Herr Voet, europaweit haben sich etwa 300 Branchen Fristen gesetzt, ihre CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Je nach Land reichen die Fristen von 2025 bis 2035, in einigen Fällen bis 2050. Die Unternehmen haben ihren Anteilseignern und der Öffentlichkeit entsprechende Versprechungen gemacht und diese fest in ihrer Kommunikation verankert. Was treibt die Unternehmen an?
Voet: Die Hauptmotivation ist sicherlich, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Es spielen allerdings auch noch andere Dinge eine Rolle wie Anreize und Förderungen regionaler Versorgungsunternehmen sowie die Teuerung von CO2-Zertifikaten. Vor allem finanzielle Vorteile entstehen in den energieintensiven Branchen. Schwerindustrien wie die chemische Industrie sind aufgrund ihres enormen Energieverbrauches besonders auf bezahlbare Energie angewiesen. Sie müssen also eine Vorreiterrolle einnehmen.
Welches Potenzial gibt es in der Chemieindustrie?
Voet: Ich arbeite seit über zehn Jahren eng mit Unternehmen dieser Branche zusammen und helfe ihnen bei ihrem Umstieg auf erneuerbare Energien, insbesondere auf Solarenergie. Die Unternehmen verfügen häufig über große Firmengelände mit ungenutzten Dachflächen. Solarmodule wären dort ein gut sichtbares Signal für Nachhaltigkeit und Engagement. Je nach Vorschrift des Landes ist häufig keine Baugenehmigung erforderlich, und dank der Verbesserungen in der Solartechnologie und der schwankenden Energiepreise amortisieren sich Solarprojekte immer schneller und werden so attraktiver.
Wie bereit ist die Chemieindustrie für den Einsatz von Solarenergie?
Voet: Bei einem kürzlichen Treffen mit einem großen Chemieunternehmen wurde ich scherzhaft gefragt: „Wenn unser Baum schon immer Früchte getragen hat, warum sollte man ihn dann fällen und einen neuen pflanzen?“ Obgleich die Fragesteller die Antwort im Prinzip schon kannten, zeigen etwaige Einwände den Mangel an Verständnis und Wertschätzung gegenüber regenerativer Energieerzeugung. Da bedarf es noch einiger Überzeugungsarbeit.
Für Unternehmen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Stromerzeugung beschäftigt haben, kann die Umstellung auf Solarenergie eine Herausforderung darstellen. Welche Punkte gilt es zu beachten?
Voet: Es kann beispielsweise unterschiedliche nationale Vorschriften geben, die die maximal zulässige Größe einer PV-Anlage vorschreiben. Manchmal verfügen die von Unternehmen genutzten Gebäude nicht über geeignete Dächer, oder die Gebäude sind nur gemietet oder gepachtet, sodass die Verpflichtung des Vermieters zur Installation problematisch ist. Vermieter zögern oft, eine Solaranlage zu genehmigen, deren Investitionsrendite unter der Pacht des Nutzers liegt.
Oft sind in großen Industrieunternehmen die Entscheidungsprozesse sehr zeitaufwendig. Schließlich sind viele Stakeholder gefragt, beispielsweise die Unternehmensleitung, Investoren, das regionale Management, Betriebsleiter, Risikobewertungsbeauftragte, Energie- und Nachhaltigkeitsmanager, Versicherungsbeauftragte, lokale Beamte (einschließlich Feuerwehren) und oft auch Risiko-, Versicherungs- und Energieberater. Die Herausforderung liegt darin sicherzustellen, dass alle am Entscheidungsprozess Beteiligten das Hauptziel verstehen und gemeinsam darauf hinarbeiten.
Wie sieht der Ablauf aus, wenn die Entscheidung intern getroffen ist?
Voet: Der erste Schritt besteht darin, kompetente Partner zu finden, die bei der Umsetzung helfen und Risiken minimieren. Hierfür braucht es für gewöhnlich verschiedene Unternehmen, von Beratern und Projektierern bis hin zu Technologieanbietern, die über jahrzehntelange Erfahrung in der Installation von Solarsystemen verfügen. Bei diesen Anbietern kann es sich je nach individuellem Bedarf um lokale oder globale Anbieter handeln. In vielen Fällen hat es sich jedoch gezeigt, dass die Einbindung lokaler Partner, die die rechtlichen und betrieblichen Bedingungen kennen, sehr wichtig ist. Der nächste Schritt ist die Installation des Systems zur Gewinnung der in Aussicht gestellten Energie, was vergleichsweise einfach und risikoarm ist.
Welche finanziellen Vorteile bietet Solarenergie?
Voet: Solarenergie bietet eine sehr attraktive Rendite über die gesamte Lebensdauer eines Systems. Viele unserer langjährigen Kunden haben damit Millionen gespart. Allerdings müssen die Unternehmen den Großteil der Kosten als Investitionsausgaben (CAPEX) im Voraus tragen.
Wie sieht es eigentlich mit dem Thema Sicherheit aus?
Voet: Bei Chemie-, Öl- und Gas- sowie Automobilunternehmen spielen die Themen Sicherheit und Risiko natürlich eine große Rolle. Bedenken kommen insbesondere von Risiko- und Sicherheitsbeauftragten, Gebäudemanagern und Eigentümern, Gemeinderäten und Feuerwehrwachen sowie den Versicherungsmanagern der Unternehmen. Gerade der Versicherungsaspekt umfasst ein breites Spektrum, da er die Gebäudeversicherung, die Versicherung der Solaranlage, die Betriebsversicherung und die allgemeine Haftpflicht umfasst.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Solarenergie und der steigenden Zahl von Installationen sind auch die Sicherheitsauflagen strenger geworden. Diese Sicherheitsnormen schreiben häufig vor, dass der Wechselrichter, im Falle von Wartungsarbeiten auf dem Dach oder in Notfällen, in der Lage sein muss, den von den Solarmodulen erzeugten DC-Strom innerhalb einer bestimmten Zeit auf eine berührungssichere Spannung zu reduzieren.
Wie räumen Sie Bedenken aus?
Voet: Mit Zeit und den richtigen Experten, die über datengestützte Erfahrungswerte verfügen und eine angemessene Sorgfaltspflicht aufweisen. SolarEdge arbeitet hierfür mit Marsh LLC zusammen, einem global tätigen Experten für Risikomanagement und Versicherungen. Unsere Partnerschaft mit einem so hoch angesehenen Unternehmen sowie dessen langjähriger Erfolgsbilanz gibt Unternehmen, die eine Solaranlage in Erwägung ziehen, die entsprechende Sicherheit.
Wie ist die Resonanz bei Ihren Kunden?
Voet: Sobald die erste PV-Anlage erfolgreich installiert ist, stellen wir fest, dass die Unternehmen schnell zum nächsten Projekt übergehen, oft begleitet von der Frage: „Warum haben wir das nicht früher gemacht?“ Der Abschluss eines jeden erfolgreichen Solarprojekts wird zum Vorbild für das nächste, auch wenn möglicherweise Anpassungen vorgenommen werden müssen. In einigen Ländern kann überschüssige Solarenergie zum Beispiel nicht in das Versorgungsnetz eingespeist werden. Wir können jedoch bei der Implementierung von Energiespeichersystemen helfen, damit überschüssige Energie gesteuert und genutzt werden kann. Ziel ist hierbei, die Abhängigkeit vom Versorgungsnetz weiter zu verringern.
Ist die Solarenergie also ein Übergang in eine bessere Zukunft?
Voet: Die jährlichen Klimakonferenzen zeigen uns bedauerlicherweise jedes Jahr auf, dass die Transformation schneller vonstattengehen muss als bislang. Für die Schwerindustrie erfordert die Umstellung auf Solarenergie ein Umdenken auf vielen Ebenen. Sie erfordert zum Beispiel eine stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen und Zuständigkeiten. Außerdem müssen sich alle Beteiligten davon verabschieden, lediglich initialen Investitionskosten in ihrer Risikobewertung zu berücksichtigen. Schließlich geht es um so viel mehr, allen voran der Zukunftssicherung des Unternehmens. Dass dies so ist, hat sich zuletzt während der Gaskrise im letzten Winter gezeigt. Ich habe mit vielen Unternehmen gesprochen, die Solarenergie inzwischen als wertvolles Asset betrachten, das nicht nur zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens beiträgt, sondern auch zu einer Einnahmequelle geworden ist. Wenn sich nur dieses Bewusstsein stärker durchsetzt, ist schon viel erreicht. (br)
SolarEdge, München