Der Nationale Wasserstoffrat berät die Bundesregierung bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Er greift dabei auf ein eigens entwickeltes Modell zur Datensammlung und -bewertung zurück, um bei seiner Arbeit von einheitlichen und realistischen Annahmen bezüglich der Wasserstoffbedarfe in Deutschland in den kommenden Jahren bzw. Jahrzehnten ausgehen zu können. Durch die geopolitischen Verwerfungen in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine und die resultierenden Änderungen insbesondere für den Energiesektor haben sich die Rahmenbedingungen nun jedoch derart schwerwiegend geändert, dass eine bloße Anpassung nicht ohne weiteres möglich ist. Die neue Evaluierung zeigt deutlich: Die Bedarfe sind deutlich höher als die früheren Mengenplanungen der Bundesregierung. Mit etwa 44 TWh (rund 1,3 Mio. t/a) an grünemWasserstoff im Jahr 2030 hatte der NWR bereits vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gerechnet, ohne dass hier der Wärmemarkt, Rückverstromung und Ersatz von konventionellem (grauen) H2 inkludiert waren. Dies entspricht bereits einer Elektrolyseleistung von mehr als 18 GW im In- und Ausland. Infolge veränderter Rahmenbedingungen zeichnet sich ab, dass die Bedarfe noch deutlich höher einzustufen sind. Allein durch eine Beschleunigung des Transformationspfades in der Stahlindustrie ist mit einer zusätzlichen H2-Nachfrage in Höhe von bis zu ca. 0,25 Mio. t/a (entspricht rund 8 TWh) im Jahr 2030 zu rechnen. Insgesamt ist für das Jahr 2030 mit einer Gesamtmenge von 53 bis 90 TWh zu rechnen. Dies entspricht einer Elektrolyseleistung von 22 bis 37 GW.
Großes Potenzial in der Stahlindustrie
Die Analyse des NWR vergleicht zudem den relativen CO2-Vermeidungshebel beim Einsatz von Wasserstoff in unterschiedlichen Branchen. Der „Vermeidungshebel“ ist in der Stahlindustrie besonders ausgeprägt mit 25 Tonnen vermiedenem CO2 pro Tonne an grünem Wasserstoff. Dabei bestätigt die Datenanalyse, dass klimaneutraler Wasserstoff und klimaneutral hergestellte Wasserstoff-Derivate für das Erreichen der Klimaziele unverzichtbar sind. Bereits heute werden erhebliche Mengen von Wasserstoff vor allem in der chemischen Industrie eingesetzt werden. Dabei handelt es sich jedoch zumeist noch um grauen Wasserstoff. Langfristig werden jedoch auch die Bedarfsmengen an grauem Wasserstoff durch grünen Wasserstoff abgedeckt werden müssen.
Chemieindustrie lässt sich Zeit
In der Chemieindustrie (ohne Raffinerien) geht es einerseits darum, den bestehenden Wasserstoffbedarf von ca. 1 Mio. Tonnen (bislang grauer Wasserstoff) durch klimaneutralen Wasserstoff zu ersetzen. Hierfür bedarf es vor allem bei der Ammoniakproduktion völlig neuer Anlagenkonzepte, in die investiert werden muss. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen ist mit diesen Investitionen wahrscheinlich erst in den 2030er-Jahren zu rechnen.
Der künftig erhebliche, zusätzlicheWasserstoffbedarf – für die chemische Industrie veranschlagt der NWR für 2040 etwa 225 TWh grünen Wasserstoff (33,33 TWh = 1 Mio. t H2) – ergibt sich andererseits aus der Notwendigkeit, auch die bislang weitgehend fossile Rohstoffbasis treibhausgasneutral zu gestalten. Neben einem verstärkten Recycling und dem Einsatz von Biomasse wird hier vor allem die Nutzung von CO2 als Kohlenstofflieferant eine Rolle spielen. Für die Umsetzung von CO2 zu treibhausgasneutralen Kohlenwasserstoffen als Rohstoff (grünes Naphtha) oder direkt als Basischemikalien (Methanol) wird Wasserstoff als Co-Faktor benötigt. Der hier dargestellte Bedarf an Wasserstoff ergibt sich aus einer ersten Abschätzung, dass etwa 55% des Kohlenstoffbedarfs in Zukunft durch CO2 gedeckt werden soll. Der Wasserstoffbedarf kann jedoch auch höher ausfallen, wenn die zugrunde gelegten Recycling- und Biomasseanteile bei der Rohstoffversorgung nicht erreicht werden. Dieser zukünftige Wasserstoffbedarf wird jedoch auch erst im Laufe der 2030er-Jahre anfallen, wenn die entsprechenden Umsetzungstechnologien für CO2 die erforderliche technische Reife erzielt haben.
Raffinerien kommen schnell voran
Die Studie des NWR geht davon aus, dass der heute in Raffinerien verwendete, aus Erdgas hergestellte Wasserstoff vergleichsweise schnell durch grünen Wasserstoff ersetzt werden kann. Damit entsteht ein Substitutionsbedarf von etwa 0,33 Mio. t bzw. 11 TWh Wasserstoff bis 2030.
Für die komplette Prozessindustrie steigt der Anteil grünen Wasserstoffs von rund 30 TWh in 2030 auf 298 TWh 2040. Ähnlich sieht es im Verkehrssektor, im Wärmemarkt und bei der Energieversorgung aus. Für 2040 hat der NWR einen Gesamtbedarf von 964 bis 1364 TWh grüner Wasserstoff evaluiert.
Fazit
Klar wird, dass der Einsatz von grünem Wasserstoff ein großes Potenzial für die CO2-Vermeidung in den Sektoren Industrie, Mobilität, Wärme und Energieversorgung hat. Die Datenanalyse zeigt, dass grüner Wasserstoff und seine Derivate einen unverzichtbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten können, gesetzt den Fall, dass entsprechende Kapazitäten zu den genannten Zeitpunkten zur Verfügung stehen.