Selbstfahrende Gabelstapler ohne induktive oder mechanische Zwangsführung geben der Flurfördertechnik neue Impulse. Fahrzeuge, die per Laser navigieren, Hindernisse erkennen und umfahren und in der Lage sind, Paletten eigenständig zu erkennen und zu bewegen, eröffnen interessante Möglichkeiten bei der Verkettung von förder- und lagertechnischen Modulen. Dies zeigt der Einsatz eines fahrerlosen Transportsystems im Service Center für Zuckersortenherstellung und -verpackung der Nordzucker AG, Uelzen.
Johan Blom
Das neue Nordzucker Service Center ging im September 1999 in der Zuckerfabrik Uelzen in Betrieb. In dem Service Center befinden sich u.a. folgende Maschinen und Anlagen:
• drei Plansiebmaschinen mit einer Stundenleistung von 90 t
• 20 Stahlsilos als Sortenbunker mit einem Fassungsvermögen von insgesamt fast 3000 t
• zwei Würfelzuckermaschinen
• zwei Pudermühlen sowie
• eine Gelierzuckeranlage.
„Wir erzielen pro Jahr aus ca. 1,4 bis 1,6 Mio. t Zuckerrüben etwa 200 000 bis 250 000 t Weißzucker, der dann auf den verschiedenen Anlagen im Service Center zu Raffinade oder Spezialprodukten wie Einmach-, Tee-, Würfel-, Puder- oder Gelierzucker weiterverarbeitet wird“, erläutert Dr. Thomas Mörle-Heynisch von Nordzucker. Nicht nur bei den Zuckerqualitäten, sondern auch hinsichtlich der kundengerechten Verpackung ist Flexibilität gefragt: Neben der Möglichkeit der Loseverladung stellen zwei Maschinen für Fertigverpackungen sowie drei Absackmaschinen nahezu jede gewünschte Füllmenge zwischen 250 g und mehreren Tonnen bereit. „Insgesamt“, so Mörle-Heynisch, „kommen wir unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kristallgrößenverteilungen, Verpackungen und Anwendungszwecke auf nahezu 100 Varianten des Produktes Zucker, die wir unseren Abnehmern schnell und flexibel bereitstellen müssen.“ Aus diesem Grund wurden auch die Palettieranlage und Lagertechnik entsprechend leistungsfähig ausgelegt. Fünf vollautomatische Roboter palettieren Sammel- und Einzelpakete, Trays und Sackware. Ein fahrerloses Transportsystem (FTS) mit fünf Fahrzeugen (FTF) übernimmt den Transport der Paletten vom Auslauf der Palettieranlage zu dem als Blocklager konzipierten Bereitstellungsplatz im Fertigwarenlager. Pro Stunde kann es bis zu 70 Fertigpaletten transportieren. Darüber hinaus versorgt es – aus einem räumlich benachbarten Blocklager heraus – den automatischen Palettenspeicher mit gestapelten Leerpaletten.
Safety Pilot übernimmt Navigation und Fahrwegüberwachung
Jedes der fünf Fahrzeuge ist mit Safety Pilot ausgerüstet. Das System besteht aus dem Sicherheits-Laserscanner PLS und dem dazugehörigen Funktionsbaustein LSI (Laser Scanner Interface) sowie dem Navigationssystem Lazerway. Das Sicherheitssystem PLS/LSI ist eine berührungslos wirkende Schutzeinrichtung gemäß Typ 3 für Personenschutz nach EN 61496, die in Fahrtrichtung des fahrerlosen Transportfahrzeuges liegende Hallenbereiche mit Laser aktiv abtastet, die programmierten Warn- und Schutzfelder überwacht sowie Gegenstände oder Personen in diesen zuverlässig erkennt. In einem solchen Fall wird das Fahrzeug gestoppt oder seine Geschwindigkeit reduziert. Das LSI führt – abhängig von der Position, Geschwindigkeit und Beladung des FTF – die funktionsgerechte Umschaltung der unsichtbaren Bumper durch. Dies ermöglicht die sichere Umfahrung von ortsfesten Hindernissen wie Säulen, Wänden oder von anderen Objekten. Wo sich das Fahrzeug gerade befindet und welche Fahrwege es zu nehmen hat, erkennt bzw. entscheidet das Lasernavigationssystem Lazerway. Es sendet im 360°-Winkel einen Laserimpuls aus, der von Reflektoren zurückgeworfen, vom Gerät erfasst und als Ortsangabe ausgegeben wird. Diese Daten nutzt die Fahrzeugsteuerung zur Navigation. Ferner dienen sie zum Teil im LSI der streckenabhängigen Umschaltung der Schutz- und Warnfelder.
„Safety Pilot war für uns die richtige Technologie zum richtigen Zeitpunkt“, blickt Mörle-Heynisch zurück. „Unter Beachtung der dynamisch sich ändernden Kundenwünsche wollten wir hinsichtlich der Prozesse im Service Center so flexibel wie möglich bleiben. Stationäre Fördertechnik hätte Lauf- und Fahrwege blockiert und wäre nur aufwendig anpassbar gewesen. Ebenso wenig wollten wir Belegtmelder oder Fahrdrähte in den Hallenboden einbringen oder Stellfläche durch überbreite, einer mechanischen Sicherheitstechnik angepasste, Fahrwege verlieren.“
Durch die lasergestützte Navigation und Bereichsüberwachung können die FTF im Gegen- und Kolonnenverkehr betrieben werden, enge Kurvenradien befahren und ihre Geschwindigkeit last- und streckenabhängig optimieren. Hinzu kommt ein hohes Maß an Flexibilität bei Änderungen des Fahrkurses: Neue Fahrziele oder Ausweichrouten können per Software programmiert werden und ziehen keinen mechanischen Anpassungs- oder Installationsaufwand nach sich. Highlight der Anlage ist jedoch, dass die Fahrzeuge in der Lage sind, ohne zusätzliche Hilfsmittel alleine durch Lasernavigation und -Bereichsüberwachung auf dem Boden abgestellte Paletten zu erkennen und folgende Fragen eigenständig zu entscheiden:
• Ist noch Platz in der Gasse für die Einlagerung einer weiteren Palette?
• Muss die nächste Gasse angefahren und aufgefüllt werden?
• Wie muss das FTF feinpositioniert werden, um eine abgestellte Palette oder einen Palettenstapel sicher aufzunehmen?
Ohne optische Referenzmarken oder Belegtmelder im Boden
Die Funktion „Paletten finden“ nutzt die Informationen von Safety Pilot und kommt ohne optische Referenzmarken, Belegtmelder oder Datenträger im Boden aus. Nachdem ein FTF per Funk den Auftrag erhalten hat, eine Palette am Auslauf der Palettierstation abzuholen, nimmt es diese auf und transportiert sie durch die Halle und eine mehrere Meter lange Durchfahrt in Richtung Fertigwarenlager. Durch die Daten der Lasernavigation kennt das Fahrzeug seine exakte Position. Wird der Beginn des Blocklagers erreicht, aktiviert die Fahrzeugsteuerung die Funktion „Palette finden“. Hierzu öffnet die Steuerung des Laserscanners ein Überwachungsfenster: Das Gerät blickt nach links und erkennt, ob und in welcher Entfernung sich eine Palette befindet. Ist eine festgelegte Mindestentfernung noch nicht erreicht, kann die Palette eingelagert werden. Dabei fährt das FTF rückwärts bis auf wenige Zentimeter an die zuletzt abgestellte Palette heran. Eine Lichtschranke in den Gabelenden gibt dann das Signal zum Absetzen der Last. Erkennt das Fahrzeug, dass die Gasse bereits belegt ist, wiederholt sich das Prüfen und Lastabsetzen an der nächsten Gasse.
Das FTS entscheidet situativ, wo eine Palette abgestellt wird – eine Funktion, die sonst durch die Leitebene, beispielsweise durch ein Lagerverwaltungssystem, wahrgenommen wird. Belegtmelder, die dieser Ebene melden, ob ein Stellplatz frei ist oder nicht, werden nicht benötigt. „Auf diese Weise sind wir in der Lagerplatznutzung sehr flexibel. Wir können den Ort des Blocklagers jederzeit ändern, ihm Gassen hinzufügen oder wegnehmen und die Gassentiefe variieren“, erläutert Mörle-Heynisch die Vorteile, die sich durch Safety Pilot und die Paletten-finden-Funktion im Betrieb ergeben.
Versorgung mit Leerpaletten
Die zweite Transportfunktion des FTS ist die Versorgung des Palettenspeichers vor den Palettierrobotern mit Leerpalettenstapeln. Hierzu überträgt die Anlagensteuerung dem nächst verfügbaren Fahrzeug per Funk einen entsprechenden Transportauftrag. Vor der Leerpaletten-Blockgasse prüft das FTF, ob und in welcher Entfernung sich ein Palettenstapel befindet, nimmt diesen auf und fährt ihn zum Palettenmagazin. Danach ist es für andere Transportaufträge wieder frei.
Paletten finden, identifizieren und positionieren
Die implementierte Lösung zum Finden von Paletten arbeitet präzise und zuverlässig. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Abstellens der Paletten. Für das Abholen der Leerpalettenstapel gilt als vom Betreiber einzuhaltende Randbedingung, dass die Stapel von den Gabelstaplerfahrern innerhalb bestimmter Toleranzen abgesetzt werden müssen, damit das FTF sie aufnehmen kann. Überall dort, wo dies nicht erfüllt werden kann oder eine Vielzahl unterschiedlicher Paletten und anderer Ladungshilfsmittel zum Einsatz kommen, bietet der Pallet Finder erweiterte Möglichkeiten zur Identifizierung und Drehlagenbestimmung der Paletten und hieraus abgeleitet zur Steuerung des Positionier-, Andock- und Aufnahmeprozesses des Fahrzeuges. Hierzu blickt ein zusätzliches Lasermessgerät LMS in Höhe der Gabel in Richtung einer georteten Palette und nimmt deren Erscheinungsbild, d.h. Anzahl, Größe und Lage von Stegen und Druchbrüchen, auf. Dieses Bild vergleicht das LMS mit gespeicherten Vorlagen unterschiedlicher Palettentypen in unterschiedlichen Drehlagen und erkennt so, welche Palette sich in welcher Position in welchem Abstand zum FTF befindet. Hieraus generiert es Steuerungsdaten, die ein präzises Heranfahren an die Palette und sicheres Aufnehmen ermöglichen.
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