Nachhaltigkeit prägt das Wirtschaften der Gegenwart und Zukunft. Die Belange von Umwelt, Ökonomie und Gesellschaft gleichmäßig und ausgewogen zu berücksichtigen, ist eine der größten unternehmerischen Herausforderungen unserer Zeit. Exemplarisch lässt sich das am Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) zeigen: Vom 1. Januar 2023 an müssen Betriebe ab 3000 Arbeitsplätzen auf dessen Grundlage nachweisen, dass sie entweder bereits über nachhaltige Lieferketten verfügen oder sich damit verbundenen Risiken in ihren Prozessen bewusst sind und sie aktiv managen. Erhebungen des zuständigen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz besagen, dass aktuell rund 700 Firmen dieser gesetzlichen Pflicht nachkommen müssen. Schon im nächsten Jahr wird sich diese Zahl mehr als vervierfachen: Dann gilt das LkSG für Betriebe mit mindestens 1000 Beschäftigten. Anspruchsvoll ist vor allem der Blick auf Lieferanten und die Frage, inwieweit sie mit Nachhaltigkeitsrisiken in Verbindung stehen. Indirekt liegt die Zahl der vom Gesetz betroffenen Unternehmen also noch deutlich höher, denn es ist mehr als naheliegend, dass auch von Zulieferern gefordert wird, dass sie ihre Regelwerkskonformität nachweisen.
Reputation wichtiger Treiber
Neben gesetzlichen Vorschriften und der intrinsischen Motivation vieler Unternehmen ist die Reputation bzw. ein möglicher Reputationsschaden ein wichtiger Treiber von Nachhaltigkeit für deutsche Unternehmen. Eine gute Reputation hat unmittelbare Auswirkungen auf Kundenbeziehungen und die Nachfrage, denn heutzutage möchte kaum ein Kunde mehr Produkte kaufen oder nutzen, die mit Menschenrechtsverletzungen, mit maßlosen Umwelteingriffen oder hochgradig ineffizientem Energie- und Ressourceneinsatz produziert werden. Um diese und weitere Kriterien zu überprüfen, bilden die Ziele der United Nations für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz: UN SDG) eine gute Grundlage.
Energieintensive Betriebe sind im Fokus
Derzeit besonders im Fokus stehen Unternehmen der Baustoffbranche. Die Fertigung von Zement zum Beispiel ist gekennzeichnet durch einen besonders hohen Rohstoff- und Energieverbrauch. Gleichzeitig existieren hohe Ansprüche von Bauherren an die Nachhaltigkeit von Gebäuden, die schon bei der Herstellung und Anlieferung des Materials beginnt.
Der Energieeinsatz für die Zementherstellung ist immens: Insbesondere die Drehöfen für die Herstellung des Zementklinkers sind wahre Energiefresser. Man rechnet im Mittel mit 4 MJ/kg Energieeinsatz. Untersuchungen haben gezeigt, dass in der Branche große Schwankungen hinsichtlich des Energiebedarfs auftreten. Die Wahl des Brennstoffs, moderne, energieeffiziente Öfen, die sinnvolle Nutzung der Abwärme, etc. sind einige Maßnahmen, mit denen der Energiebedarf signifikant gesenkt werden kann. Bereits wenige Prozentpunkte Effizienzsteigerung bewirken in der Gesamtheit riesige Einsparungen. Ein Zahlenbeispiel: In Deutschland wurden im Jahr 2021 35 Mio. t Zement produziert. Eine Reduktion des Energiebedarfs um 10 % würde kumuliert eine Energieersparnis von ca. 3,9 TWh bedeuten. So viel wie ca. 250 moderne Windkraftanlagen in einem Jahr produzieren. Die Kenntnis, ob man als Unternehmen unterhalb oder oberhalb des Branchendurchschnitts liegt, befähigt dazu, geeignete Untersuchungen zur Ursache anzustellen und Maßnahmen zur Verbesserung zu initiieren.
Ist-Analyse und Nachhaltigkeitsbewertung
Mit Blick auf die Nachhaltigkeit effizienter zu werden, ist aber nicht nur energieintensiven Betrieben vorbehalten. In praktisch jedem Betrieb bis hin zum einfachen Bürogebäude mit nicht mehr als einer technischen Grundausstattung lässt sich z. B. Strom sparen. Je genauer es gelingt, den Verbrauch nach einzelnen Verbrauchsstellen aufzuschlüsseln, desto präziser können Planungen für eine bedarfsorientierte Steuerung von Anlagen sein. Welche Geräte permanent eingeschaltet sein müssen, welche in Bereitschaft bleiben und welche zwischendurch komplett ausgeschaltet werden können – dafür liefern intelligente Stromzähler erste wichtige Impulse. Auch im Laborbetrieb lässt sich auf diese Weise viel Energie einsparen.
Die Nachhaltigkeitsbewertungen von TÜV Süd zeichnen sich durch ein methodisch identisches und empirisch fundiertes Vorgehen aus. Am Anfang ermitteln die Expertenteams des Industriedienstleisters die Ausgangslage. Dazu wenden sie ihren auf den SDG aufbauenden Kriterienkatalog an, der je nach Branchenzugehörigkeit des betrachteten Unternehmens verschieden aussehen kann. Dies dient zum einen dazu, die wichtigsten Kernprozesse mit Nachhaltigkeitsbezug zu identifizieren. Zum anderen erleichtert es den Vergleich innerhalb einer Branche, der für viele Unternehmen einen zusätzlichen Handlungsanreiz darstellt. Denn Benchmark in Sachen Nachhaltigkeit zu sein, ist unter Marktteilnehmern, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in diese Position kommen können, sehr beliebt. Ebenso möchte kein Unternehmen als Schlusslicht einer Branche in Bezug auf eine ganzheitliche Produktion gebrandmarkt werden.
Umsetzung des Sustainability Assessments
Wie intensiv ein Unternehmen die Verbesserungsvorschläge aufgreift, die Teil jedes Sustainability Assessments sind, ist nicht zuletzt aber auch eine bewusste und strategische Entscheidung des Managements. Hierbei reichen die Optionen vom gesetzlich vorgeschriebenen Minimum bis zur Nutzung aller verfügbaren Stellhebel, um hinsichtlich Nachhaltigkeit im Branchenvergleich möglichst weit vorne zu rangieren. Die spezifischen Kundenerwartungen an das Unternehmen und seine Rolle als Lieferant in anderen Wertschöpfungsketten, die ein definiertes Nachhaltigkeitsniveau erfordern, fließen in diese Entscheidungen mit ein. Bei Unternehmen, die am Kapitalmarkt aktiv und beispielsweise in einem der größeren Aktienindizes notiert sind, ist die sich konsequent wachsende Neigung internationaler Investoren, ihre Investitionen an regelmäßig aktualisierten Nachhaltigkeitsratings auszurichten, ein weiteres Kriterium.
Die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (UN SDG) bieten eine gute Basis, um Kriterien für die Beurteilung verschiedenster Branchen daraus abzuleiten. Den 17 Zielen sind nicht weniger als 1533 Geschäftsindikatoren zugeordnet, mit denen die Einhaltung dieser Ziele konkretisiert und beurteilt werden kann. Manche Indikatoren sind recht einfach zu messen, beispielsweise die Bedeutung regenerativer Energien für die Wertschöpfung in der Produktion. Andere, wie etwa Arbeits- und Sozialstandards, lassen sich dagegen nicht bis auf mehrere Nachkommastellen erheben, sondern vielfach nur indirekt. Verarbeitet ein Unternehmen zum Beispiel Konfliktmineralien wie Kobalt, Zinn oder Gold, ist die Wahrscheinlichkeit, dass schlechte Arbeitsbedingungen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen in den Abbauländern vorliegen, deutlich höher als etwa in der Holzverarbeitung. Betroffene Unternehmen müssen dann viel mehr Aufwand betreiben und sich die Lieferketten genauer ansehen.
Anwendung in der Batterieproduktion
Konfliktmineralien waren auch ein Thema bei einem Batterieproduzenten, dessen Nachhaltigkeitsstatus TÜV Süd vor einiger Zeit untersucht hat. Für die Batterien, die in Elektroautos verbaut werden, wird Kobalt benötigt, das hauptsächlich im Kongo gewonnen wird. Die Arbeits- und Sozialstandards dort sind künftig durch europäische Batteriehersteller im Rahmen der sog. Sorgfaltspflicht in der Lieferkette zu beleuchten. Die neue EU-Batterieverordnung hat dies erstmalig für ein spezifisches Produkt verpflichtend gemacht. Weitere Produktgruppen (z. B. Verpackungsverordnung, etc.) werden folgen.
Auch Energie war ein wichtiger Punkt, den es im Zuge des Assessments zu evaluieren galt. Hierzu lautete die Empfehlung, den Anteil fossiler Energie zu reduzieren und die Energieeffizienz in der Produktion zu steigern. Was mit den Batterien am Ende ihres Lebenszyklus geschieht, betrachtete das TÜV-Süd-Team ebenfalls. Denn auch Entsorgung gehört zum ökologischen Fußabdruck eines Produkts oder einer Dienstleistung. So konnte sich der Batteriehersteller, der ab 2024 voraussichtlich im Geltungsbereich des LkSG liegen wird, über konkrete Handlungsempfehlungen freuen, die eigene Produktion und auch die Lieferketten schon heute nachhaltiger zu gestalten.
TÜV SÜD Industrie Service GmbH, München
Autor: Yalcin Ölmez
Abteilungsleiter Business Development Sustainability and Investmentprojects,
TÜV Süd Industrieservice
Kurz erklärt: Was ist Sustainability Assessment?
Das Sustainability Assessment oder auch die Nachhaltigkeitsbewertung bewertet Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungsketten bezüglich ihres nachhaltigen Wirtschaftens. Die Herausforderung liegt für Unternehmen darin, Nachhaltigkeit in all ihren Facetten (soziale, ökonomische und ökologische Aspekte) zu messen und zu quantifizieren. TÜV SÜD hat auf Basis der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen konkrete Kriterien und Indikatoren definiert. Jedes Ziel ist ausdefiniert (17 SDGs; 126 Unterziele; 1533 Indikatoren), wodurch Nachhaltigkeit messbar wird. Die SDGs sind weltweit anerkannt und bieten höchste Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit. Wie läuft die Nachhaltigkeitsbewertung ab?
- Gewichtung: Die SDGs werden in Abhängigkeit von der betrachteten Branche, der Region und des Geschäftsmodells des Kunden (Definition der Systemgrenzen) gewichtet.
- Unterziele/Indikatoren/Nachweise: Den Indikatoren werden Nachweisinformationen (Dokumente, Fakten, etc.) zugewiesen.
- Bewertung: Anhand der Informationen lässt sich die Erfüllung der Indikatoren, der Unterziele und schließlich der SDGs berechnen (Bottom-up-Ansatz)
- Maßnahmenplan: Der Nachhaltigkeitsbericht enhält neben den Ergebnissen der Nachhaltigkeitsbewertung auch Verbesserungspotenziale.