Herr Dr. Richter, Sie sind seit Januar 2023 geschäftsführender Direktor (CSO) bei Multivac. Welches sind Ihre wichtigsten Aufgaben?
Hohe Ableitfähigkeit, sehr gute Fließfähigkeit, niedrige Viskosität – und jetzt mit FDA-Zulassung: RAMPF Advanced Polymers hat sein leistungsstarkes...
Dr. Tobias Richter: Seit Januar 2023 hat Multivac erstmals eine Viererspitze: Gemeinsam mit meinen Geschäftsführungskollegen Bernd Höpner (CTO), Dr. Christian Lau (COO) und Christian Traumann (CEO) ist unser vorrangiges Ziel, die Rolle von Multivac als Lösungsanbieter weiter auszubauen. In diesem Selbstverständnis wollen wir unseren Kunden nicht nur Maschinen liefern. Sondern ihnen langfristig als Partner zur Seite stehen – von der Konzeption individueller Linien für das Verarbeiten und Verpacken von Lebensmitteln, Medizin- und Pharmaprodukten, über die Inbetriebnahme der Anlagen bis hin zum Service im Alltag. Dabei sollen Kunden besonders von unserer Linienkompetenz und unserem Know-how rund um die Megathemen Digitalisierung, IoT und Nachhaltigkeit profitieren. Das erfordert weltweit Nähe zum Kunden und einen intensiven Austausch. Gleichzeitig ein Verständnis für die jeweilige Kultur und die regionalen Besonderheiten der Märkte. Deswegen bauen wir unser globales Netz von Innovationszentren sukzessive weiter aus – ob in Japan oder Indien. Kompetenzzentren, in denen Vertriebsmitarbeiter aus der Region mit ihren Kunden zusammenkommen, gemeinsam Anwendungstests durchführen, Anlagen konzipieren und Mitarbeiter und Service-Techniker schulen. Den Ausbau dieses kundennahen Vertriebs sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben.
One-stop-Shopping statt reiner Maschinenlieferant. Können Sie ausführen, welche Vorteile sich für Ihre Kunden genau ergeben?
Dr. Tobias Richter: In einem Wort: Produktivität. Denn Zeit und personelle Ressourcen stellen vor dem Hintergrund eines wachsenden Fachkräftemangels immer mehr Betriebe vor Herausforderungen. Es wird zunehmend unwirtschaftlicher, mit verschiedenen Herstellern im Austausch zu stehen, um komplexe Linien zu konzipieren, zu installieren und zu betreiben. Die Reibungsverluste sind schlichtweg zu groß: nicht optimal aufeinander abgestimmte Aggregate, Zeitverzögerungen, oftmals aufwendige Ursachensuche bei technischen Problemen, die in teuren, weil zu langen Standzeiten resultieren. Nachteile, die mit Linienlösungen aus einer Hand ein Ende haben. Alle Maschinen aus unserem Portfolio rund um das Portionieren, Slicen, Verpacken, Etikettieren und Kontrollieren haben aufeinander abgestimmte Schnittstellen und ein einheitliches, intuitives Bedienkonzept in 32 Sprachen. In unseren Training-and-Application-Centern (TAC) können wir den Feinschliff vornehmen, Konfigurationen an Kundenbedürfnisse anpassen und neue Verpackungskonzepte testen. Das spart Zeit und sichert unseren Kunden zu, dass die Multivac-Lösung nach der Inbetriebnahme die gewünschten Ergebnisse liefert. Zudem können die Anlagen mit Sensoren ausgestattet werden und lassen sich an die gesicherte Cloud von Multivac anbinden. Dort arbeiten intelligente Algorithmen als Bestandteil von Tools und Apps, welche die Produktion in Echtzeit überwachen und optimieren sowie wertvolle Information zur präventiven Instandhaltung liefern. Im Fehlerfall ist zudem ein schneller Remote-Zugriff aus der Ferne möglich. Der Vorteil liegt auf der Hand: Unsere Kunden können ihre Anlagen ohne tiefes Fachwissen bei reduziertem Ressourceneinsatz nahe am maximalen Produktivitätspunkt betreiben und intuitiv bedienen. Abgerundet wird das Angebot durch passende Verpackungsmaterialien, die auf die jeweiligen Anwendungen abgestimmt sind. Das sichert über die gesamte Lebensdauer der Multivac-Lösung bestmögliche Produktivität und optimalen Output.
Fachkräftemangel, Inflation, explodierende Energiekosten: Wie machen sich diese Krisen bei Ihren Kunden aus der Lebensmittelbranche bemerkbar?
Dr. Tobias Richter: Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben bei einigen unserer Kunden, insbesondere in Europa, für Verunsicherung gesorgt. Aktuell besorgniserregend ist die hohe Inflation. Sie verändert das Verbraucherverhalten. Wir beobachten im Lebensmittelbereich derzeit einen leichten Trend zu klassischen, preisgünstigeren Convenience-Produkten – weg von hochklassig verpackten Bio-Produkten. Ein Phänomen, das sich zwar schnell wieder zurückdrehen kann, aber für Irritation sorgt. Manche Lebensmittelhersteller zögern Investitionsentscheidungen für neue Verarbeitungs- und Verpackungsanlagen heraus, weil sie schlichtweg nicht wissen, wie sich der Markt entwickelt. In dieser Phase ist Multivac als Partner und Berater gefragt. Um unsere Kunden zu unterstützen, entwickeln wir beispielsweise Mietmodelle nach dem Prinzip Equipment-as-a-Service. Außerdem beobachten wir natürlich kontinuierlich Märkte und Trends und stehen unseren Kunden beratend zur Seite. Etwa, wenn es darum geht, bei neuen Verpackungskonzepten die ideale Balance zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu finden. Doch nicht nur das Verbraucherverhalten treibt Unternehmen um. Immer kritischer wird auch der Fachkräftemangel. Vielen Betrieben fehlen Mitarbeiter. Hier unterstützt der hohe Automationsgrad unserer Maschinen. Wo wenig Personal zur Verfügung steht, können Prozesse, auch bei vielen Bestandsanlagen, automatisiert werden und so das Personal entlasten. Ebenso wichtig: eine leichte Bedienbarkeit.
Welche Lösungen bietet Multivac dafür an?
Dr. Tobias Richter: Mit unseren Bedienkonzepten wie der Multivac Line Control (MLC) ist es möglich, dass nur ein Mitarbeiter komplexe Verarbeitungs- und Verpackungslinien über ein zentrales Touchscreen-Terminal steuert und wichtige Produktionsparameter quasi an jedem Punkt der Linie einsehen kann, um Stillstände zu vermeiden. Zudem unterstützen unsere digitalen Lösungen wie der Pack Pilot oder der Task Manager auch ungelernte Anwender bei der sicheren Bedienung der Anlagen, wodurch beispielsweise Stillstandszeiten, die durch Rezept- oder Formatwechsel verursacht werden, auf ein notwendiges Minimum reduziert werden können.
Die Lebensmittelbranche zählt zu Ihren Schlüsselmärkten. Welche Trends beobachten Sie derzeit?
Dr. Tobias Richter: Ein wichtiger Wachstumsmarkt sind sogenannte alternative Proteine. Also etwa Joghurt aus Cashewmilch, vegane Currywurst aus Erbsen oder neue vegane Käsealternativen. Solche Produkte, die ohne tierische Proteine auskommen, bahnen sich ihren Weg aus dem Nischendasein in den Mainstream. Auf dem Markt gibt es immer mehr innovative Start-ups. Die Konkurrenz wird größer. Dank finanzstarker Investoren sind die jungen Unternehmen meist finanziell gut aufgestellt, viele Betriebe haben jedoch wenig Know-how in Bezug auf die Verarbeitung und die Verpackung von Lebensmitteln für optimale Haltbarkeit und Sicherheit. Hier kommen wir als Berater ins Spiel. Wir beschäftigen uns schon seit Jahren mit vegetarischen und veganen Ersatzprodukten. Mit über 100 realisierten Projekten zählen wir zu den führenden Experten der Branche. Wir sind dabei stets darum bemüht, Hersteller alternativer Proteine als Lösungsanbieter zu begleiten – von der ersten Produktidee und kostengünstigen Stand-alone-Geräten für das Schneiden, Verpacken, Etikettieren und Kontrollieren von Produkten bis hin zu vollautomatisierten Linien. Linien aus einer Hand, die digitalisiert und vernetzt sind. Und es dadurch möglich machen, so produktiv, ressourcenschonend und mit so wenig Give-away wie möglich zu arbeiten. Auch das ist wichtig für die Ökobilanz alternativer Proteine. Gleichzeitig ist unser Blick in die Zukunft gerichtet. Wir investieren viel in Forschung und Entwicklung, um den Markt der alternativen Proteine aktiv mitgestalten zu können.
Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit für Multivac und seine Kunden?
Dr. Tobias Richter: Jeden Tag kommen weltweit Milliarden Menschen mit Produkten in Kontakt, die mit Lösungen von Multivac verarbeitet und verpackt wurden. Eine Reichweite, mit der soziale Verantwortung einhergeht. Wir müssen negative ökologische Auswirkungen eliminieren, um zum Erhalt einer lebenswerten Umwelt für zukünftige Generationen beizutragen. Dabei verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Wir entwickeln Maschinen, die überdurchschnittlich langlebig sind und sparsam mit Energie, Druckluft und Kühlwasser umgehen. Anlagen, mit denen sich Produkte immer effizienter und sicherer verarbeiten und verpacken lassen, bei minimalem Give-away und maximaler Haltbarkeit. Dabei ist im Laufe der Jahre immer deutlicher geworden: Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehen Hand in Hand.
Was bedeutet das konkret?
Dr. Tobias Richter: Dank Sensorik und IoT-Technologie arbeiten unsere Linien mittlerweile so effizient und sicher, dass in der Produktion immer weniger Give-away anfällt. Das hat direkte Auswirkung auf die CO2-Bilanz der Unternehmen. Deswegen starten wir auch kein Entwicklungsprojekt mehr, ohne die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gemeinsam in den Fokus zu nehmen. Mit Multivac Lösungen lassen sich neben Kunststoffverpackungen zwar auch faserbasierte Packstoffe wie Karton verarbeiten, allerdings unterstützt Multivac insbesondere den Übergang von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft. Mit neuartigen Verpackungen, die mit weniger Material auskommen und im besten Fall zudem recycelbar sind. Damit diese Transformation gelingt, müssen allerdings alle Beteiligten der Wertschöpfungskette an einem Strang ziehen. Nicht nur Verpackungsmaschinenhersteller, sondern auch Folienhersteller, Recyclingbetriebe und die Politik. Wir beteiligen uns deshalb an Initiativen wie R-Cycle, die darum bemüht sind, die Recyclingquote von Kunststoffen zu erhöhen. Nicht zuletzt setzen wir in unserem Unternehmen auf erneuerbare Energien und zahlreiche Maßnahmen, um unseren CO2-Footprint zu reduzieren. Dies belegt nun auch die Zertifizierung von Ecovadis, einer international anerkannten Ratingagentur für Nachhaltigkeitsbewertungen.
Die Corona-Restriktionen sind aufgehoben und Messen wie die Interpack starten 2023 wieder voll durch. Was waren Ihre Messehighlights?
Dr. Tobias Richter: Auf der Messe drehte sich alles um nachhaltige Verarbeitungs- und Verpackungslösungen sowie digitale Services, die dazu beitragen Produktionsprozesse effizient und ressourcenschonend zu gestalten. Auf erstmals vier unterschiedlichen Ausstellungsflächen haben wir das umfassende Portfolio unserer Unternehmensgruppe präsentiert, für unsere Kunden aus der Lebensmittelindustrie ebenso wie unsere Kunden aus der Medizin- und Pharmabranche. Zu den Höhepunkten zählte u. a. der Slicer SLX 2000, eine neue Aufschnittmaschine, die erstmals auf der interpack 2023 zu sehen war. Neben mehr Output auf kleinstem Platz, zahlt sie auch technologisch auf das Thema Nachhaltigkeit ein. Wurst, Schinken, Käse und vegane Produkte werden selbst bei wärmeren Produkttemperaturen optimal geslict, mit einem perfekten Schneidergebnis und minimalen Resten und Give-away. Für ein plastikfreies Slicen können Kunden das Spraysystem Multivac Sustainable Liquid Interleaver (SLI) statt der marktüblichen Trennfolie nutzen und so den Kunststoffverbrauch beim Verpacken weiter reduzieren. Auf der Messe wurde der neue Slicer im Zusammenspiel mit der Tiefziehverpackungsmaschine RX 4.0 präsentiert. Ein Linienkonzept, das sich durch hohe Leistung, verbesserte Packungsqualität, Prozesssicherheit, intuitive Bedienung und ebenso Zukunftssicherheit durch Digitalisierung auszeichnet. Wir haben auf der Interpack 2023 zudem kompakte Maschinen wie unsere neue Traysealer-Familie TX 6 ausgestellt, die Handwerksbetrieben mit kleinen und mittleren Chargen den Einstieg in das automatische Verpacken ermöglichen.
Multivac startete mit einem neuen Corporate Design ins Frühjahr 2023. Warum?
Dr. Tobias Richter: In den letzten Jahren ist unsere Unternehmensgruppe stetig gewachsen. Neue Unternehmensbereiche sind dazu gekommen. Zu den Unternehmen zählen beispielsweise Fritsch, spezialisiert auf Technologie für Bäckereien, und TVI, spezialisiert auf das Portionieren und Veredeln von Fleischprodukten. Die breite Fachkompetenz in den unterschiedlichsten Anwendungs- und Marktsegmenten unserer Kunden ist ein wichtiger Teil unseres heutigen Innovationspotenzials. Sie garantiert unseren Kunden eine hohe Beratungskompetenz. Das neue Corporate Design mit einem gemeinsamen Auftritt unter einer Dachmarke stellt dieses Alleinstellungsmerkmal stärker als bisher in den Vordergrund. Wir verbinden unsere Kompetenzen deutlich sichtbarer als Multivac Group. Unter dem Dach der Multivac-Gruppe, die die Nutzung von Synergien bietet, befindet sich also quasi eine agile Flotte kleinerer Einheiten mit starken Marken und fokussiertem Fach- und Anwendungswissen, die unsere Kunden wie ein einzelnes, großes Unternehmen wahrnehmen. Damit generieren Multivac-Lösungen für unsere Kunden weltweit einen echten Mehrwert, dem wir mit dem neuen Corporate Design Rechnung tragen wollen. Emotionaler und noch nahbarer für den Kunden.
Multivac Sepp Haggenmüller SE & Co. KG, Wolfertschwenden
Das Interview führte für Sie: Patrick Schroeder
Freier Redakteur