Basischemikalien lassen sich oft nur mithilfe fossile Energieträger und Rohstoffe sowie enorm hohem Energie- und Rohstoffaufwand produzieren. Allein das Gewinnen chemischer Stoffe setzt hohe Temperaturen, teure Katalysatoren aus Edelmetallen und teilweise auch umweltschädliche Ausgangsstoffe voraus. Mit speziellen Elektrolyseverfahren für die Herstellung von Basischemikalien will das Zukunftscluster Etos maßgeblich zur Defossilisierung der Chemieindustrie beitragen. „Der Vorteil ist, dass keine Abfälle entstehen, wenn mithilfe von Elektrizität eine Reaktion ausgelöst wird. Es ist ein ‚sauberes‘ Verfahren, erlaubt milde Synthesebedingungen und ist von Natur aus sicher“, sagt Dr. Philipp Röse vom Institut für Angewandte Materialien – Elektrochemische Technologien (IAM-ET) des KIT. Die Forschenden wollen die Elektrolyseverfahren nun so anpassen und bis zum industriellen Maßstab entwickeln, dass sich Energie und Rohstoffe einsparen lassen. Im Fokus steht dabei die Produktion von Basischemikalien, die Grundstoffe für zahlreiche Produkte sind. Bisher lassen sich diese nur mit teils umweltschädlichen Ausgangsstoffen, etwa schwermetallhaltigen Oxidationsmittel, unter hohen Temperaturen und mit teuren Katalysatoren aus Edelmetall wie Palladium oder Platin herstellen. Bei der Forschung setzt das Team auf die organische Elektrosynthese, bei der mittels elektrischen Stroms organische Verbindungen in die erwünschten chemischen Produkte umgesetzt werden.
Organische Elektrosynthese
„Noch ist die organische Elektrosynthese eine wenig erforschte Nischentechnologie, die in der Industrie selten eingesetzt wird. Wir wollen daraus nun maßgeschneiderte Verfahren für konkrete Produktionsprozesse entwickeln, die sich ökologisch und wirtschaftlich lohnen“, sagt Professorin Ulrike Krewer, Leiterin des IAM-ET und Co-Sprecherin von Etos. „Setzen wir dann noch auf Strom aus erneuerbaren Energien, sind die neuen Verfahren ein wichtiger Schritt in Richtung CO2-Neutralität in diesen Prozessen.“ Etos wird als erste große Technologieplattform den Transfer elektroorganischer Synthesen vom Labor in den industriellen Maßstab vorantreiben und auf dieser Grundlage Lösungsvorschläge und Schlüsseltechnologien für nachhaltige, robuste und zukunftsfähige Prozesse und Produkte erarbeiten.
Verfahrens- und Reaktionstechnik von der Elektrode bis zu Großdemonstratoren
Das Team des KIT um Ulrike Krewer bringt die ingenieurwissenschaftliche Perspektive ins Zukunftscluster Etos ein. „Dabei geht es um das Verbessern einzelner Bauteile, etwa Elektroden, genauso wie um ganze Demonstratoren bis hin zur kompletten Prozesskette in Großanlagen“, erläutert Röse. In Etos beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT unter anderem mit der experimentellen und modellgestützten Analyse und Optimierung von Elektroden und Zellen und der additiven Fertigung von strukturierten Reaktoren. Sie arbeiten am Prozessdesign sowie am Hochskalieren der Prozesse und der Bewertung im Großanlagenbetrieb. Dazu kommen Expertinnen und Experten für KI-gestütztes Molekülscreening. Neben dem IAM-ET sind auch das Institut für Strömungsmechanik, das Institut für Katalyseforschung und -technologie, das Institut für Mikroverfahrenstechnik, das Institut für Organische Chemie sowie das Institut für Biologische und Chemische Systeme beteiligt.
Die naturwissenschaftliche Leitung von Etos liegt bei Professor Siegfried Waldvogel an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Hier stehen die Methoden und Reaktionspfade bei der organischen Elektrosynthese im Mittelpunkt der Forschung, aber auch Elektrolyseure mit kleinen Elektrodenabständen, die es ermöglichen sollen, die Energieeffizienz der Zellen weiter zu steigern.
Über das Zukunftscluster Etos
Das Zukunftscluster „Elektrifizierung technischer organischer Synthesen“ (Etos) der JGU und des KIT ist eines von sieben Gewinnern im „Cluster4Future“-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Beteiligt sind außerdem die TU Kaiserslautern, die TU Darmstadt, das Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme sowie 15 industrielle Partner, darunter BASF, Boehringer Ingelheim, Merck, Bayer und Evonik an Etos beteiligt. Für die erste Förderperiode in den Jahren 2023 bis 2025 erhält Etos eine Förderung von etwa 15 Millionen Euro. Die Industrie bringt zusätzlich circa fünf Millionen Euro ein. Anschließend kann noch zweimal eine solche Förderung für jeweils drei weitere Jahre beantragt werden, sodass Etos insgesamt mehr als neun Jahre mit bis zu 45 Millionen Euro gefördert werden könnte.