Die Europäische Kommission will mit dem Green Deal eine europaweite Antwort auf wachsende klimatische und umweltbedingte Herausforderungen geben. Sie hat sich das Ziel gesetzt, die EU bis 2050 treibhausgasneutral zu machen. Im Rahmen der Energiewende soll auch Deutschlands Energieversorgung grundlegend umgestellt werden, weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz. Allein die chemisch-pharmazeutische Industrie verbraucht in Deutschland ein Fünftel der Energie der gesamten Industrie. Das sind rund 720 PJ. Hauptenergieträger sind dabei Erdgas und Strom gefolgt von Mineralölprodukten (Quelle: VCI). Darüber hinaus dienen Erdgas und Mineralölprodukte auch als Rohstoffe. Für eine treibhausgasneutrale Produktion gilt es also, sowohl die Stromversorgung als auch die Rohstoffbasis entsprechend umzustellen.
Neben Wind, Sonne und Biomasse mausert sich in diesem Zussammenhang Wasserstoff zum neuen Star. Wasserstoff kann als Rohstoff oder als Treibstoff in Brennstoffzellen zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Außerdem lässt sich mit ihm Energie leicht speichern und transportieren. Ein Vorteil: Der alternative Brennstoff ist auf unserem Planeten im Überfluss vorhanden. Allerdings ist die Gewinnung von reinem Wasserstoff sehr energieintensiv. Langfristig ist also nur sogenannter grüner Wasserstoff wirklich nachhaltig.
Farbenlehre für Wasserstoff
In der chemischen Industrie werden aktuell bereits mehr als eine 1 Mio. t Wasserstoff für die Produktion wichtiger Basischemikalien wie Ammoniak und Methanol benötigt. Der größte Teil hiervon, sogenannter grauer Wasserstoff, wird durch Erdgasreformierung gewonnen.
Grün, Blau, Grau oder Türkis – diese Farben fallen häufig im Zusammenhang mit Wasserstoff, aber was bedeuten sie eigentlich? Mit dem Zusatz grün darf sich nur mithilfe erneuerbarer Energien wie Wind oder Sonne durch Elekrolyse von Wasser CO2-frei erzeugter Wasserstoff schmücken. Er gilt als der sauberste Kandidat für das Erreichen der Treibhausgasneutralität. Sogenannter blauer Wasserstoff wird aus Kohlenwasserstoffen (vor allem aus Erdgas) hergestellt, wobei auch CO2 entsteht. Das CO2 wird abgefangen und unterirdisch gelagert. Blauer Wasserstoff gilt demnach zumindest als CO2-neutral.
Bei der Herstellung von grauem Wasserstoff wird das CO2 in die Atmosphäre abgegeben. Er wird aus fossilen Energiequellen wie Erdgas gewonnen, das mittels Dampfreformierung unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt wird. Bei der Produktion von 1 t Wasserstoff entstehen so rund 10 t CO2, die den Treibhauseffekt weiter antreiben. Langfristig ist diese Art der Wasserstoffgewinnung also zu vermeiden.
Türkiser Wasserstoff kann wiederum CO2-Neutralität erreichen. Er wird durch die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt. Anstelle von CO2 entsteht dabei neben Wasserstoff fester Kohlenstoff. Voraussetzungen für die CO2-Neutralität des Verfahrens sind die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energiequellen und eine dauerhafte Bindung des Kohlenstoffs, z. B. als Rohstoff in der Industrieproduktion.
Nationale Wasserstoffstrategie
Noch ist die Erzeugung von grünem Wasserstoff teuer und für die Umstellung vieler industrieller Produktionsprozesse auf wasserstoffbasierte Anlagen sind hohe Investitionen nötig. Die am 10. Juni 2020 verabschiedete Nationale Wasserstoffstrategie soll den Weg für Maßnahmen ebnen, die Deutschland unter anderem eine internationale Vorreiterrolle bei der Entwicklung und dem Export von Wasserstofftechnologien sichern. Die Strategie verspricht einen Mix aus Investitionsförderung, Betriebskostenentlastung, energiepolitischen Rahmenbedingungen und CO2-Bepreisung. Allein mit der innerdeutschen Produktion lässt sich der Bedarf an grünem Wasserstoff dennoch nicht decken. Deutschland wird einen erheblichen Teil des zukünftigen Bedarfs an grünem bzw. CO2-neutralem Wasserstoff importieren müssen. Dafür braucht es Energiepartnerschaften mit Lieferländern und Ländern, die potenzielle Absatzmärkte für deutsche Wasserstofftechnologien sind.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) trägt aktuell mit drei groß angelegten Wasserstoff-Leitprojekten zur Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie bei und stellt hierfür bis 2025 700 Mio. Euro aus dem Zukunftspaket der Bundesregierung bereit. Die drei Leitprojekte sind aus dem Ideenwettbewerb „Wasserstoffrepublik Deutschland“ des BMBF hervorgegangen. Auf Grundlage der eingegangenen Ideen und Vorschläge wurden drei industriegeführte Konsortien zu zentralen Herausforderungen der grünen Wasserstoffwirtschaft formiert:
- H2Giga widmet sich den Technologien für eine serienmäßige Herstellung von Wasser-Elektrolyseuren
- H2Mare erforscht Möglichkeiten, Wasserstoff und seine Folgeprodukte direkt auf See mithilfe von Windrädern zu produzieren
- TransHyDE entwickelt, bewertet und demonstriert Technologien zum Wasserstofftransport
Serienfertigung von Elektrolyseuren
Zwar sind heute bereits leistungsfähige Elektrolyseure am Markt – allerdings erfolgt ihre Herstellung noch immer größtenteils in Handarbeit. Das ist zeitaufwendig, kostenintensiv und einer der Gründe dafür, warum grüner Wasserstoff derzeit noch nicht wettbewerbsfähig ist. Das Leitprojekt H2Giga will die serielle Produktion von Elektrolyseuren ermöglichen und bringt etablierte Elektrolyseurhersteller, Zulieferer aus verschiedenen Technologiebereichen sowie Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen. Drei Arten von Wasser-Elektrolyseuren sollen anschließend reif für das Fließband sein: die PEM-Elektrolyse (PEM = Proton Exchange Membran), die alkalische Elektrolyse (AEL) und die Hochtemperatur-elektrolyse (HTEL). Forschungsseitig soll zudem auch die Elektrolyse mit anionenleitender Membran (AEM) weiterentwickelt werden. Das H2Giga-Konsortium vereint nach derzeitigem Stand 112 Partner aus Industrie, Wissenschaft und Verbänden in ganz Deutschland. Die Koordination übernimmt die Dechema.
Weitere Projekte für Wasserstoff
Darüber hinaus fördert das Bundesforschungsministerium eine Vielzahl von wissenschaftlichen Projekten im Bereich grüner Wasserstoff. Die Kopernikus-Projekte leisten dabei den größten Beitrag. Insbesondere das Kopernikus-Projekt P2X erforscht grünen Wasserstoff von der Erzeugung über die Transportierbarkeit bis hin zur Nutzung. In der zweiten Förderphase (2019–2022) arbeitet das Projektteam unter anderem an folgenden Forschungsfragen: Wie kann aus erneuerbarem Strom möglichst effizient grüner Wasserstoff gewonnen werden? Wie kann grüner Wasserstoff möglichst effizient gespeichert und transportiert werden? Wie kann grüner Wasserstoff als Rohstoff für die Chemie- und Kosmetik-Industrie dienen? Das Kopernikus-Projekt Ensure untersucht zudem, wie Wasserstoff in die Energieversorgung der Zukunft integriert werden kann; das Kopernikus-Projekt Synergie, welche Rolle Wasserstoff bei flexiblen Industrieprozessen spielt.
Auch bei Rheticus steht Wasserstoff im Fokus. Rheticus ist aus P2X entstanden und untersucht, wie man CO2 als Rohstoff nutzen kann, statt es klimaschädlich in die Atmosphäre entweichen zu lassen. Dazu stellt das Projekt aus CO2, Wasser und erneuerbarer Energie zunächst ein Gemisch aus grünem Wasserstoff und Kohlenmonoxid (Synthesegas) her, das Bakterien dann in Alkohole umsetzen. Diese Alkohole können anschließend zur Erzeugung von Kunststoffen, Nahrungsergänzungsmitteln und Kraftstoffen genutzt werden.
Darüber hinaus setzt die Bundesrepublik auf strategische Partnerschaften mit Süd- und Westafrika sowie mit Australien. Dort herrschen hervorragende Bedingungen, um Strom aus Wind und Sonne auf ungenutzten Flächen zu produzieren. Derzeit fördert das Bundesforschungsministerium einen Potenzialatlas Wasserstoff: Er analysiert Möglichkeiten, grünen Wasserstoff in Afrika produzieren und exportieren zu können. Weitere BMBF-Projekte zum Thema Wasserstoff sind u. a. Carbon2Chem und Macor für eine klimafreundliche Stahlindustrie, Namosyn für klimafreundlichen Kraftstoff oder Depecor für Kraftstoffe aus künstlicher Photosynthese.
Grüner Wasserstoff im Großmaßstab
Das Land Sachsen-Anhalt engagiert sich sehr bei der Umsetzung von Wasserstoffprojekten. Ein Grund ist, dass allein die mitteldeutsche Chemieregion, hauptsächlich am Industriestandort Leuna, für ihre chemischen Prozesse rund 100 000 Nm3 H2/h benötigt. Bislang wird der benötigte Wasserstoff konventionell aus Erdgas gewonnen. Mit der Elektrolysetest- und -versuchsplattform ELP und der Skalierungsplattform Hy2Chem setzen Sachsen-Anhalt und die Fraunhofer-Gesellschaft nun auf grünen Wasserstoff. Der im Großmaßstab erzeugte Wasserstoff soll zur nachhaltigen Herstellung von Grundchemikalien und Kraftstoffen genutzt werden. Die Entwicklung und Skalierung von Elektrolysesystemen und der chemischen Nutzung des grünen Wasserstoffs wird dabei gemeinsam vom Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna und dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale) vorangetrieben. Der Spatenstich für die ELP erfolgte im August 2020, 2021 soll die Anlage in Leuna in Betrieb gehen. Insgesamt werden über 10 Mio. Euro in die Elektrolysetest- und -versuchs- sowie die Hy2Chem-Plattform investiert.
Der Industriegasehersteller Linde macht Nägel mit Köpfen und plant im Chemiekomplex Leuna die größte Wasserstoffelektrolyse auf Basis von Protonenaustausch-Membranen (PEM). Der 24-MW-Elektrolyseur wird grünen Wasserstoff produzieren, mit dem die Industriekunden von Linde über das bestehende Pipelinenetz des Unternehmens versorgt werden. Darüber hinaus wird Linde verflüssigten grünen Wasserstoff an Tankstellen und andere Industriekunden in der Region vertreiben. Der Elektrolyseur wird von der ITM Linde Electrolysis GmbH, einem Joint Venture von Linde und ITM Power gebaut und soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 die Produktion aufnehmen.
In Baden-Württemberg engagiert sich der Industriegasespezialist Messer im Bereich grüner Wasserstoff in der Power-to-Gas-Anlage der EnBW-Gruppe in Grenzach-Wyhlen. Neben dem Industriegasespezialisten gehören der Stromversorger Energiedienst, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und die gemeinnützige Gesellschaft für Kommunikations- und Kooperationsforschung Dialogik zu den Projektpartnern der EnBW. Die seit 2019 betriebene Elektrolyseanlage soll um 5 MW auf eine elektrische Leistung von insgesamt 6 MW erweitert werden.
Grüner Wasserstoff, Elektrolyse, Nationale Wasserstoffstrategie
Daniela Held
Redakteurin