Wie groß das Kompetenzzentrum und wie ist es aufgebaut?
Manfred Achenbach: Der neue Gebäudekomplex umfasst 17 000 qm Nutzfläche. Er wurde als Anwendungszentrum für unseren Geschäftsbereich Slicing gebaut. Ebenso wird dort die Inbetriebnahme von automatisierten Verpackungslinien durchgeführt. Das Investitionsvolumen betrug rund 35 Mio. Euro. Die Produktionsfläche im Erdgeschoss des Gebäudes umfasst rund 7500 qm. Zudem sind im neuen Komplex ein Slicer-Anwendungszentrum, ein Empfang sowie ein Betriebsrestaurant untergebracht, das sich über zwei Etagen erstreckt. Außerdem entstanden 180 Büroarbeitsplätze im zweiten Obergeschoss sowie flexibel nutzbare Konferenz- und Veranstaltungsräume im dritten Obergeschoss.
Was genau bietet das Kompetenzzentrum Ihren Kunden?
Robert Wild: Im Anwendungszentrum, dem Training & Application Center (TAC), umfasst das Angebot im Bereich Slicing, analog zum bestehenden Training & Innovation Center (TIC), neben Bemusterungen und Maschinenvorführungen auch unterschiedliche Trainingsprogramme für unsere Slicer und Slicerlinien. Das Anwendungszentrum haben wir so konzipiert, dass unsere Kunden sich in einer Umgebung wiederfinden, die den realen Bedingungen ihrer eigenen Produktionsstätten entspricht. Sie können dort die komplette Prozesskette live erleben: Das Spektrum reicht von der Vorführung einzelner Slicer, also dem reinen Aufschneiden verschiedenster Produkte, über die Präsentation unterschiedlicher Beladelösungen bis hin zum eigentlichen Verpackungsprozess.
Der Maschinenpark des TAC ist State-of-the-Art. Skizzieren Sie bitte kurz die wichtigsten Highlights?
Wild: Im TAC befinden sich nahezu alle Lösungen aus dem Multivac-Portfolio, die in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz kommen. Wir können dort vollständige Linien von der Zuführung bis zum End-of-Line-Bereich präsentieren, die auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. So bekommen Interessenten live ein Gefühl für komplette Prozessketten, die später auch in ihrer Produktion vor Ort arbeiten.
Achenbach: Das Besondere ist, dass wir vor Ort die Produktionsbedingungen unserer Kunden simulieren. So haben wir z. B. Klimakammern und Weißräume gebaut, um die Produktionsverhältnisse unserer Kunden aus der Lebensmittelindustrie exakt nachstellen zu können. Dadurch können unsere Spezialisten Anlagen gezielt auf das vorbereiten, was sie im Produktionsalltag leisten und aushalten müssen, etwa eine bestimmte Temperatur oder Luftfeuchte. Nach einer solchen Simulation müssen wir nicht mehr schätzen, unter Einstellung welcher Parameter die Maschinen optimal arbeiten, sondern wissen es.
Das Anwendungszentrum bietet auch Räumlichkeiten für Veranstaltungen. Corona-bedingt wandelt sich derzeit das Veranstaltungs- und Messegeschehen. Virtuelle Messen sind das Messe-Erlebnis der Zukunft, ist schon zu hören. Teilen Sie diese Ansicht? Und hat sich Ihr Konzept damit nicht gerade überholt?
Achenbach: Nein, keineswegs. Denn die Corona-Pandemie wird vorübergehen. Unser Geschäft – und damit auch das TAC – sind auf Langfristigkeit ausgelegt. Zudem können virtuelle Messen und Veranstaltungen auf lange Sicht nicht die Face-to-Face-Kommunikation ersetzen. Viele Menschen wünschen sich bereits heute wieder Präsenzveranstaltungen, die Information, Kommunikation, Technik, etc. erlebbar machen. Wir bieten mit dem TAC alles unter einem Dach: Beratung, Information, Live-Vorführungen, Bemusterungen und Tests, Raum für individuelle Gespräche und Events.
Wild: Zudem nutzen wir das TAC nicht nur für Kundenkooperationen, sondern auch als Testumgebung für unsere eigene Forschung und Entwicklung. So steht zurzeit unter anderem das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit beim Verpacken weit oben auf der Agenda. Unsere Experten arbeiten daher an nachhaltigen Verpackungslösungen, etwa an Packungen, die weniger Kunststoff als herkömmliche Packungen benötigen. Bei einigen Produkten lässt sich inzwischen das Verpackungsmaterial um bis zu 90 % reduzieren, weil die Folien ganz dünn, aber trotzdem noch stabil sind, und die Stabilisierung des Produkts etwa durch Pappe erfolgt. Neben diesen Forschungsarbeiten finden im neuen Kompetenzzentrum nicht zuletzt Schulungen statt, sowohl für Kunden als auch für die rund 1000 Multivac-Techniker, die weltweit im Einsatz sind.
Das TAC verfügt auch über ein Gästerestaurant und eine Coffee-Lounge. Was hat Sie dazu bewogen, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen?
Achenbach: Unsere Erfahrungen von Messen etc. zeigen, dass Kunden mehr Kommunikation in zwangloser Atmosphäre wünschen. Zudem wollten wir ein ganzheitliches Erlebnis für unsere Kunden schaffen, wie es bereits in anderen Branchen, beispielsweise der Automobilbranche, üblich ist.
Wie entwickelte sich der Geschäftsbereich Slicing in den letzten Jahren? Und warum wurde ein solch komplexer Neubau für Multivac erforderlich?
Achenbach: Der Geschäftsbereich Slicing entwickelt sich sehr erfreulich. Als Systemanbieter bieten wir Interessenten mit dem neuen Kompetenzzentrum einen entscheidenden Mehrwert: Wir können ihnen unsere Maschinen und Lösungen nun live im Einsatz präsentieren und nicht nur auf dem Papier.
Wild: Wir führen kundenindividuelle Tests mit ihren Produkten durch und überprüfen Lösungen hinsichtlich Machbarkeit, Leistung, Give-away, Ausbeute und damit auch den Return-of-Invest. Am Ende steht dann beispielsweise eine Verpackungslinie, die Schinken in Scheiben schneidet, in eine Packung portioniert, wiegt und mit Folie versiegelt. Eine Linie, die sich von der Anfrage bis zur Inbetriebnahme in der Regel innerhalb von sechs bis neun Monaten realisieren lässt. Dank des TAC und der noch engeren Zusammenarbeit mit unseren Kunden wird es möglich, die Projektzeiten um bis zu 25 % zu verkürzen.
Was erwarten Sie für die kommenden Jahre im Bereich Automatisierung?
Wild: Im Hinblick auf Automatisierung stehen verschiedene Aspekte im Vordergrund. So schaffen übergeordnete Systeme wie die Multivac-Line-Control Übersicht und Datentransparenz und erlauben eine übergeordnete Steuerung selbst für komplexeste Verpackungslinien. Automatisierung als solche reduziert den hygienekritischen Faktor Mensch entlang des Prozesses. Systemlösungen aus einer Hand vermeiden Schnittstellen- und Anbindungsprobleme, wie sie sich bislang ergeben konnten.
Und was erwarten Sie im Bereich Slicing?
Achenbach: Die Slicerentwicklung wird auch zukünftig vom Anspruch an die Schnittqualität der zu verarbeitenden Produkte, vor allem auch der Produkte mit alternativen Proteinen, bestimmt werden. Jedoch gewinnen Sensorik, Zuverlässig- und Verfügbarkeit, Energieeinsparung in der Produktvorbereitung und die Einfachheit in der Bedienung der Slicer an Bedeutung. Denn sie haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Produktausbeute in Bezug auf Nachhaltigkeit. Insgesamt ein Paket an Aufgaben, die wir klar im Fokus haben, und nicht zuletzt in unserem TAC vorbereiten, testen und schließlich den Kunden vorstellen.
Wie nehmen Ihre Kunden das TAC und Ihr Leistungs-Portfolio an?
Achenbach: Bisher haben wir durchweg positive Resonanz von unseren Kunden erhalten. Zahlreiche Hersteller experimentieren derzeit mit neuartigen veganen Fleisch- und Käseersatzprodukten, deren Konsistenz neue Anforderungen besonders an die Slicer stellt. So war einer der ersten Besucher des neuen Kompetenzzentrums ein englischer Hersteller von veganem Bacon, ein Produkt, das sich nach der Extrusion in der Weiterverarbeitung vollkommen anders verhält als klassischer Schinken. Für dieses spezielle Produkt haben wir mit einzelnen Maschinen gearbeitet und schließlich gemeinsam mit dem Kunden eine Komplettlinie mit Slicer, Scanner, Kontrollwaage, automatischem Einleger und Tiefziehmaschine konfiguriert.
Wild: Seit Jahresbeginn waren schon einige Kunden persönlich oder virtuell im TAC zu Gast und haben unser Beratungsangebot genutzt. Aufgrund der aktuellen Lage finden viele Bemusterungen und Kundenvorführungen online statt. Auch hierfür ist das TAC bestens ausgerüstet, um unseren Kunden eine umfassende Onlineberatung bieten zu können. Auch unsere Veranstaltungsreihe Multivac Summit 2021 rund um das Verarbeiten und Verpacken von Lebensmitteln, die sowohl Präsenzveranstaltungen als auch virtuelle Konzepte umfasst, hat bereits in den neuen Räumen stattgefunden.
Multivac Sepp Haggemüller GmbH & Co. KG, Wolfertschwenden
Das Interview führte für Sie: Vera Sebastian
Fachjournalistin
„Wir simulieren vor Ort die Produktionsbedingungen unserer Kunden. So haben wir Klimakammern und Weißräume gebaut, um die Produktionsverhältnisse nachzustellen.“