf CO2-freie Technologien ist äußerst komplex. Die Politik muss hier nicht nur fordern, sondern vor allem fördern, damit die Chemieindustrie rasch Investitionen in klimaneutrale Technologien umsetzen kann. Der Umbau der Verbundstandorte und Chemieparks quer durch die Republik wird eine enorme Herausforderung für die Chemieindustrie und die Gesellschaft. Am Ende des Tages wird der Endverbraucher zur Kasse gebeten werden müssen, um die Dekarbonisierung der Chemieindustrie zu finanzieren. Klimaneutrale Produkte wie Shampoo oder Reinigungsmittel, die auf klimaneutral hergestellten, kohlenstoffhaltigen Tensiden basieren, werden mit Sicherheit teurer als bisherige Produkte auf fossiler Basis sein. Diesen Mehrpreis müssen wir als Verbraucher bereit sein zu zahlen, damit unsere Kinder in einer klimaneutralen Welt leben können. (br)

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